DAZ - Unabhängige Internetzeitung für Politik und Kultur
Donnerstag, 18.12.2025 - Jahrgang 17 - www.daz-augsburg.de

Persilweiß – weißer ging’s nicht

Peter Weiss‘ Auschwitz-Stück „Die Ermittlung“ im Justizpalast

Von Frank Heindl

Mal Richter, mal Zeugen, mal Angeklagte: In Heike Franks Inszenierung wechseln die acht Schauspieler (hier Elna Lindgens und Olga Nasfeter und Thomas Kornack) fortwährend die Rollen.

Mal Richter, mal Zeugen, mal Angeklagte: In Heike Franks Inszenierung wechseln die acht Schauspieler (hier Elna Lindgens und Olga Nasfeter und Thomas Kornack) fortwährend die Rollen.


Ist das überhaupt Theater, was der Schriftsteller Peter Weiss 1965 aus den Protokollen des so genannten 1. Auschwitz-Prozesses zusammengestellt und unter dem Titel „Die Ermittlung“ zu einem „Oratorium in elf Gesängen“ verdichtet hat? Mit starken (aber notwendigen) Kürzungen und ein paar wirkungsvollen Kunstgriffen hat Regisseurin Heike Frank aus Weiss‘ Text eine bemerkenswerte Inszenierung gemacht. Ohne Weiss inhaltlich zu schaden, hat sie das Stück auf die Höhe der Zeit und auf die Bühne zurück geholt – ja, das ist Theater!

Im Oktober 1965 – nur wenige Monate nach Abschluss des Prozesses – hatte die „Ermittlung“ für heftige Emotionen im wiederaufgebauten Wirtschaftswunderland geführt. 15 Theater in Westdeutschland und der DDR hatten das Stück simultan uraufgeführt und dem Publikum nochmals vor Augen geführt, was während des dreijährigen Prozesses an den Tag gekommen war: Dass die Mörder aus Auschwitz, unter deren Verantwortung Millionen von Menschen zu Tode gekommen waren, diese Verantwortung leugneten. Als streng dokumentarisches Theater wiederholte Weiss‘ Stück in geraffter Form Ausschnitte des Prozesses, präsentierte exemplarische Aussagen von Zeugen und Angeklagten.

Seither sind 46 Jahre vergangen – so wie damals kann das Stück heute nicht mehr gespielt werden. Die Auschwitz-Prozesse (dem ersten von 1962-65 folgten zwei weitere) sind heute nicht mehr nur historischer „Endpunkt“ der versuchten Vernichtung der europäischen Juden, sondern gelten ebenso als Mit-Auslöser der Studentenunruhen wenige Jahre später – und gehören damit zum Beginn einer jahrzehntelangen Umgestaltung des politisch-gesellschaftlichen Lebens der damaligen Bundesrepublik. Eine aktualisierte Aufführung muss also die Zeit mit reflektieren, in der die Aufarbeitung der grauenhaften deutschen Vergangenheit alles andere als gern gesehen war.

Persilwerbung und der „Gesang von der Rampe“

Heike Frank tut dies, indem sie das streng Dokumentarische an Peter Weiss‘ „Oratorium“ unverändert bestehen lässt: Die Namen der Zeugen werden verschwiegen, weil sie in Auschwitz ihre Individualität verloren, zu Nummern wurden. Die Täter dagegen werden benannt, denn im Prozess geht es um individuelle Schuld und individuelles Versagen. Alles Theatralische muss fehlen – es soll das Unfassbare nicht gespielt, nur zitiert werden. Die Augsburger Inszenierung im Gerichtssaal des Alten Justizpalastes zeigt Täter und Opfer, Richter und Staatsanwalt. Acht Schauspieler (Dieter Goertz, Martin Herrmann, Eva Maria Keller, Thomas Kornack, Elna Lindgens, Olga Nasfeter, Eberhard Peiker und Christel Peschke) schlüpfen in wechselnde Rollen, tragen die Aussagen mehr oder weniger emotionslos vor, blättern in Textbüchern wie Chorsänger in ihren Noten.

Christel Peschke als Angeklagte, Thomas Karnack als Richter. Fotos: Nik Schölzel.

Christel Peschke als Angeklagte, Thomas Karnack als Richter. Fotos: Nik Schölzel.


