Der Mensch denkt: Gott lenkt
Der Brechtkreis veranstaltete ein Konzert zum 120. Geburtstag des Augsburger Dichters
Von Halrun Reinholz
In der Augsburger Barfüßerkirche, nur ein paar Schritte weg von seinem Geburtshaus, wurde Bertolt Brecht getauft und später konfirmiert. Ein würdiger Ort, seinen 120. Geburtstag zu begehen. Der Brechtkreis um seinen Vorsitzenden Dr. Michael Friedrichs hatte dafür nicht nur ein angemessenes Programm vorbereitet, sondern auch zu einem Geburtstagsempfang eingeladen: Mit heißem „Schweden“-Punsch und Aufstrichen wurden die Brecht-Gratulanten verwöhnt. Der Punsch sollte sich als gute Vor-Wärmequelle für die doch sehr kalte Kirche erweisen.
Der Kirchenraum bot auch den Anlass für das Thema: Brechts Verhältnis zur Religion. „Der Mensch denkt: Gott lenkt. Keine Red davon!“ – Dieses Zitat des bekennenden Atheisten Bertolt Brecht lässt keinen Zweifel an seiner Haltung erkennen. Und dennoch hat er sich offensichtlich mit der Bibel und auch der Religion befasst – zumindest in seiner Kinder- und Jugendzeit. Die Barfüßerkirche spielte da eine wichtige Rolle. Pfarrer Martin Beck vom Augustanaforum erläuterte in einem kurzen theologischen Referat zum Thema der Geburtstagsveranstaltung die Umstände, die den jungen Brecht zu seiner pazifistischen und kirchenabgewandten Haltung geführt haben könnten. Die nationale Jubelstimmung im Vorfeld und zu Beginn des Ersten Weltkriegs – eine Zeit, die der junge Brecht mit wachem politischem Interesse verfolgte – wurde auch von den Kirchen mit verbreitet. Vor allem von den sogenannten „Nationalprotestanten“ unter den Pfarrern. Zu diesen gehörte auch Paul Detzer, der ab 1904 Pfarrer der Barfüßerkirche war und damit auch zuständig für den Konfirmandenunterricht von Bertolt Brecht.
Stellungnahmen zu den Themen Krieg und Frieden ziehen sich durch das gesamte Werk Brechts, dessen Leben im Schatten der beiden Weltkriege stattfand. Vor allem die Auswirkungen auf den Alltag und die Befindlichkeiten der betroffenen Menschen, Verteilung und Gerechtigkeit, waren seine Anliegen. Für das Geburtstagskonzert hatte Michael Friedrichs Gäste eingeladen, die dies eindrucksvoll belegten.
Allen voran Gina Pietsch aus Berlin, die Grande Dame der Brecht-Chansons in der DDR-Tradition, einst Studentin bei Gisela May und mit Ekkehard Schall befreundet. Mit Bühnenpräsenz und einem umfassenden Repertoire gab sie der Veranstaltung auf souveräne Art einen würdigen Schwerpunkt. Entscheidend trug dazu auch die sie begleitende Pianistin Christine Reumschüssel bei. Die beiden sind ein kongeniales und gut eingespieltes Team.
Im Gegensatz zu dieser Brecht-Nähe stand ein weiterer deutlich jüngerer Protagonist des Abends, Anatol Käbisch, seit dieser Spielzeit Schauspieler am Augsburger Theater. Seine Affinität zu Brecht entstand während seines Engagements beim Berliner Ensemble, deshalb präsentierte er sich beim Theaterfest im September mit dem „Wasserrad“. Der Einladung des Brechtkreises folgte er mit weiteren Gedichten, aber auch mit gesungenen Liedern, die bei ihm auch stimmlich ein beachtliches Potenzial zum Brecht-Interpreten erkennen ließen. Gina Pietsch äußerte sich jedenfalls nach dem Schlussapplaus sehr anerkennend über den jungen Kollegen.
Einen ganz anderen Zugang zu Brecht bekamen die Zuhörer jedoch von dem aus Kamerun stammenden Multi-Instrumentalisten Njamy Sitson präsentiert. Mit drei afrikanischen Trommeln und einer mit Wasser gefüllten Glasflasche als Flöten-Ersatz „spielte“ der Künstler eine Szene aus Brechts frühem Stück „Trommeln in der Nacht“ vor, deren Text er sozusagen musikalisch untermalte. Die Szene „Der Kriegsheimkehrer aus Afrika“ dürfte, wie Michael Friedrichs davor in einer kurzen Präsentation erläuterte, durchaus einen damals für Brecht aktuellen Hintergrund haben: Kamerun war zu der Zeit eine deutsche Kolonie, die durch den Ersten Weltkrieg an England bzw. Frankreich kam. Die unglaublich lebendige Performance von Njamy Sitson machte sie für das Publikum auch ohne Bühnendarstellung hautnah erlebbar.
Wie es sich für ein Geburtstagsfest gehört, wurde zum Schluss auch gemeinsam gesungen. Zumindest war das so von den Organisatoren beabsichtigt. Die „Kinderhymne“, die Brecht als (empfohlene) DDR-Hymne verfasst hatte, gilt bis heute als „Anti-Lied“ gegen jede Art von nationalistischer Überhöhung. Sie ist zeitlos aktuell, schaffte es aber auch nach der Wende nicht zur offiziellen deutschen Hymne. Offenbar ist sie auch wenigen geläufig. Da keine Texte ausgegeben wurden, hörte das Publikum Gina Pietsch und Anatol Käbisch beim Singen lieber nur zu.