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Freitag, 23.05.2025 - Jahrgang 17 - www.daz-augsburg.de

Kommentar

Augsburg und die Legende vom heiligen Fugger 

Die Stadt Augsburg und die Fuggerschen Stiftungen feiern wieder einmal gemeinsam ein 500-Jahre-Jubiläum. Die historische Problemfigur Jakob Fugger soll erneut als Lichtgestalt auf die Stadt abstrahlen und dabei auch noch als angeblich innovativer Denker und Sozialreformer in die Zukunft wirken. Peter Bommas nennt das Geschichtsklitterung und empfiehlt zur Revision einen Museumsbesuch.

Kommentar von Peter Bommas

In Zeiten von Trump und Musk, wo Geld, Macht und Gier die Politik bestimmen, den alten Fugger und sein über Jahrhunderte waberndes Nachbeben hochzuhalten, ja abzufeiern und Augsburg als Medaille umzuhängen, ist mehr als grotesk, passt aber zum Verkauf politischer Souveränität und Wahrhaftigkeit an Marketingspezln. Es scheint in Augsburg in Vergessenheit geraten zu sein, wofür der „Fugger“ in den 70er, 80er und 90er Jahren stand – ein Symbol als Eintrittskarte in die Abhängigkeit, die Währung für ein Gramm H – nicht nur am Königsplatz. Wenn heute mit der Marketingidee „Fuggerei der Zukunft“ für ein soziales Vorzeige-Modell in Afrika geworben wird, das in Drittweltstaaten Armut und Wohnungsnot lindern soll, gefeiert als soziale, postmoderne Wohltat, so erinnert das doch sehr an die aktuellen, trumpschen Allmachtsphantasien, des Gottvaters des Geldes und der Macht, quasi eine evangelikale Reinkarnation des Jakob Fugger.

Der Godfather von Ausbeutung und Krieg
Der war im ausgehenden Mittelalter und heraufziehenden Frühkapitalismus der mächtigste Mann in Europa und damit der damaligen eurozentristisch definierten „Welt“, hat Kaiser und Könige finanziert und abserviert, war der Godfather von Ausbeutung und Krieg. Hat sich lustig gemacht über das „Volk“, die Niederlage der Bauern im Bauernkrieg 1525 gefeiert und mitfinanziert – der ersten noch vordemokratischen Erhebung gegen das Feudalsystem.

Heiligenbild (Grafik: DAZ)

Heiligenbild (Grafik: DAZ)

Ebenso skrupellos die Zurichtung des „niederen Volks“ im heiligen römischen Reich deutscher Nation, das sich totschuften durfte in Bergwerken und frühkapitalistischer Heimarbeit. Zur ideologischen Rechtfertigung seines „Lebenswerks“ hat er sich gemein gemacht mit der mächtigen römischen Kirche und ihrem Unterdrückungs- und Verblendungsapparat. Dieses – realistische, historisch legitimierte – Fuggerbild ist in der wissenschaftlichen Forschung und im Lehrbetrieb schon lange bekannt und gründlich dargestellt. Das von zahlreichen Schulklassen besuchte, kleine, aber feine Fugger- und Welser-Museum in Augsburg legt dafür dankenswerterweise Zeugnis ab und zeigt uns das wahre Fuggerbild.

Jeder von diesem vor fünfhundert Jahren wütenden Machtmenschen beeindruckte Fugger-Fan, alle Lobhudler auf das als cleveres Geschäftsmodell initiierte Wohn-Projekt der Fuggerei – kleinhäuslerische Vereinzelung von prekärer Heimarbeit, nun bettelarmen „failed states“ mit dubiosen Versprechungen dargeboten als Projekt eines „Zusammenlebens der Zukunft für Entwicklungsländer“ (siehe die gründliche Recherche von Bernhard Schiller in der DAZ zu dem Projekt in Sierra Leone), möchte doch bitte einen Museumsbesuch machen. Und sich dort die Wirkungen Fuggerschen Wirtschaftens, Geldanhäufens und menschenverachtenden Handelns vor Augen führen.

Eine eher glanzlose Gegenwart, in der es nichts zu feiern gibt
Wer dort war und aufmerksam die Stationen betrachtet hat, der kann nicht mehr goutieren, was wichtige Teile der Augsburger Stadtgesellschaft partout festhalten wollen: Jakob Fugger als Lichtgestalt, als Identifikationsfigur für eine an der Armutsgrenze dahinsiechende Stadt mit maroden Schulen, Kitas, Sportplätzen, Schwimmbädern und ihre – zu fast fünfzig Prozent migrantischen – Bewohnerinnen und Bewohner, die nach über fünfhundert Jahren noch immer abstrahlen soll auf eine eher glanzlose Gegenwart. Es gibt nichts zu feiern! Diese kritiklose Lobhudelei auf einen frühneuzeitlichen Potentaten ist pure Geschichtsklitterung.



