Choreoloop auf der Brechtbühne: „Nimm (dir deinen) Platz!“
Mit der Tanzperformance „Nimm Platz“ präsentiert sich Choreoloop auf der Brechtbühne im Gaswerk
Von Halrun Reinholz
Sieben Tänzer stehen in einer Reihe auf der Bühne, wenn die Zuschauer den Saal betreten. Einer sitzt im Rollstuhl. Sie stehen beziehungslos nebeneinander, jede und jeder mit sich selbst beschäftigt. Zeigen Unsicherheit, Unbehagen, obwohl das Publikum zusieht. Denn, so das Credo der Choreografin Diana Wöhrl, Unsicherheit ist ein Potenzial. Statt Angstreflexe auszulösen, kann Unsicherheit der Raum sein, um neue Lösungsansätze zu finden. Einander beobachten, zuhören, Wege zueinander finden, Vertrauen aufbauen. Genau das vermittelt der Tanzabend „Nimm Platz!“ auf der Brechtbühne im Gaswerk. Es ist zunächst eine Aufforderung an das Publikum, genau hinzuschauen.
Denn was hier geboten wird, ist ganz offensichtlich das Gegenteil von „bella figura“, von eiserner Disziplin und undurchdringlicher Fassade, wie sie im klassischen Ballett oft vermittelt wird. Vermeintliche Leichtigkeit, erkauft mit hartem Training bis an die körperlichen und psychischen Grenzen, wird hier nicht vermittelt. Vielmehr zeigen die Tänzerinnen und Tänzer auf wummernde (tatsächlich auf die Dauer etwas nervige) Techno-Klänge auf jeweils sehr individuelle Art mit markanter Körpersprache von ihren Kämpfen und Rückschlägen, allein oder in wechselnden Gruppen.
Lachen und Weinen greifen ineinander über, plötzlich wechselt die Musik, es erklingen Samba-Rythmen, denen die Tänzer folgen. Die Botschaft kommt an: Unsicherheit lässt sich überwinden, wenn Unterschiede als solche anerkannt und akzeptiert werden. Eingestreute Texte ergänzen die stringente pantomimische Körpersprache der durchwegs hoch professionellen Tänzerinnen und Tänzer: Ricardo Campos Freire, Soleil Veronique Jean-Marain, Melanie López, Ivana Oršolic, Vito Vidovic Bintchende, Anna Zesakes. Das besondere Augenmerk gilt naturgemäß der Tanzleistung von Dergin „Stix“ Tokmak, der sich zwischen Rollstuhl und Krücken mit tänzerischer Präzision als gleichwertiger Teil des Ensembles erweist, das ihn wiederum spielerisch und kreativ, unterstützend und dennoch auf Augenhöhe selbstverständlich ins Geschehen integriert. Doch die Inklusion betrifft viele Aspekte des Lebens, nicht nur diesen offensichtlichen.
Zum Schluss spricht jeder und jede der Tänzerinnen und Tänzer einen Satz in der eigenen Muttersprache. Diversität ist überall, aber für das alltägliche Zusammenleben eher anregend, als hinderlich. Jeder hat seinen Platz, seinen Raum. Hier also die weitere, die eigentliche Bedeutung des Produktionstitels: „Nimm (dir deinen) Platz!“
Diana Wöhrl, in Wien ausgebildete Tänzerin, hat bereits im Jahr 2017 in ihrer Heimatstadt Augsburg den Verein „Choreoloop“ zusammen mit Korbinian Grabmeier (der sich um die Öffentlichkeitsarbeit kümmert) als Plattform für zeitgenössischen Tanz gegründet. Ihr Netzwerk umfasst eine Vielzahl professioneller Tänzerinnen und Tänzer aus aller Welt. Mit der Produktionsleitung von Johanna Drüszler und einer stringenten Dramaturgie von Petra Bergmann entstand das Projekt „Nimm Platz!“ in Zusammenarbeit mit dem Projekt „Plan A“ des Staatstheaters Augsburg. Es wäre schade, wenn es bei dem offensichtlich vorhandenen Potenzial mit den zwei Vorstellungen in Augsburg bereits wieder abgeschlossen wäre.