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Dienstag, 16.12.2025 - Jahrgang 17 - www.daz-augsburg.de

Vertrag zum Radentscheid: Kompromiss ohne Schmerz und Wirkungskraft

Wenn man den Vertrag einmal liest, wirkt er gewichtig und beeindruckend, wenn man ihn zweimal liest, verliert er an Gewicht. Und wenn man länger über die jahrzehntelang gewachsene Verkehrsstruktur in Augsburg nachdenkt, dann wirkt der Vertrag unbedeutend. 

Kommentar von Siegfried Zagler

Foto © DAZ

Es hat fast ein Jahr gedauert, bis die Fragestellung für das Bürgerbegehren in Sachen Radentscheid gefunden wurde. Der Allgemeine Deutsche Fahrradclub (ADFC), das Forum Augsburg lebenswert und die Fridays-for-future-Bewegung haben 15.543 Unterschriften gesammelt, um Verbesserungen für den Radverkehr in einen Bürgerentscheid mit folgender Fragestellung zu gießen:

Sind Sie dafür, dass die Stadt Augsburg die unten stehenden ausformulierten fünf Ziele für einen attraktiven, leistungsfähigen und sicheren Radverkehr kontinuierlich und verkehrspolitisch vorrangig verfolgt, indem sie diese entweder durch geeignete Maßnahmen bis spätestens Ende des Jahres 2025 weitestgehend umsetzt oder bei Maßnahmen, die einer Plangenehmigung oder Planfeststellung bedürfen, bis zu diesem Zeitpunkt die Antragsunterlagen ausarbeitet und einreicht, wobei diese Maßnahmen vorrangig durch Umwidmung von Flächen für Kfz-Fahrspuren oder Kfz-Parkplätze und gegebenenfalls auch zulasten der Leistungsfähigkeit des Kfz-Verkehrs umgesetzt werden sollen, in der Regel jedoch nicht auf Kosten der Flächen für den Fußverkehr, den öffentlichen Personennahverkehr und des Stadtgrüns?

Auf den Unterschriftenlisten, aber auch auf der Homepage der Initiatoren konnten sich während der langen Sammelperiode interessierte Bürger darüber informieren, was das im Besonderen und auch Einzelnen bedeutet. So abstrakt die Fragestellung auf den ersten Blick auch scheint, sie ist es nicht.

Den Initiatoren fehlte für Verhandlungen ein Mandat

Die Initiatoren haben bekanntermaßen auf den Bürgerentscheid verzichtet, um mit der Stadt einen Vertrag auszuhandeln. Politisch fehlte ihnen dazu das Mandat. Hätten die Initiatoren einen Bürgerentscheid eingeleitet und diesen gewonnen, hätten sie ein mächtiges Mandat für Verhandlungen gehabt. So aber sind sie, falls der Vertrag gelebt werden sollte, nachdem die Stadt ihre gesammelten Unterschriften geschreddert hat, auf das Goodwill der Stadt angewiesen.

Schäffler und Co. haben also politisch nichts erreicht, außer eben diesen Vertrag, der bis 2025 gültig ist – und in dem deutlich zu wenig Mittel ausgewiesen sind. Statt der Stadt einen politischen Imperativ vorzugeben, der Jahrzehnte hält, sind die Initiatoren einer Großunternehmung bis 2025 zu kleinteiligen Vertragswächtern geschrumpft.

Zirka 47,5 Millionen Autos waren 2020 in Deutschland gemeldet. 1960 waren in der alten Bundesrepublik keine 4,5 Millionen PKWs registriert. „Die wahren Einwanderer sind die Maschinen“, so der Philosoph Peter Sloterdijk auf einer Veranstaltung in Augsburg. Autos erzeugen gesundheitsschädigende Abgase, beschleunigen den Klimawandel, verbrauchen Energie, erzeugen Lärm, benötigen Abstellplätze und Straßen. Die bundesdeutschen Städte haben sich dieser „Einwanderung“ über viele Jahrzehnte nicht nur gefügt, sondern sie vorauseilend unterstützt.

Kein Quantensprung, sondern ein Schritt in die richtige Richtung

In Augsburg drückt der individuell motorisierte Verkehr alle anderen Verkehre an die Wand, besonders den Radverkehr, der in den vergangenen Jahren durch einen Bewusstseinswandel der Städtebewohner Aufwind bekam. Radlobbyismus, Radentscheide sorgen bundesweit dafür, dass sich die Verkehrsströme langsam verändern, sorgen dafür, dass auch ältere Menschen vom Auto aufs Rad umsteigen. In Augsburg haben die Grünen den Vertrag der Stadt mit den Radentscheid-Initiatoren als „Quantensprung“ abgefeiert. Das ist maßlos übertrieben und zeigt die Wirkungsschwäche der Augsburger Grünen im Kontext der Koalition.

Alexander Mai und Arne Schäffler haben sich mit dem Spatz in der Hand zufrieden gegeben, haben zusammen mit der Stadt einen Schritt in die richtige Richtung unternommen, statt zusammen mit der Bürgerschaft eine Verkehrswende einzuleiten. Jens Wunderwald, der dritte Initiator, hat sich in sich selbst verlaufen. Er will nun doch einen Bürgerentscheid. Und er bringt für seine späte Kehre Argumente vor, die zwar zutreffend sind, aber auch nichts Neues beinhalten. Wunderwald hätte mit diesen Argumenten bereits vor vielen Monaten ausscheiden können.

