Fatzer-Premiere zum Brechtfestivalauftakt: Häschen, hüpf!
Drei Kritiker sorgen möglicherweise für drei unterschiedliche Kritiken. Die DAZ hat sich vorgenommen, die Augsburger Dramatisierung eines der bedeutsamsten Bühnentexte so genau wie möglich unter die Lupe zu nehmen. DAZ-Herausgeber Siegfried Zagler machte den Anfang, hier nun die Kritik von Halrun Reinholz.
“Der Untergang des Egoisten Fatzer” zum Auftakt des Brechtfestivals erschließt sich dem Publikum nur mühsam
Von Halrun Reinholz
Eine leere Bühne, im Hintergrund große Buchstaben: REVOLUTION in Spiegelschrift. Diese drehbaren Buchstaben sind das dynamischste am Bühnenbild von Oliver Kostecka in Christian von Treskows Inszenierung von Brechts Textfragment „Der Untergang des Egoisten Johann Fatzer“ – abgesehen von Video-Einspielungen, die sich aber angesichts der grassierenden Video-Flut bei Theaterinszenierungen in Grenzen halten und tatsächlich sinnvoll auf das Kriegsgeschehen an der Front verweisen.
Fatzer und seine drei Mitstreiter Koch, Büsching und Kaumann sind Deserteure im Ersten Weltkrieg, die in ihrem Versteck darauf warten, dass der Krieg zu Ende geht und dass die Revolution ausbricht, der „Krieg im Inneren“. Doch stattdessen gibt es Krieg unter ihnen, sind sie im Ausnahmezustand der Isolation und des permanenten Hungers einerseits aufeinander angewiesen, andererseits misstrauisch. In der Gruppe hebt sich Fatzer (Kai Windhövel) ab, der die Führungsrolle übernimmt und gleichzeitig auch für sich in Anspruch nimmt, eigenständig zu handeln. „Wir haben auf dich gewartet“, so der Tenor der anderen drei, und Fatzer antwortet nur: „Ich bin jetzt da.“ Kai Windhövel gibt den Egoisten in etwas heiser-schreiender Manier, wie auch insgesamt das Schreien Programm zu sein scheint in diesem Polit-Lehrstück.
Aus dem überbordenden, dennoch fragmentarisch gebliebenen Brecht-Text hat Heiner Müller seinerzeit eine dramaturgische Form geschaffen. Die Augsburger Inszenierung greift wiederum auf Brechts Material zurück, aus dem Dramaturgin Sabeth Braun einen „stringenten Handlungsverlauf“ zusammenstellt. Ohne erkennbare Chronologie sind Koch (Klaus Müller), Büsching (Sebastian Müller-Stahl) und Kaumann (Gerald Fiedler) immer wieder den Alleingängen Fatzers ausgesetzt. In einer dramaturgischen Schlüsselszene wird Fatzer von den Fleischern verprügelt und die drei stehen vor der Entscheidung, ob sie einschreiten sollen. Der intellektuelle Gegenspieler Fatzers ist Koch, der nicht nur in dieser Szene die Begründung für die Handlungen liefert. Die Darsteller, allen voran Klaus Müller, sind dabei überzeugend. Auch die Nebendarsteller mit teils mehrfachen Rollen – Ute Fiedler, Linda Elsner und Anatol Käbisch – flankieren das Geschehen mit wandlungsfreudiger (wenn auch oft plakativer) Emphase.
Dennoch kommt die Botschaft kaum beim heutigen Zuschauer an. Das Motto des diesjährigen Brechtfestivals hat hier Anleihe genommen: Egoismus versus Solidarität. Das Fatzer-Fragment, das in der Reihe der Brecht´schen Lehrstücke steht und wie etwa „Die Maßnahme“ mit Polit-Chören und Agitprop die Seelen der Zuschauer erreichen will, ist mit dieser Simplizität zum Scheitern verurteilt. Hier wäre es Aufgabe der Inszenierung gewesen, vom konkreten Geschehen im Ersten Weltkrieg hinauszugreifen auf die Gegenwart des globalisierten Kapitalismus, über einen weiteren Krieg und den real existierenden Sozialismus in Osteuropa hinweg. Die plakativen marxistischen Sprechchöre erweisen sich da eher als hinderlich für die zeitlosen Botschaften Brechts, die freilich auch im Fatzer vorhanden sind. Als Brückenschlag in die Gegenwart soll wohl der Punkrock-Song von Slime „Zu kalt“ verstanden werden. Der Egoist Fatzer greift dafür in der Manier eines Schlagerstars zum Mikro mit Sinn für die große Bühne und hat damit den Effekt für das Stück schon wieder verschenkt. Viel einfühlsamer erweisen sich da die musikalischen Einspielungen von Girisha Fernando und Andreas Rosskopf.
Die Drehbuchstaben in Spiegelschrift sind letztlich auch nicht wirklich aufschlussreich. Aus der spiegelbildlichen Revolution ergeben sich Wörter wie „Lover“ „Over“ oder auch „Not“. Genau so kryptisch das Ende im kollektiven Hasenkostüm. Das Programmheft verweist auf Joseph Beuys, der den Hasen sozusagen als Gegenpart des Humanismus, als das Kreatürliche, immer wieder Auf(er)stehende sieht, das „aus seiner Kuhle hüpft“. So wird es wohl sein.