Bauernkrieg 1525 / Veranstaltungshinweis

Gedenkjahr 1525: Das Fugger- und Welser-Erlebnismuseum widmet sich dem „Bauernkrieg“

Halb Deutschland gedenkt der Revolution von 1525. Landesausstellungen in Thüringen, Sachsen-Anhalt, Reinland-Pfalz und Baden-Württemberg verleihen dem bedeutenden Ereignis prominenten Raum und auch das Land Bayern hat ihm eine eigene Ausstellung in Memmingen gewidmet. Nur in Augsburg scheint man sich schwer zu tun mit dem gemeinen Volk und dem Krieg.

Obwohl Augsburgs Jakob Fugger durch seine Finanzhilfen maßgeblichen Einfluß auf die Niederschlagung der Bauern und gemeinen Leute und somit wesentlichen Anteil an dem großflächigen historischen Ereignis hatte. Die Fuggerschen Stiftungen feiern indes schon wieder, diesmal den 500. Todestag ihres Gottvaters Jakob und die Stadt feiert mit, zum Beispiel mit einer Sonderausstellung zu den reichen Kunstschätzen aus der Zeit der Fugger. Außerdem konzentriert sich die Stadt auf das 375. Jubiläum des sogenannten Friedensfestes, verpasst dabei aber das Thema Bauernkrieg komplett, obwohl es zur Geschichte des Friedensfestes gehört wie die Reformation und der Dreißigjährige Krieg.

Lutherstiege mit Jakob Fugger (Foto: Regio Augsburg Tourismus GmbH_Katharina Dehner)

Lutherstiege mit Jakob Fugger (Foto: Regio Augsburg Tourismus GmbH, Katharina Dehner)

 

Fast bliebe der Bauernkrieg nur eine Randerscheinung jenseits der Stadtmauern – doch immerhin: Das Fugger- und Welser-Erlebnismuseum widmet dem Thema an jedem ersten Samstag im Monat eine Führung und will damit die Gegensätze zwischen Martin Luther und Jakob Fugger beleuchten. Die kombinierte Führung beginnt in der St.-Anna-Kirche, wo die Lutherstiege und die das Mausoleum der Fugger besichtigt werden, anschließend folgt ein Rundgang durch die Dauerausstellung des Fugger- und Welser-Erlebnismuseums anhand der Fragestellung, weshalb es aus Sicht Luthers notwendig geworden war, den Fuggern „einen Zaum ins Maul zu legen“.


Führung im Gedenkjahr:
»Von der Freihaitt aines Christenmenschen«: Luther –
Fugger – 1525

Weitere Termine:       03.05. | 07.06. | 05.07. | 02.08. | 06.09. | 04.10. | 06.12.2025
Beginn:                     14:30 Uhr
Treffpunkt:                St. Anna im Kreuzgang (Eingang Lutherstiege)
Kosten:                     16 € | 14 € erm. inkl. Eintritt ins Fugger und Welser Erlebnismuseum
Dauer:                       2 Stunden



Indigene Soziale Arbeit

Das Rothumba-Projekt in Sierra Leone – (K)eine „Fuggerei der Zukunft“

Mit Riesenspektakel wurden im Sommer 2022 die Feierlichkeiten zum 500-jährigen Bestehen der Augsburger Fuggerei begangen. Öffentlichkeitswirksam angekündigt wurde dabei der Bau sogenannter „Fuggereien der Zukunft“ auf der ganzen Welt. Im Dezember 2022 verkündeten die Fuggerschen Stiftungen den Baubeginn einer solchen in Sierra Leone. Im Oktober 2024 teilte die Augsburger Allgemeine am Rande eines Berichts aus der Fuggerei den Abschluss des Projekts mit. Eine Fuggerei der Zukunft sei „in Afrika entstanden“. Die DAZ hat nachgefragt. Bei dem Verein PfefferminzGreen e.V. und bei den Fuggerschen Stiftungen. Beim Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und bei Akteuren in Sierra Leone. Das Ergebnis enttäuscht zwar im Hinblick auf die vollmundigen Ankündigungen der Fuggerschen Stiftungen. Immerhin wird aber ein besonderes Projekt in einem der ärmsten Länder der Welt sichtbar – das „Rothumba-Projekt“.

