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Freitag, 20.06.2025 - Jahrgang 17 - www.daz-augsburg.de

Dürrenmatts Kleinbürger – das sind wir

Premiere: „Der Besuch der alten Dame“ im Großen Haus

Von Frank Heindl

Strahlende Selbstgerechtigkeit: Die Damen (Philipp von Mirbach und Eberhard Peiker) brezeln sich auf, der Herr steigt auf teurere Zigaretten um (Toomas Täht), Albert Ill (Walter Galas im Hintergrund) macht gute Miene zum bösen Spiel und muss wenig später dran glauben.

Strahlende Selbstgerechtigkeit: Die Damen (Philipp von Mirbach und Eberhard Peiker) brezeln sich auf, der Herr steigt auf teurere Zigaretten um (Toomas Täht), Albert Ill (Walter Galas im Hintergrund) macht gute Miene zum bösen Spiel und muss wenig später dran glauben.


Den ersten Lacher hat Toomas Täht für sich. Mit seinem Auftritt beginnt die Augsburger Inszenierung von Friedrich Dürrenmatts „Besuch der alten Dame“. Der Autor sieht hier eigentlich vier Personen vor – und vielleicht ist das der Grund, wieso Täht proletenhaft, ungehobelt und vulgär für vier sein muss. Er lümmelt im Morgenmantel herum, trinkt Dosenbier, puhlt zwischen seinen Zehen, bohrt in der Nase – da wird noch gelacht – und kratzt sich am Hintern – da ist es schon zu viel.

Die Bewohner der Kleinstadt Güllen sind von Dürrenmatt nicht per se als lächerliche Figuren gedacht. Kleine Leute eben, denen das Wasser bis zum Hals steht: Arbeitslosigkeit, Pleiten, Niedergang – kaum ein Zug hält mehr hier. Bis dann die „alte Dame“ eintrifft, Claire Zachanassian (Eva Maria Keller), geb. Wäscher. Der allseits beliebte Albert Ill (Werner Galas), derzeit Kandidat für das Bürgermeisteramt, hatte sie vor vielen Jahren geschwängert, dann aber eine andere geheiratet und Claire als Flittchen denunziert. Claire ihrerseits hat reich geheiratet und kehrt nun zurück, um auf ihre Art Gerechtigkeit zu fordern: Eine Milliarde für Güllen und seine Bewohner, so ihr Angebot, gegen den Tod von Ill. Den Sarg hat sie schon mitgebracht.

Wie nun diese Kleinstädter zunächst entrüstet ablehnen, dann aber allmählich dem Gedanken an das ganz große Geld erliegen – das ist der „komische“ Anteil dieser Tragikkomödie: Wie sie sich allmählich zu Handlangern und Gesinnungsgenossen der Milliardärin machen, wie sie – vom Polizisten bis zum Pfarrer, vom erklärten Humanisten bis zum Schnaps trinkenden Proletarier – ihre Grundsätze nach und nach über den Haufen werfen, um schließlich guten Gewissens einen Mord im Namen der „Gerechtigkeit“ begehen zu können. Die Anstifterin muss gar nichts mehr dazutun: Sie sitzt oben auf den sieben Stufen von Franziska Bronkamms Bühne und genießt den Lauf der Dinge – Beobachterin und Herrscherin in einem.

Eine eingefügte Szene bleibt Fremdkörper

Noch ist der Sarg leer. Die Rächerin Claire Zachanassian (Eva Maria Keller) und ihr Butler und Richter (Anton Koelbl). Fotos: A.T. Schaefer

Noch ist der Sarg leer. Die Rächerin Claire Zachanassian (Eva Maria Keller) und ihr Butler und Richter (Anton Koelbl). Fotos: A.T. Schaefer


Wie der Kleinbürger für ein paar materielle Vorteile seine moralischen Maximen preisgibt – das ist eines von Dürrenmatts Themen. 1956, als er das Stück schrieb, waren die Erinnerungen an Nazideutschland noch lebendig, war der strenge moralische Appell des Stückes auch ein lauter Vorwurf an die Zuschauer. Diese nur scheinbar verloren gegangene Aktualität versucht Regisseur Fabian Alder mit einer eingefügten Zwischenszene wieder herzustellen: Die Schauspielerin Judith Bohle trägt ein Lob des Kapitalismus vor, dessen immanenten Lügen gar nicht so leicht zu erkennen sind – und genau aus diesem Grund als Gewissensberuhigung dienen können.

