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Mittwoch, 03.12.2025 - Jahrgang 17 - www.daz-augsburg.de

Musik

„Alte weiße Frau“ – Feminismus im besten Sinn

Natalie Hünig, Mitglied des Schauspiel­ensembles am Augsburger Theater, hat ihrem Publikum schon vielfach bewiesen, dass sie wandlungs­fähig und musikalisch außer­ordentlich versiert ist. Das bestätigt sich auch an dem „femi­nistischen Liederabend“ mit dem selbst­ironischen Titel: „Alte weiße Frau“, der als letzte Premiere in der Klein-Spielstätte „Altes Rock-Café“ in Kriegshaber über die Bühne ging. Ein fulminanter Abschied voller Über­raschungen für das amüsierte Publikum.

Von Halrun Reinholz

Mit blonder Lockenperücke, High Heels, vollbusig und im blauem Glitzerkleid kommt die Diva von hinten in den Saal und singt beseelt den Schlager von Vicky Leandros: „Nein, sorg dich nicht um mich, du weißt ich liebe das Leben.“ Wenn dann alle in seliger Schunkel-Laune sind, legt sie die Locken­perücke ab und lässt die Luft aus den Pseudo-Busen. „Das brauchen wir nicht mehr.“

Angepasste Prinzessinnen, die keinen Ärger machen

Foto: Jan-Pieter Fuhr

Eine feministischer Liederabend ist angesagt und Feminismus hat viele Facetten. Natalie Hünig setzt bei der Refle­xion über die Stärken der Frau erst einmal auf die Beob­achtungen die die vermeint­lich aufge­klärte moderne Frau unserer Zeit bei genauem Hinsehen stutzen lassen: Warum wird nie über die Klitoris gesprochen? Selbst in ana­tonmischen Dar­stellungen wurde sie bis vor etwa 30 Jahren unter­schlagen oder kleiner gezeichnet. Ein nutzloses Organ, dass nur der Lust dient, und sonst keine Funktion hat. Und welches Frauenbild wird bis heute etwa in Disney-Filmen vermittelt? Ange­passte Prin­zessinnen, die keinen Ärger machen und auf einen Prinzen warten. Sie kehrt die Rollen­bilder um und bittet zwei Männer aus dem Publikum, im Hintergrund Kartoffeln zu schälen, damit das Team zur Premieren­feier eine leckere Kartoffel­suppe genießen kann. Dazu erklingt die Melodie zum berühmten 50er-Jahre-Schlager: „Das bisschen Haushalt macht sich von allein.“ In die gleiche Kerbe schlagen die „Tipps zum Mikro­feminismus im Alltag“, die wie Lose in einem Glas gezogen werden können. „Männern die Tür aufhalten“, steht da zum Beispiel. Oder: „Die Armlehne im Kino selber besetzen“.

In schneller Folge wechselt Natalie Hünig die Themen und nach und nach auch das Outfit: Unter der Locken­perücke Gretchen­zöpfe, die bald einer wilden Mähne weichen, geeignet für die rockigen Nummern, die sie auf der E-Gitarre begleitet. Dass die Begleitband aus lauter Männern besteht, wird gleich am Anfang scherzhaft thematisiert: sie habe sie Vicky Leandros abgekauft. Tilmann Herpichböhm am Schlagzeug, Philipp Heuermann an der Gitarre und vor allem der oft mit singende oder mit­sprechende Theater­musiker Stefan Leibold am Keyboard sind kongeniale Partner der „Alten weißen Frau“, die das Programm zusammen mit Max Sauer konzipiert hat und sich gelegentlich auch selbst ans Schlagzeug setzt.

Eintauchen in die Familiengeschichte

Die Musik passt zu Natalie Hünigs Erfahrungs­horizont, der Soziali­sation in den 80er und 90er Jahren, doch es gleitet auch mal in die 70er und greift in die Gegenwart. Ihr Frauenbild ist geprägt von der Familien­geschichte: unkonventio­nelle und starke Großmütter, ein allein­erziehender Vater, eine israelische Mutter und eine Stiefmutter mit eigener Arztpraxis. Keine Puppen, aber Fußball­training und schon früh eine Tochter und dann noch eine. Die Texte sind teilweise sehr persönlich, tauchen in die Familien­geschichte. Natalie Hünig entblößt sich – nicht nur verbal. Während sie sich auszieht, liest ihre Stimme einen Text von Patrick Rupar vor, ihrem Ehemann, der sie in ihrer Stärke und ihren Wider­sprüchen beschreibt.

Als Schauspielerin fürchtet sie die kritischen Blicke auf ihr Äußeres nicht. Doch sie beobachtet immer wieder, dass Frauen unreflek­tiert darauf reduziert werden. Sie hat Kolle­ginnen gezielt nach ihren Erfah­rungen befragt, einige der Aussagen sind neben der Bühne zum Nachlesen ausgehängt und zeigen Er­schreckendes: „Sie sind aber mutig, ihr Gesicht in dem Alter so nah filmen zu lassen.“ „Für eine Komödie haben Sie zu wenig Busen.“ „Kann man für die Rolle nicht eine Schlankere wählen?“ Männer können unvoll­kommen sein, das macht sie interessant. Frauen haben eine eingebaute Selbst­zensur – zu fett, zu faltig.

Zum Schluss wird’s politisch

Die „Alte weiße Frau“ versteht den Feminismus nicht als Kampf. Ihre Beob­achtungen sind eine Grundlage für Kommuni­kation. Nicht gegen­einander, sondern mit­einander müssen Lösungen gefunden werden, die kreativ und für alle sinnvoll sind. Davon profitiert nicht nur das Mit­einander der Ge­schlechter. Zum Schluss wird Natalie Hünig nämlich politisch, sie singt mit der Band ein Lied der israelischen Sängerin Noa, die für eine versöhnliche Haltung im israelisch-palästi­nen­sischen Konflikt plädiert. Sie werde dafür von beiden Seiten angefeindet, Ausgleich und Kommu­ni­kation sind nicht erwünscht.

Ein grandioser Liederabend – klug und frech, humorvoll und versöhnlich und das alles auf hoch professio­nellem Niveau. Nur drei Vor­stellungen gab es im Alten Rock Café. Bleibt zu hoffen, dass das Theater bald wieder eine kleine Studio-Spielstätte an Land zieht, denn dieses Programm verdient unbedingt eine Wiederaufnahme.

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