Mit „ihrem“ Vertrag haben die Kontrahenten einen Kompromiss geschlossen, mit dem vor allem Oberbürgermeisterin Eva Weber leben kann. Wie die DAZ in Erfahrung bringen konnte, war sie es, die stets vermittelnd tätig war, bevor die Verhandlungen ins Stocken gerieten oder kurz vor dem Platzen waren. Sie war bei jeder Sitzung dabei und immer um ein Vorankommen bemüht. Mit ihrem Verhandlungsgeschick, so lässt sich differenziert mutmaßen, hat die OB die Augsburger Regierungskoalition gerettet.

Hat der Vertrag die Regierungskoalition gerettet?

Eine Koalition, die sich bisher mehr schlecht als recht durch den politischen Alltag kämpft und in verkehrspolitischen Fragen kaum einen gemeinsamen Nenner findet. Eine Regierung, die eher einer grauen Verwaltungsmaus gleicht, die mal hierhin, mal dorthin „tigert“, als einer handlungsfähigen Koalition, die die Stadt fortführen möchte. Mit diesem Vertragswerk hat die Augsburger Regierungskoalition wieder einen Vermittler gefunden, ein Instrument, das die verkehrspolitischen Differenzen zwischen Schwarz-Grün kittet und somit nicht offen zutage treten lässt.

Ein Täuschungsargument, dem die Initiatoren auf den Leim gingen

Was zum Vertrag zu sagen ist, was hilfreich ist, was schmerzlich fehlt und wo die Initiatoren hätten nicht nachgeben dürfen, wird in der DAZ noch gelistet stehen. Festzuhalten ist jedoch, dass das Keulen-Argument, dass ein Bürgerentscheid nur ein Jahr Gültigkeit habe, während der Vertrag bis 2025 gültig sei, ein Täuschungsargument ist, dem die Initiatoren wohl auf den Leim gegangen sind. Nichts hält länger als das direkte Imperativ des Souverän!

Vertragsaussteiger Dr. Jens Wunderwald (Forum Augsburg lebenswert) wird nicht verhindern können, dass der Stadtrat am 22. Juli der Unterzeichnung des Vertrags zustimmen wird. Es zeichnet sich sogar ab, dass die Opposition zustimmen wird. Juristisch werden die Vertragspartner Wunderwalds Ausstieg zu umschiffen wissen. Wunderwald wäre immerhin ein interessanter Aussteiger, hätte er anders argumentiert!

An vielen Stellen bleibt Radfahren viel zu gefährlich

Hätte Wunderwald einfach aufgezählt, was im Vertrag fehlt und hätte er gesagt, dass er bis vor Kurzem nicht darüber informiert worden sei, dass die Stadt wohl bis 2025 mindestens drei weitere Parkhäuser im Zentrum genehmigen wird, obwohl die aktuellen Parkhäuser nur sehr selten ausgelastet sind, dann hätte er wohl seine Mitstreiter in Schwierigkeiten gebracht. Dass der zirka 250 Millionen Euro teuere Bahnhofstunnel keinen Radverkehr aufnimmt, dass auf der vierspurigen Stadtautobahn Grottenau-Karlstraße-Leonhardsberg täglich 25.000 Autos fahren – mitten durch das historische Herz der Stadt ein Durchgangsverkehr brettert und die Radstreifen auf dieser Strecke sofort verschwinden müssten, da viel zu gefährlich, kommt im Vertrag ebenfalls kaum vor.

Ebenfalls für den Radverkehr zu gefährlich sind die Verhältnisse in der Ulmer Straße. Würden die Initiatoren auf ihrer Homepage einen Stadtplan erstellen, der alle Strecken rot markiert, die Radfahren entweder nur illegal ermöglichen oder eben nur unter Gefahren, wäre Rot die dominierende Farbe.

Dass gerade dort, wo formal alles in Ordnung sein sollte, weil Tempo 30 gilt, Radfahrer besonders gefährdet sind, zeigen Bismarckstraße und Brückenstraße auf. Beide sind Tempo-30-Zonen in beiden Straßen scheint das niemand zu interessieren. Ist viel los, ist Radverkehr nur auf dem Gehweg sicher. Absurd auch die Situation in der Konrad-Adenauer-Allee, die offiziell als „Fahrradstraße“ gekennzeichnet ist, doch nach wie vor werden dort die Radfahrer von den zahlreichen SUVs an den Rand gedrückt.

Als Tiger abgesprungen, als Bettvorleger gelandet

Arne Schäffler, Jens Wunderwald und Alexander Mai sind als Tiger abgesprungen und als CSU-Bettvorleger im Schlafzimmer von Eva Weber gelandet. Der Vertrag ist ein Stückwerk mit einem viel zu kurzem Ablaufdatum. Es fehlt eine gemeinsame Willenserklärung zu einer Verkehrswende, es fehlt ein verkehrliches Gesamtkonzept für eine moderne Stadt, es fehlt eine langfristige Aufgabenstellung und es fehlen konkret die finanziellen Mittel für einen großen Wurf. Die Initiatoren sind wohl aus einem Unterlegenheitsgefühl heraus viel zu kurz gesprungen.

Der Vertrag kann schmerzlos von allen Seiten zur Kenntnis genommen werden. Er nutzt in der Hauptsache Schwarz-Grün. Und am Ende des Tages sind die Unterzeichner die Dummen. Ihre Unterschriften werden von der Stadt entsorgt werden. Das ist der Deal, das ist der Verrat an den Werten der Gemeindeordnung.

Der Vertragsentwurf im Wortlaut als PDF

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