Rossinis „Cenerentola“ mit Augsburg-Bezug
Der allbekannte „Aschenputtel“-Stoff liegt der Rossini-Oper „Cenerentola“ zugrunde: das Mädchen, das sich „aus der Asche“ zur Prinzessin mausert. Für die Inszenierung in Augsburg hat Regisseur Manuel Schmitt eine Parallele zur Stadtgeschichte angekündigt, die auf den ersten Blick befremdet: Wie kann die Augsburger Textilindustrie, die in der Spielstätte Martinipark sozusagen fühlbar ist, in eine Rossini-Oper integriert werden?
Von Halrun Reinholz
Auf der Bühne steht schon gleich zu Beginn ein großer Webstuhl. Ein Video zeigt eine sizilianische Gastarbeiterin, die erzählt, wie sie 1965 nach Augsburg kam und in einem der Augsburger Textilbetriebe Arbeit fand. Während der Ouvertüre wuseln Arbeiterinnen in grauen Kitteln um den Webstuhl herum. Sie setzten sich auf ihre Koffer und tun so, als gäbe es viele Webstühle im Raum. Am „Haupt-Webstuhl“ sitzt Angelina, die „Cinderella“, und singt: „Es war einmal ein König …“, um das kommende Märchen anzukündigen. Ihren grauen Kittel behält sie an, doch zum Glück spinnt der Regisseu die Fabriks-Szenerie an dieser Stelle nicht weiter. Zwar wird offenbar, dass Don Magnifico, der Vater Cinderellas und der beiden Schwestern Clorinda und Tisbe, eine Schneiderwerkstatt besitzt, in der Angelina die niederen Arbeiten verrichten muss. Das bietet Raum für eine üppige Kostümparade des (Herren-)Chors und auch der weiteren Darsteller (Kostüme: Dinah Ehm). Als bekannt wird, dass der Prinz eine Frau sucht und mit seinem Kammerdiener durchs Land reist, rüsten sich die beiden Schwestern hoffärtig und geziert im Wettstreit – nicht ahnend, dass Prinz und Kammerdiener ihre Rollen getauscht haben.
Das ist der Stoff, aus dem Rossini-Opern sind: Wegen der komischen Verwicklungen und wunderbaren Melodien dem Publikum sehr zugänglich, aber eine Herausforderung für den Chor und die Solisten. Ivan Demidov gibt sich Mühe, die Lautstärke des Orchesters „im Zaum“ zu halten, was im Martinipark immer sehr schwierig ist. Doch die durchwegs auf Augenhöhe agierenden Sängerinnen und Sänger erfreuen das Publikum mit lustvollen Arien und vor allem mit dem typischen „Geplapper“ bei Rossini, wenn alle im Terzett-Quartett usw. gleichzeitig (und mit hoher Geschwindigkeit) singen. Ekaterina Alexandrova überzeugt als Angelina. Sie kam als Gast, ist dem Augsburger Publikum aber von einem kurzen Intermezzo als Ensemblemitglied bekannt. Eine tragende Rolle spielt Don Magnifico, der Vater Angelinas und der anspruchsvollen Töchter. Shin Yeo hat in dieser Partie Gelegenheit, außer seiner Stimme auch seine ganze komische Bandbreite zu zeigen. Olena Sloia und Luise von Garnier gaben die beiden Stiefschwestern ebenfalls mit außerordentlichem komischen Können. Manuel Amati sang die Partie des verliebten Prinzen Ramiro mit hinreißendem Tenor und stand in stetigem (oft auch von Komik geprägten) Dialog mit seinem Kammerdiener Dandini, dessen Partie Nicola Ziccardi sang. Eine große Rolle hatte auch Alidoro, gesungen von Avtandil Kasperli, dessen angenehmer Bass dem Publikum in Augsburg schon länger vertraut ist, auch wenn er nicht immer Gelegenheit zur Entfaltung hat.
Abweichend vom Märchenstoff kommt keine Fee oder sonst jemand zu Angelina, um sie tauglich für den Ball zu machen. Auf den Rat von Alidoro ist sie es selbst, die sich darum kümmert. So rollt in der entscheidenden Szene eine Nähmaschine auf die Bühne und Angelina näht sich ein hinreißendes Kleid aus einem Jaquard-Stoff der Augsburger Textilmuster-Sammlung, der im Textilmuseum eigens für die Produktion gewebt wurde. Zum Schluss wird dann wieder der Bogen geschlagen zur Augsburger Textilindustrie, die italienische Gastarbeiterin kommt erneut zu Wort. Das wirkt alles erstaunlicherweise nicht aufgesetzt – wahrscheinlich, weil es nur eine Rahmenhandlung ist. Letztlich kommt ganz klar die Botschaft rüber: Der Traum vom sozialen Aufstieg verwirklicht sich nicht von selbst. Man muss selbst aktiv werden und sich „aus der Asche“ ziehen.
Großer Applaus für eine stimmige Inszenierung und hervorragende Akteure auf der Bühne!