Doch die Szene bleibt ein Fremdkörper in Alders Inszenierung – sie macht vor allem deutlich, dass dem Regisseur keine inszenatorischen Mittel eingefallen sind, um Dürrenmatts Text ins Heute zu holen. So schablonenhaft vulgär, wie Toomas Täht zu Anfang agieren muss, so klischeehaft sind auch die anderen Rollen ausgeführt. Die Gemeinde stattet sich – in Vorwegnahme der großen Geldspende – mit Konsumgütern aus: Statt Schnaps wird nun Cognac getrunken, zunächst kauft man neue Schuhe, später auch Pelze. Man spielt Tennis. Man geht ins Kino. Und die Unterschicht trägt Krawatte – das sind Insignien des Aufstiegs, die Jugendliche verstehen, die seit Jahrzehnten mit Dürrenmatts Dramen ins Nachkriegstheater eingeführt werden. Alders Inszenierung wirkt über lange Strecken, als sehe sie hier ihr Zielpublikum.

Konsum als Volksverdummung – wie eh und je

Auch beim Argument des „billigen Atomstromes“ geht es um nicht viel mehr als um die unzähligen absurden Joghurtsorten, deren atemlose Aufzählung Olga Nasfeter als Ills Frau zu Recht stürmischen Szenenapplaus einträgt: Konsum als Selbstzweck und Massenverdummung. Doch während wir Zuschauer darüber lachen, schmelzen in Japan die Brennstäbe, ertrinken arabische Boatpeople vor den abgeriegelten Küsten Europas, exportiert Deutschland Waffen in die Länder, aus denen diese fliehen. Und vor den Kameras erklären Bürger und Politiker noch immer, dass all dies genau so sein muss – lauter Bewohner der Kleinstadt Güllen, die ihren Namen nicht zufällig trägt.

Dürrenmatt hat Recht wie eh – man hätte das deutlicher zeigen können. Am schlechtesten lassen sich die Parallelen aber demonstrieren, wenn die Handelnden von vornherein als sich am Hintern kratzende Proleten denunziert werden, wenn man uns Zuschauern gleich mal zeigt, dass wir selber die besseren Menschen sind. Dürrenmatts Stück hätte Möglichkeiten für erkenntnisorientierte Schärfe, für polarisierende Kritik geboten. In einer mutigen Inszenierung wäre uns das Lachen im Hals stecken geblieben, anstatt sich an harmlosem Gehampel auszulassen. Güllen, das hat Regisseur Alder eine Woche vor der Premiere betont, habe Dürrenmatt nicht in der Schweiz lokalisiert. Er habe von einer süddeutschen Kleinstadt gesprochen: „Das ist hier!“, hatte Alder betont. Dürrenmatts Kleinbürger, diese Erkenntnis hätte dazugehört, das sind wir.

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Halbzeitbilanz im Baureferat: Der Teamplayer

Als letzter aus der Referentenriege präsentierte am gestrigen Montag Gerd Merkle seine Halbzeitbilanz. Im Kreis seiner wichtigsten leitenden Mitarbeiter gab sich der Baureferent im Offizierskasino auf dem Sheridangelände als echter Mannschaftsspieler. Elias-Holl-Platz: Siegerentwurf bbz Landschaftsarchitekten mit atelier pk "Es gibt eigentlich keine Halbzeit, wir agieren normalerweise in Zeiträumen von Jahrzehnten", so der Baureferent, dessen berufliche Laufbahn in Augsburg 1993 im Stadtplanungsamt begann. Rund 200 Millionen Euro Gesamtinvestition im Bereich Hoch- und Tiefbau [...]

