Brechtfestival: Fatzer-Premiere zur Festival-Eröffnung wenig überzeugend
Drei Kritiker sorgen möglicherweise für drei unterschiedliche Kritiken. Die DAZ hat sich vorgenommen, die Augsburger Dramatisierung eines der bedeutsamsten Bühnentexte so genau wie möglich unter die Lupe zu nehmen. DAZ-Herausgeber Siegfried Zagler macht den Anfang, es folgen weitere Fatzer-Kritiken von Halrun Reinholz und Bernhard Schiller.
Brechts 500-seitiges Text-Fragment “Der Untergang des Egoisten Johann Fatzer” handelt von vier Deserteuren und dem Scheitern ihrer Revolutionsträume 1917/18. Am Freitagabend hatte das Stück in der Inszenierung von Christian von Treskow am Augsburger Stadttheater im Rahmen des Brechtfestivals Premiere. Eine insgesamt schwache Inszenierung wird von durchwegs guten Schauspieler-Leistungen vor dem Absturz ins Unerträgliche gerettet.
Von Siegfried Zagler
“Jahrhunderttext” nannte der letzte große Brecht-Exeget Heiner Müller Brechts Fragment. Es kreist um die Geschichte von vier Deserteuren: Fatzer, Koch, Büsching und Kaumann, die die Front verlassen und sich während des Winters 1917/18 in einem Keller in Mühlheim an der Ruhr verstecken. Sie warten auf die Revolution und auf eine neue Zeit, hoffen auf eine bessere Gesellschaft. Doch sie scheitern bereits beim Warten. Beim “Fatzer” gehe es um die “Zertrümmerung der Anschauungen durch die Verhältnisse” und die “lähmende Geschichte”, so Brecht selbst über sein nicht zu Ende geführtes Werk.
Es ist nicht sinnvoll, das Fatzer-Fragment aus dem prägenden Kontext des Ersten Weltkriegs herauszunehmen. Dieser Versuchung widersteht Christian von Treskow und er bleibt mit seiner Augsburger Bühnenfassung immer am Text Brechts, schafft nichts Neues hinzu und versucht gar, die poetischsten Textstellen hervorzuheben, indem er sie als Text zum gesprochenen Wort auf die Bühne beamt – wie man das von Facebook kennt.
Die Vernichtung des Bürgertums durch sich selbst mittels Bürgerkriegen sei eine gute Sache und notwendig, damit die großen Kriege aufhören. Das sagte so in etwa Lenin (“Was tun?”) und Lenins Manifest wurde von Brecht immer wieder als Folie für sein Werk verwendet, denn schließlich müsse die Partei nicht nur Interessen der Arbeiter vertreten, sondern auch die Rolle des Bürgertums auslöschen und übernehmen. Dass die Partei diesen Gedanken zu Ende führte und Staat wurde, hat zum kommunistischen Terror und zum Untergang des Sowjetkommunismus geführt. Nach dem deutschen Faschismus die zweite große Katastrophe der Zivilsationsgeschichte.
Die Unterdrückung des Individuellen, die Unterwerfung des bürgerlichen Pluralismus, um dem Gang des Gemeinwohls nicht im Weg zu stehen, ist ein ständig wiederkehrendes Motiv in Brechts Werk, das um die Dialektik des Fortschritts kreist. “Der Untergang des Egoisten Johann Fatzer” ist ein Paradetext hierfür. Koch (Klaus Müller), Büsching (Sebastian Müller-Stahl) und Kaumann (Gerald Fiedler) warten in ihrem Versteck auf Fatzer (Kai Windhövel), der Essen bringen soll, aber mit leeren Händen kommt und sie warten auf die Revolution, die natürlich nicht kommt. Was bleibt, ist Hunger, Terror und Tod.
Christian von Treskows misslungener Versuch, Brechts Text in eine stringente Bühnenfassung zu bringen, sollte aus Brechts Text etwas Selbstverständliches machen, eine gängige Antikriegs-Story mit Hase, dessen Symbolfähigkeit sich über das Programmheft erschließt. Dass dabei das Sprechen und Handeln der Protagonisten nicht plausibel wird, ist ein großes Manko der Regiearbeit. Merkwürdig tot, merkwürdig mühsam plätschert das Stück vor sich hin. Natürlich sind Soldaten nach drei Jahren an der Front traumatisiert, natürlich verarbeiten Menschen ihre Beschädigungen unterschiedlich und natürlich sind Deserteure von der Hoffnung beseelt, dass ihre Flucht nicht vor einem Erschießungskommando endet.
Doch bei Brecht ist die Desertion nicht die individuelle Flucht vor dem Krieg, sondern die einzige Hoffnung, die Abkehr vom Unmenschlichen und somit der moralische Imperativ der Menschheit, die aus Einsicht handelt. Fatzer aber kehrt sich vom Krieg ab, um von der Desertion zu profitieren. Das ist nach Brecht ein bürgerlicher Reflex, ein egoistischer Reflex, ist Schwäche und Verrat.
Das sperrige Werk wird nicht leichter verständlich, wenn man Textstellen an die Wand wirft und auf der Bühne Revolution-Scrabble spielt (Bühnenbild: Oliver Kostecka). Treskows Inszenierung bleibt unverständlich und verliert sich im Banalen. Großes Lob dagegen für das Schauspieler-Ensemble, das nicht überzieht und mit solider Darstellung überzeugt – und somit einen insgesamt ermüdenden Theaterabend ins gerade noch Erträgliche abschwächt. Höflicher Applaus in der nicht ganz ausverkauften Augsburger Interimsbühne im Martini-Park.