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Samstag, 05.07.2025 - Jahrgang 17 - www.daz-augsburg.de

Musik

Shockheaded Peter im Martinipark

Beißender Spott auf die Welt der Glitzer-Shows

Von Halrun Reinholz

Foto © Jan-Pieter Fuhr

„Ich bin hier nur der Papst, Sie dagegen sind Gott“. Diese Worte kommen aus dem Mund eines Moderators, des super-charismatischen Moderators einer dieser Casting-Shows, die kein Tabu und schon recht keine Privatsphäre kennen. Für 500.000 Euro kann man das auch nicht erwarten – Respekt, Feingefühl, Diskretion. Alles unbekannt in der Show „Shock the Peter“, wo es darum geht den Moderator Peter zu schocken, seine kühnsten Erwartungen zu übertreffen, und damit den „Golden Peter“ zu gewinnen.

Der „Struwwelpeter“, wohl das bekannteste Kinderbuch der Welt, wurde oft für seine vermeintlich rigide Pädagogik geschmäht, war  allerdings auch vielfach Grundlage für Parodien und Nachdichtungen. Die britische Band „Tiger Lillies“ machte daraus in den 1990er Jahren eine „Junk Opera“ durch die freche und schräge Vertonung der Originaltexte. Vor Jahren konnte das Augsburger Publikum diese Songs bereits als Ein-Mann-Show von Thomas Peters im seligen Hoffmannkeller erleben. Nun kehrt Shockheaded Peter in einer aufwendigen und zeitgemäßen Inszenierung auf der Bühne des Martiniparks nach Augsburg zurück.

Hausregisseur David Ortmann, der sich unter anderen auch den „Tatort Augsburg“ auf die Fahne geschrieben hat, zeigt mit dieser Inszenierung seine pfiffig-satirische Seite. Die bekannten schrägen Typen aus dem „Struwwelpeter“ in eine Casting-Show zu integrieren, ist tatsächlich ein stimmiger und adäquater Einfall. Eloquent und elegant mimt Julius Kuhn den Moderator, der die Zuschauer zunächst für das Applausometer  „brieft“ und sich entzückt zeigt über „so viele schöne Menschen“, die der Show beiwohnen.

Für 500.000 Euro, verrät er, werden die Kandidaten herausgefordert, an ihre Grenzen zu gehen. Dem Sieger winkt zudem noch eine goldene Figur des allbekannten Struwwlepeters, die sichtbar bereit steht. Und dann tauchen sie nacheinander auf, die Figuren aus dem Kinderbuch: Pauline, Kaspar, Friederich, Konrad und wie sie alle heißen. Deutlich erkennbar in überzeichneten und überdimensionierten Kostümen (Aylin Kaip) nach der Vorlage von Heinrich Hoffmann, mit pastös gezeichneten Frisuren und dick geschminkt. Pauline muss beispielsweise ihre Angst vor dem Feuer überwinden, was natürlich gründlich schiefgeht, und somit sieht man das aus dem Buch bekannte Asche-Häufchen mit den zwei roten Schuhen plötzlich auf offener Bühne.

Das bringt den eloquenten Moderator kurz aus dem Konzept, doch die Regie rät: Weitermachen. Die Asche verschwindet im Bühnenboden, ebenso wie nach und nach die folgenden Figuren, die bei ihrer „Performance“ pausenlos von Kameras bedrängt werden, während Homestories auf der Leinwand ihr Privatleben preisgeben. 

Ortmann hat sich für die einzelnen Charaktere Hintergrundgeschichten einfallen lassen, die ihr Verhalten erklären. So verbringt der Zappelphilipp (32 Jahre alt, wie er dem Moderator verrät) den ganzen Tag mit einer Zwangsjacke im Bett und darf genau fünf Minuten an die frische Luft, wie sein Vater, der auch „Erziehungsbücher“ schreibt, bereitwillig ausplaudert. Die „Bösen Buben“ Kaspar und Ludwig ziehen mit einer Fake-Fahne durch Augsburg (Lokalkolorit ist bei den Homestories immer dabei!) und pöbeln Leute an.

Schließlich wächst aber auch dem Moderator, der die Figuren gnadenlos vorführt, die Sache über den Kopf, der sinkende Applauspegel treibt ihn  zur Verzweiflung („Warum klatschen Sie nicht? Soll ich Ihnen einen Kaffee holen lassen?“) und mit Mitwirkung des bösen Friederich  verschwindet er schließlich als „Struwwelpeter“ im Bühnenboden. Was nicht heißt, dass die Show zu Ende ist. Plötzlich haben die Bandmitglieder Heiligenscheine auf den Köpfen – es geht im Himmel weiter, schräg und gut gelaunt. Die „Übertrittsfigur“ ist der fliegende Robert, der sich vom Sturm in die Lüfte erhebt und alle von den irdischen Zwängen befreit.

Die gute Laune kommt natürlich vor allem durch die Musik der Tiger Lillies, in Augsburg ausgeführt von der jungen Band Mount Adige, verstärkt durch die Tuba von Knalle Wall. Haus-Musiker Stefan Leibold sorgt für ein stimmiges Gesamtkonzept mit dem singenden und tanzenden (Choreografie: Ricardo Fernando persönlich!) Ensemble:  Elif Esmen, Gerald Fiedler, Florian Gerteis, Marina Lötschert  und Max Roenneberg erweisen sich in wechselnden Rollen als hoch musikalisch und beweglich. (Gerald Fiedler ausnahmsweise mit Saxophon statt Gitarre, auch das kann er!). Das glitzernde Show-Ambiente lässt aus dem erhobenen Zeigefinger gegen vermeintlich „ungehorsame“ Kinder aus Heinrich Hoffmanns Kinderbuch eine Meta-Welt entstehen, die die überdimensioniert wuchernden Casting- und Gewinn-Shows der modernen Medien mit beißendem Spott aufs Korn nimmt und als substanzlose Glitzerhüllen entlarvt.

Hochkarätiger Spaß von Anfang bis Ende!

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