Augsburger Blick auf den Salzburger Jedermann
Es gibt Theaterabende, die glänzen weniger durch die Inszenierung als durch die äußeren Umstände – der Salzburger „Jedermann“ gehört zuverlässig in diese Kategorie. Zwischen goldenen Cadillacs, schmissigen Partyszenen und uralten Versen mischt Petrus höchstselbst kräftig im Regiebuch mit. Wer als Augsburger Freilichtbühnen-Kenner glaubt, auf jedes Wetterdrama vorbereitet zu sein, merkt in Salzburg schnell: Hier gelten ganz eigene Festspielregeln.
Eine Glosse von Halrun Reinholz
v.l.: Christoph Luser, Philipp Hochmair und Deleila Piasko.
Der „Jedermann“ ist ein fester Bestandteil der Salzburger Festspiele. Vor genau 105 Jahren wurde das Stück von Hugo von Hoffmannsthal unter der Regie von Max Reinhardt zum ersten Mal auf dem Salzburger Domplatz aufgeführt. Ein Stück, das auf ein mittelalterliches Mysterienspiel zurückgeht und in altertümlich klingenden Versen verfasst ist. Es geht um einen reichen Mann, der auf der Höhe seiner Lebenslust und in bester Party-Laune vom Tod aufgesucht und zum Mitkommen aufgefordert wird. Ernüchtert von der Abwendung aller seiner Freunde und Verwandten, tut er Buße.
In diesem Jahr spielte wieder der bekannte österreichische Schauspieler Philipp Hochmair den Jedermann, Deleila Piasko war seine „Buhlschaft“. Den Tod spielte Dominik Dos-Reis. Andrea Jonasson war als Jedermanns Mutter besetzt und der Grazer Christoph Luser ragte als Jedermanns „guter Gesell“ (bzw. Teufel) heraus.
Philipp Hochmair als Jedermann mit Deleila Piasko als Buhlschaft. Fotos: Monika Rittershaus
Der „Jedermann“ in Salzburg ist eine Freiluftaufführung und dadurch wetterabhängig. Wenn es regnet, fällt die Aufführung aber nicht aus, sie wird ins Große Festspielhaus verlegt. Dank moderner Kommunikationsmethoden erfahren die Zuschauer 1-2 Stunden vorher, wo sie sich einfinden müssen. Vor vielen Jahren war ich schon einmal beim „Jedermann“ in Salzburg. Es war den ganzen Tag wunderbares Wetter, ein heißer Sommertag, aber abends, kurz vor Beginn der Vorstellung, rollte ein Gewitter an. Damals also Festspielhaus. Doch die Atmosphäre ist nicht zu vergleichen mit der Freiluftaufführung auf der Treppe vor den Dom-Arkaden. In diesem Jahr wagten wir einen neuen Versuch. Das Wetter war schon den ganzen Tag über durchwachsen, Regenwahrscheinlichkeit 50 Prozent. Doch die Meldung kam: Aufführung auf dem Domplatz. Regenschutz mitbringen.
Als Augsburger Freilichtbühnen-Profi weiß man, wie man sich da zu verhalten hat. Wir zogen mit Sitzkissen und Regenschutz los und nahmen unsere Plätze ein. Nach und nach strömte das Publikum herbei und wir mussten feststellen: Hier herrschte ein anderer Dresscode als auf der Augsburger Freilichtbühne: Schicke Dirndl, Lederhosen, auch mal Abendkleider, High-Heels, Anzüge. Festspielpublikum halt. Kaum jemand schien einen Gedanken an Regenschutz verschwendet zu haben. Nun gut, 50 Prozent ist wohl keine sehr hohe Wahrscheinlichkeit. Die werden schon wissen.
Das Stück wird ohne Pause gespielt. Im Gegensatz zu den Musicals oder Opern auf der Augsburger Freilichtbühne hält sich die „Action“ auf der Bühne beim Jedermann in Grenzen. In der diesjährigen Inszenierung (die auch die vom letzten Jahr war) hat Regisseur Robert Carsen sich immerhin ein paar Hingucker einfallen lassen: Jedermann kommt im goldenen Cadillac angefahren und wirft mit Geld um sich. Auch die zentrale Party-Szene ist ordentlich aufgepeppt. Wo das Stück nur einen langen Tisch vorsieht, an dem sich die Dialoge um das irdische Glück und die himmlische Seligkeit abspielen, ist diesmal echte Party mit Live-Band und Tanz-Einlagen (Choreografie: Rebecca Howell) angesagt. Doch dann hat der Tod seinen beeindruckenden Auftritt und die Party ist vorbei. Jedermann steht im Büßerhemd da und sinnt über sein Leben nach.
Und genau in dem spannenden Moment fielen die ersten Tropfen vom Himmel. Erst nur ganz leicht, aber dann immer heftiger. In Augsburg wartet man in solchen Momenten darauf, dass die Vorstellung abgebrochen wird – nicht wegen der Zuschauer, aber mit Rücksicht auf die Darsteller und die Rutschgefahr auf der Bühne. In Salzburg lief alles weiter, vielleicht, weil die gefährlichen Szenen mit Tanz und Bewegung vorbei waren. Wir zogen unseren Regenschutz über und hörten konzentriert zu. Zumindest versuchten wir das, denn an Konzentration war kaum zu denken. Scharenweise verließen die edel gekleideten regenschutzlosen Besucher ihre Plätze und strömten an den Rand des Platzes, wo ein kleines Vordach sie vor dem Regen schützte. Als peinlich und respektlos empfand ich diese Völkerwanderung. Auf der Bühne war der Regen kein Thema, die Vorstellung nahm ungerührt ihren Lauf und nachdem alle sich positioniert hatten, kehrte auch wieder etwas Ruhe ein. Dass auch die Schauspieler genervt waren von der Unruhe in den Sitzreihen, zeigte Chrisoph Luser, der Darsteller von Jedermanns Gesellen, indem er an passender Stelle ins Publikum fragte: „Ist eh noch jemand da oder sind alle schon gegangen? Das ist eine Freiluftaufführung, da muss man auf alles gefasst sein.“
Zum Glück hatte Petrus bald ein Einsehen und der Regen ließ wieder nach. Der Schlussapplaus erforderte keinen Regenschutz mehr, er kam auch von den „Geflüchteten“ unter dem Vordach mit großer Herzlichkeit. Dass der Treppenabsatz vor den Domarkaden durch den Regen dennoch gefährlich glatt geworden war, zeigte sich bei den launigen Rutsch-Eskapaden der Darsteller zum Abschiedsapplaus.
So war er also für uns schon wieder nicht ganz regenfrei, der „Jedermann“ auf dem Domplatz. Vielleicht wagen wir in ein paar Jahren wieder einen neuen Versuch. Sicherheitshalber mit Regenschutz, wie wir es von Augsburg gewohnt sind.