DAZ - Unabhängige Internetzeitung für Politik und Kultur
Montag, 07.10.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Literatur

Lyrik und Zeitzeugen am Tag der Befreiung

Im Kulturhaus abraxas wurde der Sieg über die Naziherrschaft gefeiert

Von Frank Heindl

Vor hundert Jahren wurde Selma Meerbaum-Eisinger geboren, im Februar 1924. 1941 schrieb sie ein „Poem“, dessen zentrale Zeile lautet: „Ich möchte leben“. Ein Jahr später, am 16. Dezember 1942, 18 Jahre alt, starb sie im rumänischen Zwangsarbeiterlager Michailowka. „Sie kommen dann und würgen mich“, ging ihr Gedicht weiter, und: „Über Nacht bin ich tot.“

Leben wollten sie alle, ermordet wurden sie zu Hunderttausenden, zu Millionen. Um an die Opfer des Nationalsozialismus zu erinnern – oder doch an wenigstens einige wenige von ihnen –, um ein paar Namen dem Vergessen zu entreißen, wurde im Kulturhaus abraxas am Dienstagabend die Befreiung vom deutschen Nazitum gefeiert. Es war eigentlich ein Tag zu früh, denn die bedingungslose Kapitulation des Deutschen Reiches trat erst am 8. Mai 1945 in Kraft – doch auch die Unterzeichnung des Kapitulationsvertrags, vor 79 Jahren am 7. Mai 1945, ist Grund genug zum Feiern.

„Der Krieg ist aus!“ – Das Trio „Text will Töne“ trug Lyrik zum Tag der Befreiung in kitschfreier Eindringlichkeit vor. – Foto: Frank Heindl

Musikalisch und textlich untermalt wurde der Abend vom Ensemble „Text will Töne”. Schauspielerin Karla Andrä hatte Gedichte von Opfern und Überlebenden des Holo-caust ausgewählt und trug sie zum angemessen ruhigen, einfühlsamen, aber gänzlich unkitschigen Sound von Josef Holzhauser (Komposition und Gitarre) und Johannes Ochsenbauer (Bass) vor. Gerald Fiebig, Leiter des abraxas, moderierte den Abend, kurze Beiträge gab es auch von Marcella Reinhardt vom Regionalverband der Sinti und Roma, von Vitaliy Levin, Vizepräsident der Israelitischen Kultusgemeinde, und von Kulturreferent Jürgen Enninger.

Nie mehr selbstverschuldet unmündig werden

Enninger erinnerte daran, dass am Tag der Befreiung die Erinnerung auch jenen gelten müsse, „die uns von der Schreckensherrschaft erlöst haben“ – und wies darauf hin, dass das abraxas, zu Nazizeiten erbaut, nach dem Krieg von den Befreiern, der US-Besatzungsmacht genutzt wurde. Mit Blick auf Immanuel Kant appelliert er, nie wieder dürften wir „selbstverschuldet unmündig werden.“.

Es folgten kurze Gespräche mit Zeitzeugen der Nazizeit. Der Sinto Hugo Höllnreiner berichtete von seinem gleichnamigen Großvater, der Auschwitz überlebt hatte. „Was wir erlebt haben“, so zitiert der Enkel ihn, „ist in unseren Seelen und geht nie mehr raus“. Höllnreiner freut sich, dass mittlerweile eine Straße in München nach seinem 2015 gestorbenen Großvater benannt wurde, eine weitere in Ingolstadt soll folgen.

Auch Henry Landman ist nicht mehr am Leben. Dem 1920 in Augsburg als Heinz Landmann geborenen Juden war nach einer Internierung im KZ Dachau die Flucht in die USA gelungen. Monika Müller vom Jüdischen Kulturmuseum zeigt ein von der Shoah Foundation 1996 aufgenommenes Interview, in dem Landman berichtet, wie er Augsburg kurz nach Kriegsende als Soldat wiedererlebte. Ergriffen erzählt er von seiner Rückkehr, von der verschwundenen Tante, von der zerstörten Stadt und der Wiederbegegnung mit Mitbürgern, die ihm vor seiner Flucht geholfen hatten.