Dazwischen aber flicht die Regisseurin kurze Filme (Videos: Conny Klar), in denen die frühen 60er wieder aufleben. Wenn, noch vor Beginn des eigentlichen Stücks, zum ersten Mal Fernsehreklame für Persil-Waschmittel schwarz-weiß von der Video-Leinwand flimmert, fühlen sich die Zuschauer zunächst erheitert. Dass hier nicht nur Wäsche gewaschen werden soll, ist schnell klar. Wenn jedoch, nach dem ersten „Gesang von der Rampe“ erneut für „Weiß, weißer geht’s nicht“ geworben wird, bleibt einem das Lachen schon im Hals stecken. Denn nun hat man bereits die Aussagen der Zeugen gehört, die an der Rampe von Auschwitz aus Viehwaggons geladen wurden. Und man hat die Aussagen des Zeugen vernommen, der vorgibt, keine Zeit gehabt zu haben, „mir den Inhalt der Züge anzusehen.“ Dem Publikum mag das Lachen vergangen sein – weil man es den Schauspielern kaum glauben würde, teilt die Videoleinwand sachlich mit, wie die Stimmung im Gerichtssaal war: „Die Angeklagten lachen“, heißt es wiederholt.

Mord, Totschlag, Folter – und die Angeklagten lachen

Auch dann noch, als es, etwa im „Gesang von der Schaukel“ ,um Mord, Totschlag, Folter geht, als davon die Rede ist, wie den Geprügelten das Blut aus den Hosenbeinen läuft, streiten die Angeklagten routiniert jede Verantwortung ab: „Meine Arbeit war ausschließlich administrativer Art.“ – „Davon war mir nichts bekannt“ – „Es gab keine besonderen Vorkommnisse“. Und: „Die Angeklagten lachen.“ Noch vor der Pause rezitieren die Schauspieler Zeugenaussagen, wie Frauen mit Röntgenstrahlen und Gebärmutterinjektionen zu Tode gequält wurden – zu viel für einige Zuschauer: Etliche Stühle blieben nach der Pause leer, und das konnte man niemandem verdenken. Denn in den Gesängen „vom Bunkerblock“, „vom Zyklon B“ und schließlich „von den Feueröfen“ kam das Unbegreifliche von Auschwitz noch einmal drastisch nahe, erlebte man klaustrophobische Gefühle beim Bericht vom tagelangen Stehen im Strafblock – vier Männer in einem Raum von 90 mal 90 Zentimetern mit nur einem kleinen Luftloch. Es ist das Verdienst von Weiss‘ Stück, dass man diesen Details nicht ausweichen kann. Gerade weil sie so sachlich und emotionslos rezitiert werden, mag in der Konfrontation mit diesen Zeugenaussagen die Flucht in abstrakten Diskurs und historischen Abstand nicht gelingen. Nur den Angeklagten gelang das – „das haben alles die Funktionshäftlinge alleine gemacht“, behauptet tatsächlich einer. Im Sommer 1944 wurden in Auschwitz täglich bis zu 20.000 Leichen verbrannt.

Dieses Ritual des Leugnens, des Abstreitens, des Von-nichts-gewusst-Habens führt die Inszenierung im zweiten Teil zu einem absurd-grotesken Höhepunkt: Die Schauspieler tragen nun weiße T-Shirts mit den Fotos der Schergen, die sie darstellen – und die Regisseurin lässt sie auf Tischen und Bänken tanzen und „davon geht die Welt nicht unter“ grölen – ein Alptraum von geifernden Mördern und Folterern, unfähig, die eigene Schuld auch nur zu erahnen: „Wir alle haben nichts als unsere Schuldigkeit getan.“ Ja, so war das, in den grauenhaften 50er- und 60er-Jahren: lauter Unschuldige, die den Wiederaufstieg ihres Deutschlands feierten. 22 Angeklagte hatte der 1. Auschwitz-Prozess, die übrigen Deutschen sangen „Davon geht die Welt nicht unter“, tanzten auf den Tischen und verbrauchten jede Menge Persil – weißer ging’s nun mal nicht. Zwei nervenaufreibende Stunden kulminieren in diesem Bild, und so verleiht Heike Frank einem dokumentarischen Text mit den Mitteln des Theaters neue Gültigkeit.

gesamten Beitrag lesen »



Jung gebliebene Justizposse

Premiere: Kleists „Zerbrochner Krug“ im Großen Haus Von Frank Heindl Arg zerkratzt sieht er aus, der Dorfrichter Adam. Doch auch wenn der Körper zerschunden und unausgeschlafen ist – einen hellwachen Geist hat Heinrich von Kleist seinem Dorfrichter Adam gelassen. Zurecht hat Regisseur Markus Trabusch im Vorfeld darauf hingewiesen, dass der schlaue Intrigant geradezu ein Paradebeispiel sei für Kleists These „Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden“: Der behende Fabulierer kann nur [...]

gesamten Beitrag lesen »



