DAZ - Unabhängige Internetzeitung für Politik und Kultur
Dienstag, 26.08.2025 - Jahrgang 17 - www.daz-augsburg.de

Theater

Gregor Gysi: Demokratie muss wieder attraktiv werden

Gregor Gysis Theaterpredigt über Kunst, Religion und die Grenzen des Kapitalismus

Von Halrun Reinholz

Gysi auf der Kanzel von St. Anna (c) DAZ

Gysi auf der Kanzel von St. Anna (c) DAZ


Die „Theaterpredigt“, die seit dem Beginn dieser Spielzeit zu jeder Premiere eine prominente und kompetente Person des öffentlichen Lebens auf die Kanzel von St. Anna oder St. Moritz holt, hat die Aufgabe, Kunst und Religion zusammenzuführen, in ihren Wechselwirkungen auszuloten und damit auch die gesellschaftliche Relevanz von Kunstwerken, wie sie auf der Bühne dargeboten werden, zu thematisieren. Aus Anlass des Brechtfestivals und der Premiere des Brecht-Stücks „Der Untergang des Egoisten Johann Fatzer“ gab es eine besonders hochkarätig besetzte Theaterpredigt: Gregor Gysi war der angekündigte „Prediger“. Er sorgte dafür, dass die Annakirche schon weit vor Beginn der Veranstaltung bis auf den letzten Platz besetzt war.

Die aktuelle Augsburger Fatzer-Inszenierung hatte Gysi nicht gesehen, er erinnerte sich lediglich an die Inszenierung aus den 70ern von Heiner Müller im Berliner Ensemble. Deshalb ging er auch nicht weiter auf Einzelheiten  von Fatzer ein, sondern baute seine Ausführungen auf die Kernfrage des Brechtfestivals, das Verhältnis von Egoismus und Solidarität in der Gesellschaft und die Rolle, die Brecht dabei spielt. Wenn er auch damit kokettierte, dass „Politiker immer von Dingen reden, von denen sie nichts verstehen“,  zeigte sich den Zuhörern doch erwartungsgemäß ein Gregor Gysi, der – wie es sich für einen DDR-Sozialisierten gehört – sich bei der Beurteilung der gesellschaftlichen Relevanz von Brecht durchaus auf vertrautem Terrain befindet.

In diesen Zeiten, befand er, sei Brecht wieder „sehr modern geworden“, genau wie Marx, mit dessen Ideen man sich ungeachtet der real existierenden Traumata in Osteuropa zu Recht wieder auseinandersetzt. Auch Brecht erlebte die Desillusionierung der marxistischen Realität in der Sowjetunion und den Ländern des Ostblocks und bezeichnete Stalin mit der ihm eigenen Ironie als „verdienten Mörder des Volkes“. Umso mehr experimentierte er mit den utopischen Zügen des Marxismus, der damit wiederum Anklänge an das Religiöse hatte.

Die Auflösung des Dilemmas der Vermittlung sozialer Widersprüche glaubte Brecht im epischen Theater gefunden zu haben, wo der Zuschauer eine aktive Rolle spielte, statt sich mit idealen Figuren zu identifizieren. Er appelliert damit an die menschliche Vernunft, die die Balance zwischen Egoismus und Solidarität herzustellen imstande sein muss. Doch Gysi zweifelt daran, dass dieses marxistische Grundvertrauen in die menschliche Vernunft die Probleme der Welt zu lösen imstande ist. Die Widersprüche und Diskrepanzen sieht er in der heutigen globalisierten Welt sichtbarer denn je und die Typen, wie sie im Fatzer vorkommen, sind immer noch dieselben: Die Schwäche des Egoisten Fatzer lässt seinen Gegenspieler Koch hochkommen. Ein zunächst „heiliger“ Zweck bedürfe unheiliger Mittel, um „heilig“ zu sein und verliert dadurch seine Legitimation. Gysi schlägt den Bogen zur  gesellschaftlichen Realität des Kapitalismus, der einiges leisten kann, etwa eine florierende Wirtschaft garantieren oder Kunst und Forschung fördern. Was Kapitalismus seiner Ansicht nach nicht kann, ist: Kriege verhindern, soziale Gerechtigkeit sichern oder für ökologische Nachhaltigkeit sorgen. Hier versagen die Mechanismen, die auf Verkauf und Gewinn programmiert sind. Auch Demokratie ist aus der Perspektive des Kommerziellen unattraktiv, der ideelle Wert, den sie in repressiven politischen Systemen noch hatte, droht bei den nur über den Kapitalismus sozialisierten Generationen verloren zu gehen.

Als Fazit seiner Predigt mahnte Gysi, dass Demokratie wieder als Wert attraktiv werden müsse. Im übrigen stelle sich in der heutigen Zeit die Kernfrage, wie man vom Kapitalismus das übernehmen kann, was er für eine funktionierende Gesellschaft zu leisten imstande ist, ohne die Nachteile dessen, was er nicht kann. Gastgeberin Susanne Kasch, Stadtdekanin von St. Anna, hakte da ein und bekannte, dass genau dieser Spagat eines der wichtigsten Anliegen der kirchlichen Sozialarbeit sei.

