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Sonntag, 24.03.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

MEINUNG

Kommentar zur Catcalls-of-Augsburg-Aktion: Agiert die Augsburger Polizei politisch?

Die beunruhigende Frage, ob es innerhalb der Augsburger Polizei eine organisierte politische Rechtslastigkeit gibt, steht im Raum, doch niemand scheint sich dafür zu interessieren. — Warum die Augsburger Politik viele Fragen und Themen zu oberflächlich behandelt.

Kommentar von Siegfried Zagler

Schriftlicher Protest mit Kalkkreide vor dem Rathaus – Bildquelle: privat

Besorgniserregend rechts war der Auftritt der Polizei und der Staatsanwaltschaft in ihrer skandalösen Selbstdarstellung via Pressekonferenz vor ziemlich genau einem Jahr in Sachen „Gewaltakt am Königsplatz“. „Der Blaulichtsektor hält zusammen“, so ähnlich meldete sich der staatliche Korpsgeist zu Wort. Nicht weniger erschreckend die Hilflosigkeit der Beamten, als es im Sommer in der Maximilianstraße darum ging, dafür zu sorgen, eine Versammlung des Partymobs aufzulösen, der sich um geltende Infektionsschutzverordnung einen Dreck scherte. Weder das eine noch das andere führte zu der notwendigen Frage, ob es eine politische Schieflage bei den Rechts- und Polizeibehörden in Augsburg gibt.

Die Gruppe „Catcalls of Augsburg“ wurde nun zu einer weiteren Geschädigten einer rechtslastigen Machtdemonstration des Augsburger Blaulichtsektors. Catcalls of Augsburg gehört zu einem Netzwerk weltweit agierender Frauenrechtsgruppen, die sich zu einer Bewegung gegen sexuelle Belästigung formiert haben. Die Bewegung dokumentiert mit Straßenkreide Vorfälle sexueller Belästigung direkt an den Tatorten. Ein Kreideschriftzug von Catcalls of Augsburg vor dem Rathaus sorgte gestern für einen Großeinsatz von Polizei und Feuerwehr, der unverständlich wirkt oder die Vermutung speist, dass es sich um eine Machtdemonstration handelte, die auf eine überwiegend rechte Gesinnung bei unseren Bayerischen Ordnungshütern schließen lässt. Deutliche Statements dazu gibt es dazu bisher lediglich von der SPD, den Linken, Die Partei und FW-Stadtrat Peter Hummel. Bisher kein Wort zu den skandalösen Vorgängen von den Grünen oder der CSU.

Zuerst wollten Polizeibeamte von Klimaaktivisten, die bekannterweise neben dem Rathaus campen, wissen, wer für den Kreidetext vor dem Rathaus verantwortlich sei. „Nachdem ich auf Catcalls of Augsburg verwies, bat die Polizei mich, trotzdem den Schriftzug zu entfernen. Passant*innen hätten sich von diesem belästigt gefühlt“, so Klimacamper Ingo Blechschmidt in einer von ihm verfassten Pressemitteilung.

Löschfahrzeug der Augsburger Feuerwehr zur Entfernung eines Kreidetexts, wofür auch ein Eimer Wasser genügt hätte. Bildquelle unbekannt

Nachdem ihre Bitte abgewiesen wurde, holte sich die Polizei Verstärkung bei der Feuerwehr: „Ein großes Löschfahrzeug sowie drei Polizeiautos rückten an, mindestens fünf Feuerwehrpersonen und vier Polizisten waren im Einsatz und spritzten Löschwasser über den Kreideschriftzug“, so Blechschmidt weiter. Eine DAZ-Mitarbeiterin, die zufällig vor Ort war, bestätigte den irrwitzigen Aufwand bei der Entfernung eines Schriftzugs, der mit wasserlöslicher Kreide gezeichnet war. Ein bis zwei Eimer Wasser hätten zur Entfernung genügt. „Da unsere Texte mit Kreide geschrieben sind, halten sie höchstens bis zum nächsten Regen“, so Aylin zur DAZ. Drei junge Frauen, Aylin Jana und Theresa sorgen für das Chalkback auf Augsburgs Asphalt.

Catcalls of Augsburg leistet Aufklärungsarbeit. Ihre Schriftzüge setzen schlagartig die Erkenntnis frei, dass sexualisierte Gewalt und Rassismus überall und jederzeit stattfinden. Auch hier in Augsburg. Die Verwendung von Straßenkreide auf Gehwegen ist eine kurzfristig angelegte Provokation politischer Art, die unter verfassungsrechtlichem Schutz stehen sollte, falls korrekt angemeldet. Bei einer großflächigen Kreideaktion von Abtreibungsgegner*innen am 27. September 2020 neben dem Manzù-Brunnen am Königsplatz griff die Staatsgewalt nicht ein und ließ rechte frauenfeindliche Sprüche auf Augsburger Erde stehen. Möglicherweise auch ein Indiz dafür, dass unsere Polizei nach einem rechtspopulistischen Muster agiert.