FCA vs. BVB 0:4

In einem von den Augsburgern schwach geführten Bundesligaspiel mussten die Luhukay-Schützlinge vor 80.720 Zuschauern in Dortmund ihre erste Klatsche hinnehmen. Von Alexander Süßmair Zum ersten Mal in der Vereinsgeschichte war der FCA in der Bundesliga beim amtierenden Deutschen Meister Borussia Dortmund zu Gast. Dass es dort nichts zu holen gab, war allen vorher klar. Allerdings öffneten die zu zuletzt eher schlechten Leistungen des BVB dem ein oder anderen FCA-Fan ein kleines Fenster [...]

gesamten Beitrag lesen »



Im Labyrinth der Grausamkeit

S'ensemble Theater: Heiko Dietz überzeugt als Kontrabassist Von Siegfried Zagler Es klingt abgedroschen und billig, lässt sich aber nicht vermeiden: „Der Kontrabass“ ist heute aktueller als in den Achtzigern, als Patrick Süskinds Ein-Mann-Stück das meistgespielte Bühnenstück in der deutschen Theaterszene war. In der Premiere zur Saisoneröffnung gelang es Heiko Dietz im S'ensemble Theater in der Kulturfabrik am vergangenen Samstag mit erstaunlicher – und beinahe an Routine grenzender - Leichtigkeit, die Balance zu [...]

gesamten Beitrag lesen »



CSU: Rosenkrieg endet am Dienstag

Von Siegfried Zagler In Süditalien galt (und gilt) das Eheversprechen als irreversible Angelegenheit. Marcello Mastroianni blieb trotz zahlreicher Affären bis zu seinem Tod mit seiner Frau Flora Carabella verheiratet. Für seine Rolle in dem Film „Scheidung auf italienisch“ (1961) bekam Mastroianni eine Oscar-Nominierung. Das Buch wurde für die Kategorie „bestes Drehbuch“ nominiert. Das Drehbuch bekam […]

gesamten Beitrag lesen »



Zukunft Augsburg: SPD startet Bildungsreihe

Am 28. September startete die SPD im Augsburger Rathaus den Auftakt einer neuartigen elfteiligen kommunalpolitischen Bildungsreihe für die Gestaltung der Zukunft in Augsburg. Das Mitglieder-Angebot, eigene Kompetenzen für kommunale Aufgaben zu stärken, nahmen gleich zwei Dutzend Engagierte an, freut sich Stadträtin Ulrike Bahr. Die Vorsitzende der SPD Augsburg sieht darin unter anderem ein Zeichen, dass […]

gesamten Beitrag lesen »



Neuer Kö: Stadtwerke starten mediale Offensive zum Netz in der Umbauphase

Von Februar 2012 bis Ende 2013 ist das Gleisdreieck am Kö für alle Straßenbahnen tabu, der Moritzplatz wird vorübergehend zum Verkehrsknoten. Um die Augsburger auf das Netz in der Umbauphase einzustellen, starteten die Stadtwerke gestern eine mediale Offensive – zeitgleich mit der Behandlung des Verkehrskonzepts für den ÖPNV und den MIV während des Kö-Umbaues im […]

gesamten Beitrag lesen »



FCA: In Dortmund droht die erste Klatsche

Von Siegfried Zagler Am morgigen Samstag (15.30 Uhr) bestreitet der FC Augsburg sein erstes schweres Auswärtsspiel in der Ersten Bundesliga. Nach den eher leichten Aufgabenstellungen in Kaiserslautern, Nürnberg und Berlin hängen nun für die Augsburger die Trauben in Dortmund richtig hoch, und zwar auch gerade deshalb, weil die Dortmunder bisher zu Hause vor ihrem fanatischen […]

gesamten Beitrag lesen »



Theatersanierung: Werkausschuss setzt ein Zeichen

Kulturreferent Peter Grab hat die Förderzusage des Freistaates in Sachen Theatersanierung als Auftrag an die Stadtregierung interpretiert, die Sanierung des Theaters politisch schnellstmöglich in trockene Tücher zu bringen. Der Werkausschuss folgte dem Ansinnen und verabschiedete am Montag einen Grundsatzbeschluss, der am heutigen Donnerstag dem Stadtrat vorgelegt wird. Nach dem Willen der Stadträte ab 2014 Wirklichkeit: […]

gesamten Beitrag lesen »



Gefangen mit und ohne Drogen

Judith Bohle glänzt im Hoffmann-Keller Von Frank Heindl Manche Verkäufer lächeln erkennbar nur, um uns etwas zu verkaufen. Die durchschaut man schnell. Andere sind von ihrem Produkt derart überzeugt, dass dieses freudige Strahlen aus ihrem Inneren zu kommen scheint. Denen gehen wir leicht auf den Leim. Hanna, unter der Regie von Fabien Alder dargestellt von […]

gesamten Beitrag lesen »