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Wie der Familienbetrieb den Bach runter geht

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Gundremmingen: Stadtrat drückt sich um Forderung nach Abschalten

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Gerechtigkeit – ein tragischer Witz

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Kurzkritik zur Nacht: Premiere bei Dierig

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Fühlbare Farbströme

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Auch Augsburg beteiligt sich am kommenden Samstag, 26. März an der weltweiten Aktion „WWF Earth Hour“. Ab 20 Uhr schalten weltweit tausende Städte für eine Stunde die Beleuchtung an öffentlichen Gebäuden und Sehenswürdigkeiten aus. Die Aktion will ein starkes Zeichen für den Klima- und Umweltschutz setzen und zeigen, dass beides erfolgreich geschützt werden kann, wenn […]

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Stadtrat: Nächtliches Verkaufsverbot für Alkohol an Tankstellen

Der Stadtrat plant in Augsburg den Tankstellen den Zapfhahn abzudrehen. Nicht für das umstrittene „Bio-Benzin“ E10, sondern für alkoholische Getränke, nachts zwischen 22 und 6 Uhr. Im Jugendhilfeausschuss der Stadt wurde ein eingeschränkter Verkauf für Alkohol in dieser Form als Bestandteil eines Präventionsprogramms beschlossen. Das letzte Wort hat nun der Stadtrat. Quer durch alle Fraktionen […]

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„100 Tage Linie 6 – und sie fährt immer noch“

Mit diesem Scherz leitete OB Dr. Kurt Gribl die gestrige Pressekonferenz zur neuen Straßenbahnlinie nach Hochzoll ein und stapelte damit tief. Die Linie 6 fährt nicht nur, sie befördert bereits 21.000 Fahrgäste täglich, genauso viel wie die fünf Altbuslinien vor dem 12. Dezember 2010. „Für ein vom Nahverkehr bereits erschlossenes Gebiet ist das für die […]

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DAZ heute

Kurznachrichten

Ein Tastenzauber – Klavierkonzert der jungen Exzellenzpianisten des LMC am 25. Juni im Parktheater



Bereits zum fünften Mal präsentieren ausgezeichnete junge Pianistinnen und Pianisten des Leopold Mozart College of Music der Universität Augsburg (LMC) Meisterstücke der Klavierliteratur.  Frédéric Chopin hat mit seiner Klangsprache einen bedeutenden musikalischen Fußabdruck in dieser Welt hinterlassen. Sein künstlerisches Werk inspiriert Musikerinnen und Musiker bis heute und sorgte für Begeisterung und Aufruhr unter Komponisten zu […]

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Hinauf ins Grüne! – 30. Deutsche Baumklettermeisterschaft 2025 an diesem Wochenende in Augsburg



Ein besonderes Highlight in den Wipfeln der Bäume gibt es an diesem Wochenende in Augsburg zu erleben. Am heutigen Freitag und am Samstag treffen sich Baumkletterer aus ganz Deutschland im Wittelsbacher Park zum Wettkampf um die Meisterschaft.  Seit 30 Jahren veranstaltet die ISA Germany e.V. als ehrenamtlicher Naturschutzverein diese Meisterschaft, jährlich an wechselnden Standorten. Am […]

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Klimagewinner Zoo



In seinem aktuellen Newsletter 05/2025 präsentiert sich der Zoo Augsburg als klarer Klimagewinner. Der April 2025 war der besucherstärkste seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Der Zoo formuliert es im Abschnitt „.. und sonst“ seines Newsletters zwar minimal anders, aber nicht weniger deutlich: „Mit fast 90.000 Besuchern war der April der besucherstärkste den es wohl jemals gab. […]

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Gedenkjahr 1525: Das Fugger- und Welser-Erlebnismuseum widmet sich dem „Bauernkrieg“



Halb Deutschland gedenkt der Revolution von 1525. Landesausstellungen in Thüringen, Sachsen-Anhalt, Reinland-Pfalz und Baden-Württemberg verleihen dem bedeutenden Ereignis prominenten Raum und auch das Land Bayern hat ihm eine eigene Ausstellung in Memmingen gewidmet. Nur in Augsburg scheint man sich schwer zu tun mit dem gemeinen Volk und dem Krieg. Obwohl Augsburgs Jakob Fugger durch seine […]

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3. Vielfalt Film Festival

Auch in diesem Jahr flimmert zum Abschluss der Internationalen Wochen gegen Rassismus in Kooperation mit dem Augsburger Filmbüro das Vielfalt Film Festival über die Leinwand. Die acht Festivalfilme (30. März – 4. April) werden von verschiedenen Kooperationspartnern präsentiert, die nach den Vorstellungen zu Filmgesprächen einladen. Der Flyer:

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