Ein unerträglicher Gedanke, der bisher von den Regierenden der Stadt Augsburg nicht in Erwägung gezogen wurde. Augsburgs Stadtregierungen schnitzen sich die Welt ohnehin am liebsten selbst. Als Oberbürgermeister Kurt Gribl 2009 die Imagekampagne „Lebe mich. Dein Augsburg“ erfand, wurden an zahlreichen Plätzen der Innenstadt seltsame Gute-Laune-Sprüche auf Stein geklebt, die den Zweck verfolgen sollten, den Augsburgern die Schönheit und die Lebensfähigkeit ihrer Stadt nahe zu bringen. Ganz so, als läge es allein an ihnen, mit ihrer Stadt glücklich zu werden. Es folgten Kuspo, eine kostspielige Teilnahme an einer Frauen-WM, Max-Feste, Sommerfeste, eine Skandalsanierung CFS und eine heillos zerstrittene CSU, die auf das OB-Marketing pfiff.

Imagekampagne der Stadt im Jahre 2009

Das ist in diesem Zusammenhang erwähnenswert, da sich Kurt Gribl in der Augsburger CSU durchsetzte und sich als Folge in den 12 Jahren der Gribl-Ära die Marketing-Masche in die Untiefen der Verwaltung einfräste. Politik wurde und wird mit Sahnehäubchen und Schleifchen verkauft, schwierige Entscheidungsprozesse bei der Energie-, Verkehrs-, Haushalts- und Kulturpolitik als ultima ratio einer unfehlbaren Stadtspitze vermarktet. Doch als wäre das nicht schlimm genug, rollte die Welle des schönen Scheins überall hin. Die Fugger, die Welser, Mozart, Brecht, die Friedensstadt, Luther, das Turamichele, der Stadtmarkt, die Historizität der Augsburger Wasserwirtschaft – und ja, sogar die Sonntage wurden vermarktet.

Eine Viruspandemie, eine Klimakatastrophe oder die mit Händen zu greifende Tatsache, dass die meisten Augsburger von Armut bedroht sind, bzw. längst darin angekommen sind, um ihre Jobs bangen oder ihre Minirente über die Sozialhilfe aufstocken lassen, dass es mitten unter uns Rassismus gibt, sexuelle Gewalt gegen Frauen und Kinder, passte und passt nicht besonders zur Geisteshaltung dieser Image- und Kampagnenpolitik, die in der realen Welt nicht zurecht kommt.

In Haltung, Sprache und konkreten wie falschen Priorisierungen (Sanierung Staatstheater, Fahrradstadt, Flughafen Mühlhausen, Gesundheitsamt) zeigt sich, dass die politische Kaste in Augsburg im Vorgestern der Selbstvermarktung stecken geblieben ist – und deshalb das Gespür und den Kopf für die brennenden Fragen im Heute verloren hat.

Augsburgs Oberbürgermeisterin Eva Weber ist zum Beispiel von dem Marketinggedanken durchdrungen, dass die Politik sich selbst verkaufen müsse, wenn sie Gutes tut, sich erklären müsse, wenn es hart und schwierig wird. – Allein ihr Versuch, das juristische Vorgehen der Stadt gegen das Klimacamp als einen unpolitischen Akt zu erklären, spricht Bände.

Politik ist die Kunst und die Wissenschaft des Machens. Sie muss keine Geschichten erzählen, sich nicht weitschweifig erklären, für sich werben. Sie muss entscheiden, muss das Machbare machen. Ob sie klug oder kurzsichtig agiert, falsche oder richtige Entscheidungen trifft, lässt sich bestenfalls von unabhängiger Seite kommentieren. Feststellen lässt es sich erst in der Zukunft.

Für Akteure (wie Klimacamp, FFF, Open Afro Aux, Catcalls of Augsburg, Grandhotel, Sanierungskritiker, Augsburg postkolonial, Fahradaktivisten und viele mehr) gilt der Satz, dass sie Antworten auf Fragen suchen, die von der Augsburger Politik zu oberflächlich bearbeitet wurden und werden. Mit ihrem Handeln, mit ihren Protesten zeigen diese Akteure offene Wunden und schwere Krankheiten der Augsburger Gesellschaften und ihren politischen Vertretern an. Sie sind mehr als nur der Stachel im Fleisch der Mächtigen, sie sind die Hoffnung auf eine bessere Welt, die Aussicht auf Zukunft. Ob sie wirkungsmächtig werden oder nicht, liegt an unserer Unterstützung.


update: Die Augsburger Grünen haben heute am frühen Abendauf auf ihrer FB-Seite angekündigt, dass ihre beiden Landtagsabgeordneten Cemal Bozoglu und Stephanie Schuhknecht eine Anfrage stellen werden, wie es zu diesem übertriebenen Einsatz kommen konnte.