Städtische Werbeaufträge: Grüne vermissen Transparenz

Antworten auf einen genau ein Jahr alten Dringlichkeitsantrag vermisst die Stadtratsfraktion der Grünen. Es geht es um städtische Aufträge an externe Werbeagenturen. Städtische Imagekampagne „Lebe mich“ aus dem Jahr 2009 Die Anfrage, welche Agenturen seit Mai 2008 von der Stadt in welcher Höhe beauftragt wurden, hätte innerhalb von drei Monaten beantwortet werden müssen, so die […]

gesamten Beitrag lesen »



O Pannenbaum: Zwist um eine geplante Ausstellung der Stadtsparkasse

Um das „Wissen über Erhaltung und Entwicklung der Wälder zum Nutzen heutiger und künftiger Generationen zu fördern“, soll in der Kundenhalle der Stadtsparkasse eine Ausstellung stattfinden. Das Entrée soll in einen Wald aus echten Tannen verwandelt werden und die Tannen sollen im Rahmen eines Wettbewerbs von Künstlern geschmückt werden. Der kulturpolitische Sprecher der Augsburger SPD Dr. […]

gesamten Beitrag lesen »



« neuere Artikel ältere Artikel »

DAZ heute

Kurznachrichten

Kreative Auszeit vor Weihnachten: Acryl-Workshops mit Künstlerin Caro Keller



Die stressige Vorweih­nachts­zeit ruft nach einer kreativen Pause! Die Augsburger Künstlerin Caro Keller (CK Modern Art) lädt im Dezember zu insgesamt vier Acryl-Mal-Workshops ein, die eine kleine Flucht aus dem Alltag versprechen und helfen, ein persönliches Kunstwerk zu erschaffen. Die Intensiv-Workshops unter dem Motto „Kreative Auszeit, Paint your wish“ wollen die Chance bieten, den Alltags­stress […]

gesamten Beitrag lesen »



Neuer Mietspiegel jetzt gedruckt erhältlich



In der Bürgerinfo am Rathausplatz gibt es jetzt den gedruckten Miet­spiegel 2025 für Augsburg. Seit 1. Dezember steht er bereits online. Er gilt für die nächsten zwei Jahre. Screenshot, Quelle: Stadt Augsburg Der qualifizierte Mietspiegel informiert trans­parent über die ortsüb­lichen Ver­gleichs­mieten in Augsburg. Er zeigt die durch­schnitt­liche Miete für unter­schied­lichen Wohnraum. Damit ist er die Grundlage […]

gesamten Beitrag lesen »



Die letzte Lesebühne 2025 – Literatur zum Jahresausklang



Zum Abschluss des Jahres lädt die Lesebühne Augsburg am Donnerstag noch einmal zu einem lite­rari­schen Kurztrip ins Annapam ein. Von Bruno Stubenrauch Fünf Autor*innen präsentieren pointierte Texte – mal kriminell, mal ein bisschen böse, dann wieder romantisch und mit einem Hauch von Weihnachten. Die lite­rari­schen Quickies sorgen für Abwechslung, Über­raschungen und beste Unter­haltung. Wer noch […]

gesamten Beitrag lesen »



Zeichenkurs im Römerlager



Einen völlig anderen Zugang zu den Römerexponaten vermitteln die Kunst­sammlungen & Museen Augsburg am 4. Advent. Foto: KMA In einem Workshop können Interessierte beim gemein­samen Zeichnen einen genauen Blick auf die Aus­stellungs­stücke im Römerlager im Zeughaus werfen. Durch das Zeichnen eröffnen sich neue Per­spektiven auf die Objekte und man erhält einen tieferen Zugang zur Gestaltung und […]

gesamten Beitrag lesen »



„Fuggers Erbe“ – Ein Augsburger Thriller zum 500. Fugger-Jubiläum



Am 30. Dezember 2025, genau 500 Jahre nach Jakob Fuggers Tod, öffnet sich in der Augsburger St.-Anna-Kirche ein Jahr­hunderte lang verborgen geblie­benes Geheim­fach. Darin liegt ein ver­schol­lenes Testament, das die globale Macht­balance aus den Angeln hebt. Von Bruno Stubenrauch Screenshot fugger.world Das ist der Ausgangspunkt für „Fuggers Erbe“, den neuen Thriller von Dr. Florian M. Nebel. Was […]

gesamten Beitrag lesen »



Suche in der DAZ

  

DAZ Archiv

Dezember 2025
M D M D F S S
1234567
891011121314
15161718192021
22232425262728
293031