Besorgte Blicke in Richtung Vergangenheit und Zukunft: Ernst Grube, Überlebender des Konzentrationslagers Theresienstadt, im Gespräch mit Carmen Reichert, Leiterin des Jüdischen Museums Augsburg Schwaben. – Foto: Frank Heindl

Ein Leben lang die Frage: Was wird mit uns?

Am intensivsten zu berichten weiß der 1932 in München geborene Ernst Grube im Gespräch mit Carmen Reichert vom Jüdischen Museum. Als Sohn einer jüdischen Mutter und eines nicht-jüdischen Vaters wurde er von den Eltern getrennt und in ein Münchener Kinderheim verschleppt. 23 Kinder Betreuer und Betreuerinnen aus diesem Heim wurden 1941 in Litauen erschossen, Kolbe selbst kam über ein Lager in Milbertshofen schließlich ins Konzentrationslager Theresienstadt, wo er die Befreiung durch die Rote Armee erlebte. „Was wird mit uns sein?“ – an diese bange Frage erinnert sich Grube mehrmals im leider zu kurzen Gespräch. Er war ein zwölfjähriger Junge, als der das KZ verlassen konnte – doch das Thema beschäftigt den 91-Jährigen angesichts der gesellschaftlichen Entwicklungen auch heute wieder.

Darüber zu reden, was geschah, ist Grube wie vielen Überlebenden zeitlebens und bis heute ein Bedürfnis geblieben. Karla Andrä hatte das passende Gedicht zu diesem Bestreben zitiert. Von dem, was er in Dachau, Sachsenhausen und Buchenwald erlebt hatte, wollte der Dichter Karl Schnog sich durch Erzählen befreien: „Erst, wenn ich sage, was ich sah, / Erst wenn ich schreibe, was geschah / Bin ich vom Schmutz gereinigt“ heißt es in seinem Gedicht „Nackte Aussage“. Sich über das „gute Ende“ aller Qualen am Tag der Befreiung wirklich zu freuen, gelang vielen NS-Opfern zunächst nur unter Schwierigkeiten – zu groß waren die Verluste, zu zahlreich die ermordeten Freunde und Verwandten. Die Freiheit hatte gesiegt, aber viel zu spät. Für viele dauerte es Jahrzehnte, bis sie den 8. Mai 1945 als wirkliche Befreiung sehen konnten wie die Dichterin Dagmar Hilarová, die von den Nationalsozialisten nach Theresienstadt verschleppt worden war. „Frühlingswind ‎/ Verwehte letzten Schmerz ‎/ Aus der Brust“, schrieb sie, „Es war Mai / ‎Und alles erblühte zur Freiheit.“

gesamten Beitrag lesen »



„Judenhass Underground“ – Das Augsburger Friedensbüro veranstaltet am 5. März einen Diskussionsabend zum Antisemitismus in linken Subkulturen

Judenhass und israelbezogener Antisemitismus werden nicht ausschließlich von Rechtsextremen verkörpert. Diese Tatsache brachte vor rund neun Monaten Unordnung in den Augsburger Friedensfestbetrieb. Von der DAZ war der Stadtverwaltung eine zu gering ausgeprägte Sensibilität gegenüber der BDS-Bewegung und insbesondere gegenüber Antisemitismus aus dem linken Spektrum vorgeworfen worden. Nun veranstaltet das Friedensbüro der Stadt Augsburg gemeinsam mit […]

gesamten Beitrag lesen »



Lesung: Erika und Therese. Eine Liebe zwischen Kunst und Krieg

Am Sonntag, den 25. Februar um 11 Uhr, liest Gunna Wendt in der Lounge im Brechthaus aus ihren literarischen Biografien über Frauen, die sich selbst erfunden haben, darunter Liesl Karlstadt, Erika Mann und Therese Giehse.  Sie hätten unterschiedlicher nicht sein können: Erika Mann, hochbegabte Tochter Thomas Manns, und Therese Giehse, gefeierte Schauspielerin an den Münchner […]

gesamten Beitrag lesen »



Eckhart Nickel liest und legt auf

Eckhart Nickel liest und legt auf.  Eckhart Nickel, Autor von Hysteria und Spitzweg und Jurymitglied des Deutschen Popliteraturpreises 2022, liest im Oh Boi aus verschollenen, unveröffentlichten und neuen Texten. Danach legt er die passende Musik  auf. Eckhart Nickel ist nicht nur Schriftsteller, sondern auch ein geborener Entertainer. Der Eintritt kostet 15 Euro. Karten können bei […]

gesamten Beitrag lesen »



