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Dienstag, 08.10.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Literatur und Kulinarisches: Denis Scheck mit dem Literarischen Salon in der Stadtbücherei

„Ich bin kein Feinschmecker – im Gegensatz zu meinem Hund, der riecht und schmeckt viel besser als ich!“, so beginnt Denis Scheck den Abend in der Stadtbücherei, wo er seinen „Kulinarischen Kompass“ vorstellt. In einer Mischung aus Rezepten, dann doch recht feinschmeckerischen Beschreibungen von Gerichten wie unbedingt bei 64 Grad gegarten Eiern mit Bottarga di Tonno, literarischen Zitaten und Buchempfehlungen plaudert der gebürtige Stuttgarter in der Augsburger Stadtbücherei. Und fühlt sich dabei sichtlich wohl.

Von Sabine Sirach

Marius Müller, Denis Scheck und Stefanie Wirsching (v.l). Foto: Sabine Sirach

Im Interview mit Richard Mayr von der Augsburger Allgemeinen verrät Scheck: Eine Mahlzeit zuzubereiten, sei wie eine Geschichte zu erzählen – und genau so erzählt er das auch. Seine Oma sei die erste Köchin von Theodor Heuss, also eine Profi-Köchin gewesen, und von ihr habe er viel gelernt. Sie würde ihn allerdings als „Blender-Koch“ bezeichnen, da er sich viel zu sehr auf exotische Zutaten verlasse.

Wie er dennoch Literaturkritiker geworden sei? „Ich habe gemeint, das sei ein stationärer Beruf, aber jetzt bin ich so 150 bis 180 Tage im Jahr unterwegs.“ Er lege generell viel Wert auf Illustrationen in Büchern und freue sich daher immer über seine Zusammenarbeit mit Torben Kuhlmann, der seine Bücher illustriert, aber auch die sensationellen Jugendbücher „Armstrong“, „Einstein“ und „Lindbergh“ gezeichnet hat.

Dann liest er aus seinem neuen Buch, dem „Kulinarischen Kompass“: Immer persönlich, ab und zu mit Rezept, mit manch drolligem Erlebnis. So wie in seiner Beschreibung des Nobel-Restaurants „Jules Verne“ im Eiffelturm, wo am Ende eines Streits an der Garderobe seine Oma eine salomonische Lösung findet. 

Denis Scheck mit seinem Kulinarischen Kompass Foto: Sabine Sirach

Schreiben und Kochen empfinde er gleichermaßen als Modus geschärfter Weltwahrnehmung, die Literatur sei für ihn ein Ausschnitt seiner Sinnlichkeit – wie auch die Behandlung von Zutaten in der Küche. Wie er ein Produkt öffentlicher Bibliotheken seit seiner Kindheit sei (er zitiert Helmut Schmidt: „Tankstellen des Geistes“), so seien auch gute Restaurants so etwas wie Wallfahrtsorte für ihn. Er schwärmt dann noch von Jahrgangssardinen (das Lieblingsgericht von Sterneköchen) und Gänsestopfleber („Es gib keinerlei moralische Rechtfertigung dafür, aber sie schmeckt einfach umwerfend!“). Natürlich hat er in seiner (IKEA-, nicht sauteuren Studio-) Küche einen Dampfgarer, aber sonst brauche man außer einem kleinen scharfen Messer eigentlich keine Küchengeräte. Das Nachdenken über Literatur und Kulinarik könne gleichermaßen nur zu Skrupeln führen; billiges Quälfleisch im Supermarkt gehe für ihn einfach gar nicht.

Nach der Pause ging es in der Stadtbücherei wie gewohnt weiter mit einer Vorstellung neuer Kinder- und Jugendbücher durch AZ-Redakteurin Birgit Müller-Bardorff. Sie ist eine bundesweit anerkannte Fachfrau für Kinder- und Jugendliteratur, war auch schon in der Jury für den deutschen Jugendliteraturpreis. Und sie hätte viel mehr Zeit und Raum für ihre Empfehlungen verdient! Diesmal stellte sie das „Buch vom Dreck“ vor; ein schönes, großes, gut illustriertes Buch über Sauberkeit und Hygiene auch für Erwachsene, in dem man sogar erfährt, wo Wörter wie „Seifenoper“ herkommen. Ihre weiteren Empfehlungen: „Trip mit Tropf“, ein total überdrehtes Comic-Abenteuer über Krankheit und Fürsorge, und „Dunkelnacht“ von Kirsten Boie – nominiert für den Deutschen Jugendbuchpreis, der diese Woche vergeben wird. Bitte unbedingt mehr davon – schließlich ist die Leseförderung für  Kinder und Jugendliche so wichtig!

Im Literarischen Salon diskutierten dann Marius Müller (Buchkritik-Blog „Buch-Haltung“), Kurt Idrizovic von der Buchhandlung am Obstmarkt und Stefanie Wirsching von der Augsburger Allgemeinen gemeinsam mit dem Gast Denis Scheck über aktuelle Roman-Neuerscheinungen. Bei dem Buch von Lauren Groff, „Matrix“, über ein Kloster im Mittelalter, das Eleonore von Aquitanien aufnahm, waren sich die Diskutanten nicht ganz einig, ob es sich nun um einen Science Fiction-, historischen oder feministischen Roman handle – oder gar über ein Handbuch für Management. Idrizovics Kritik über das absolut grauenvolle Cover des Buchs teilten aber alle, wie auch das Entsetzen darüber, dass in dem ganzen Roman kein einziger Mann eine Hauptrolle spiele! Denis Scheck plauderte dann einen der größten Fehler seines Lebens aus: Beim Vergleich von „Matrix“ fiel ihm vor allem Marion Zimmer-Bradley mit ihren „Nebeln von Avalon“ ein, die ebenfalls gerne als lesbisch-feministische Utopie gelesen werden. Scheck kannte sie während seines Studiums in Berkeley – und lehnte es ab, Zimmer-Bradley mit seiner damaligen Literaturagentur zu betreuen. Was für ein Fehler!

Stefanie Wirsching stellte „Zur See“ von Dörte Hansen vor, einen Roman, der das Auseinanderfallen einer dörflichen Gemeinschaft auf einer touristisch überrannten Nordseeinsel anhand einer Familiengeschichte porträtiert. Die Diskutanten fanden besonders den präzisen Blick auf das museal gewordenen Leben der Inselbewohner interessant und lobten Dörte Hansen als Chronistin dessen, was wir durch Tourismus und Kapitalismus verlieren.

Die Empfehlung von Kurt Idrizovic war „Der betrunkene Berg“ von Heinrich Steinfest; nach seiner Aussage „eins der merkwürdigsten Bücher aller Zeiten, naja, des letzten halben Jahres“. Sein Hilferuf, ob man ihm das Buch erklären könne, wurde nicht wirklich beantwortet. Marius Müller erinnert an andere geniale Titel des Autors, fragt sich aber angesichts der irritierenden Schreibweise auch: „Wie macht der das?“ Denis Scheck, der mit dem „sensationellen Maler“ und Autor von „Weltliteratur“ Steinfest befreundet ist, fasziniert vor allem, dass man bei ihm nie wisse, was auf der nächsten Seite passiere.

Die wunderbare Moderatorin Stefanie Wirsching fasste die Diskussion des Salons zusammen: „Wir haben hier drei Bücher, die an Orten spielen, die uns zu mehr Klarheit führen.“ Man hätte es nicht schöner sagen können.