Flankiert wurde die Gastpredigt auch diesmal wieder mit passenden künstlerischen Darbietungen. Diesmal natürlich Brecht. Ensemble-Mitglied Anatol Käbisch, der auch im „Fatzer“ mitspielt, hatte zwei der bekannten sozialkritischen Brecht-Songs im Gepäck: „Die Ballade vom Wasserrad“ und  den „Kälbermarsch“, die er mit Begleitung des Pianisten Piotr Kaczmarczyk interpretierte. “Freilich dreht das Rad sich immer weiter, dass, was oben ist, nicht oben bleibt.“

gesamten Beitrag lesen »



„Das unterscheidet das Denken vom Geschwätz“

INTERVIEW MIT BAZON BROCK Bazon Brock war in den Achtzigern zusammen mit Joseph Beuys ein Superstar des deutschen Feuilletonbetriebs. Aus der Position der Stärke, die bei Brock durch die Höhe der Intellektualität zu definieren ist, erforschte Brock die Substanz der Kunst und die Möglichkeiten der Erkenntnisfähigkeit – stets provokativ und treffsicher, ohne ins Dozieren abzudriften. […]

gesamten Beitrag lesen »



Fatzer-Premiere zum Brechtfestivalauftakt: Häschen, hüpf!

Drei Kritiker sorgen möglicherweise für drei unterschiedliche Kritiken. Die DAZ hat sich vorgenommen, die Augsburger Dramatisierung eines der bedeutsamsten Bühnentexte so genau wie möglich unter die Lupe zu nehmen. DAZ-Herausgeber Siegfried Zagler machte den Anfang, hier nun die Kritik von Halrun Reinholz. „Der Untergang des Egoisten Fatzer“ zum Auftakt des Brechtfestivals erschließt sich dem Publikum […]

gesamten Beitrag lesen »



Brechtfestival: Fatzer-Premiere zur Festival-Eröffnung wenig überzeugend

Drei Kritiker sorgen möglicherweise für drei unterschiedliche Kritiken. Die DAZ hat sich vorgenommen, die Augsburger Dramatisierung eines der bedeutsamsten Bühnentexte so genau wie möglich unter die Lupe zu nehmen. DAZ-Herausgeber Siegfried Zagler macht den Anfang, es folgen weitere Fatzer-Kritiken von Halrun Reinholz und Bernhard Schiller. Brechts 500-seitiges Text-Fragment „Der Untergang des Egoisten Johann Fatzer“ handelt […]

gesamten Beitrag lesen »



Stadttheater: Oscar-Nacht im hoffmannkeller

Das Schauspielensemble fiebert der 90. Oscar-Verleihung entgegen und lädt das Publikum am 4. März um 23 Uhr (bis in die Morgenstunden) in die Kellergewölbe des Theaters zum Public-Viewing ein „Die Zeit bis zur nächtlichen Liveübertragung wird dabei garantiert nicht lang, denn zu Beginn hilft ein musikalisch eingerahmtes Vorprogramm beim langsamen Warmwerden, inklusive Rotem Teppich, den […]

gesamten Beitrag lesen »



Der Mensch denkt: Gott lenkt

Der Brechtkreis veranstaltete ein Konzert zum 120. Geburtstag des Augsburger Dichters Von Halrun Reinholz In der Augsburger Barfüßerkirche, nur ein paar Schritte weg von seinem Geburtshaus, wurde Bertolt Brecht getauft und später konfirmiert. Ein würdiger Ort, seinen 120. Geburtstag zu begehen. Der Brechtkreis um seinen Vorsitzenden Dr. Michael Friedrichs hatte dafür nicht nur ein angemessenes Programm vorbereitet, […]

gesamten Beitrag lesen »



Fatzer stirbt im Martinipark

„Fatzer, das Fragment – Fatzer, das unaufführbare Stück – Fatzer, der Jahrhunderttext“, so die Chiffren eines Textfragmentes, das Heiner Müller zu einer Bühnenfassung transformierte, die nun das Augsburger Stadttheater als Kooperationspartner des Brechtfestival 2018 in einer überarbeiteten Fassung inszeniert. Ein „Jahrhunderttext“, so nannte Heiner Müller Brechts 500-seitiges Textgebirge, das um die Geschichte von vier Deserteuren […]

gesamten Beitrag lesen »



Nino Haratischwili erhält Bertolt-Brecht-Preis

Bertolt-Brecht-Preis 2018 geht an die Autorin Nino Haratischwili Der mit 15.000 Euro dotierte Bertolt-Brecht-Preis der Stadt Augsburg wird im Jahr des 120. Geburtstags Brechts an Nino Haratischwili für ihre Theaterstücke und ihren Roman „Das achte Leben (Für Brilka)“ vergeben. Die öffentliche Preisverleihung findet am Donnerstag, 19. April, um 20 Uhr im Goldenen Saal im Rathaus […]

gesamten Beitrag lesen »



Brechtfestival: Thieme geht auf Wengenroth los

Vor dem diesjährigen Augsburger Brechtfestival hat der bekannte Schauspieler Thomas Thieme (69) Festivalchef Patrick Wengenroth angegriffen. Wie aus einem Interview der Augsburger Allgemeinen mit Thieme zu entnehmen ist, habe Thieme dem Festival 2017 das Stück „Herr Puntila und sein Knecht Matti“ angeboten. Wengenroth soll auf das Angebot „überhaupt nicht geantwortet“ haben. Thieme gehörte unter dem […]

gesamten Beitrag lesen »



Gute Typen, aber wenig Leben

Theater Augsburg bringt die deutsche Erstaufführung des israelischen Stückes „Ein Kind träumt.“ Von Halrun Reinholz Eine Konstellation, die einem Schauer über den Rücken treibt: In ein idyllisches Familienleben mit einem friedlich schlafenden Kind schlägt unvermittelt und ohne Vorwarnung der Terror ein. Machtspiele, Grausamkeit, der Vater wird vor den Augen des Kindes erschossen. Eine Situation, die […]

gesamten Beitrag lesen »