Entdeckung des Unsichtbaren: Der Kriminalroman “Die Silberkammer” erzählt von der Stadt Augsburg und ihren verborgenen Schätzen

Einem unbekannten Autor ist ein bemerkenswerter Kunstkrimi gelungen. Der zweite Fall soll im Anmarsch sein. Die Stadt Augsburg und ihre Kunstschätze spielen dabei eine wichtige Rolle. Von Siegfried Zagler Stellen sie sich vor, sie stehen in einem Buchladen und wollen nichts Bestimmtes, dies aber ganz bewusst. Sie schmökern in der Krimi-Ecke ein wenig im neuen […]

gesamten Beitrag lesen »



Literatur und Kulinarisches: Denis Scheck mit dem Literarischen Salon in der Stadtbücherei

„Ich bin kein Feinschmecker – im Gegensatz zu meinem Hund, der riecht und schmeckt viel besser als ich!“, so beginnt Denis Scheck den Abend in der Stadtbücherei, wo er seinen „Kulinarischen Kompass“ vorstellt. In einer Mischung aus Rezepten, dann doch recht feinschmeckerischen Beschreibungen von Gerichten wie unbedingt bei 64 Grad gegarten Eiern mit Bottarga di […]

gesamten Beitrag lesen »



Staats- und Stadtbibliothek Augsburg: Förderverein übergibt namhafte Bücherspende

Die Staats- und Stadtbibliothek Augsburg erhielt hochkarätigen Zuwachs – Förderverein übergab namhafte Bücherspende Gutenberg-Bibel im Bestand der Staats-und Stadtbibliothek Augsburg Foto © DAZ Anlässlich der Mitgliederversammlung des Fördervereins  übergab der Vorstand der Initiative Staats- und Stadtbibliothek Augsburg e.V. an den Bibliotheksleiter Dr. Karl-Georg Pfändtner mehr als 80 gedruckte Bücher, Handschriften und Grafikblätter zur Erweiterung des Bibliotheksbestands. […]

gesamten Beitrag lesen »



Lesen oder Nicht-Lesen? – Der Lese-Zeichen Dialog in der Stadtbücherei

Vier Mal im Jahr diskutieren Michael Schreiner (Ex-Kulturchef der Augsburger Allgemeinen) und Kurt Idrizovic (Buchhändler, Veranstalter und feste Größe im Augsburger Kulturleben) in der Stadtbücherei über Bücher, Phänomene des Buchmarktes und ihre subjektiven Lese-Erlebnisse.  Von Sabine Sirach Klar, dass sie mit dem neuen Roman „Der Schlaf in den Uhren“ von Uwe Tellkamp beginnen mussten, ist […]

gesamten Beitrag lesen »



Die Straßen von Haunstetten: Geschichte mit Straßennamen erzählt

Jenseits der praktischen Aspekte der Adressierung und Orientierung steckt in den Straßennamen einiges an Heimatgeschichte. Sie sind teilweise Jahrhunderte alt und ihre Herkunft ist manchmal rätselhaft. Von Wilfried Matzke Zuletzt hatte Christoph J. Haid im Jahr 1833 ein Buch über die Augsburger Straßennamen veröffentlicht. Der Stadtarchivar behandelte damals 262 Bezeichnungen. Mittlerweile findet man 1956 amtliche […]

gesamten Beitrag lesen »



Augsburger Brechtwoche: „Schwer zu Machendes“ im Geburtshaus

„Das Einfache, das schwer zu machen ist“ – dieses berühmte Zitat Brechts aus dessen Theaterstück Die Mutter erklärte Kulturreferent Jürgen Enninger in seiner Eröffnungsrede zum Motto der Augsburger Brechtwoche, die vom 5. bis 10. Juli stattfand. Von Jürgen Hillesheim Sie war ein „Kind“ der Pandemie und wurde, in Zusammenarbeit mit der Staats- und Stadtbibliothek und […]

gesamten Beitrag lesen »