Von Bernhard Schiller

Anfang des Jahres 2021 erhielt die Frankfurterin Dr. Stella Rothenberger eine Anfrage der Fuggerschen Stiftungen aus Augsburg. Ob sie sich eine Zusammenarbeit anlässlich des bevorstehenden Fuggerei-Jubiläums vorstellen könne. Rothenberger musste nicht lange überlegen. Die promovierte Pädagogin mit Schwerpunkt interkulturelle Zusammenhänge in der Sozialarbeit erhoffte sich eine Steigerung der öffentlichen Wahrnehmung für die Projekte ihrer gemeinnützigen Organisation PfefferminzGreen e.V. (siehe Infokasten) und damit mehr finanzielle Unterstützung. Die Ideen und Werte der Fuggerschen Stiftungen waren ansprechend und ließen Großes erwarten. Die Fuggerei als Beweis für Nachhaltigkeit, für Hilfe zur Selbsthilfe, die Jahrhunderte überdauert.

Fuggerei-Pavillon auf dem Augsburger Rathausplatz (Foto: DAZ)

Fuggerei-Pavillon auf dem Augsburger Rathausplatz (Foto: DAZ)

Rothenberger willigte ein, befragte die Menschen des Dorfes Rothumba in Sierra Leone, was diese brauchen und entwickelte mit ihnen gemeinsam eine Idee. Eines kam zum anderen und Rothenberger fand sich im Frühjahr des Jahres 2022 auf einem Podium im Goldenen Saal des Augsburger Rathauses wieder – anlässlich der Eröffnung des „Fuggerei Next 500“-Pavillons auf dem hiesigen Rathausplatz. Gäste der Eröffnungsfeier waren die Präsidentin der europäischen Kommission Ursula von der Leyen (CDU), der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und der Generaldirektor der Organisation der Vereinten Nationen für industrielle Entwicklung Gerd Müller (CSU), kurz zuvor noch Bundesminister für Entwicklung und wirtschaftliche Zusammenarbeit. Die Augsburger Oberbürgermeisterin Eva Weber (CSU) erklärte vor der feierlichen Versammlung, dass sich die Fuggerei nach fünfhundert Jahren „als internationaler Impulsgeber für soziale Innovation“ erweise. Wie eine solche Innovation aussehe, sollte Rothenberger demonstrieren, indem sie ihr „Rothumba-Projekt“ vorstellte, zu welchem die Anfrage der Fuggerschen Stiftungen Anfang 2021 den Anstoß gegeben hatte.

PfefferminzGreen e.V. engagiert sich seit dreizehn Jahren in Sierra Leone
Die Steine in Sierra Leone ins Rollen gebracht hatte Rothenberger jedoch schon lange vorher. Seit dem Jahr 2012 engagiert sie sich mit PfefferminzGreen e.V.  in dem westafrikanischen Land, immer in enger Kooperation mit der lokalen, unabhängigen Frauenrechtsorganisation Amazonian Initiative Movement (AIM) und deren Gründerin Rugiatu Turay. Neneh – wie Rothenberger ihre Freundin nennt und von der sie begeistert erzählen kann – kämpft seit ihrer Jugend für die Abschaffung des Rituals der weiblichen Genitalverstümmelung. Unter Turays Regie wurde ein Schutzhaus für betroffene Mädchen und Frauen gebaut. Mittlerweile seien auch größere internationale Nichtregierungsorganisationen an Turays Strategie, den Menschen im Land unblutige, aber kulturell akzeptierbare Ersatzrituale zu vermitteln, interessiert. Vielen Frauen ist auf diese Weise bereits ein Martyrium erspart worden. Rugiatu Turay erhielt dafür im Jahr 2020 den Menschenrechtspreis der Stadt Esslingen.

Das Amazonian Initiative Movement wird von PfefferminzGreen e.V. finanziell und organisatorisch unterstützt. Vor allem gehe es bei der Zusammenarbeit der beiden Organisationen aber darum, auf Augenhöhe miteinander und voneinander zu lernen, so Rothenberger. Die weibliche Genitalverstümmelung ist indes nur eines von zahlreichen Problemen, die Sierra Leone als eines der ärmsten Länder zu bewältigen hat. In dem Fischerdorf Rothumba zeigen sich diese wie durch ein Brennglas.

Dr. Stella Rothenberger, Rugiatu Turay, Bewohner von Rothumba (Foto: Manon Mariëlle Fransen)

Dr. Stella Rothenberger, Rugiatu Turay, Bewohner von Rothumba (Foto: Manon Mariëlle Fransen)

Das „Rothumba-Projekt“: Kolonialismus auch in der Entwicklungshilfe überwinden
Rothumba (andere Bezeichnungen lauten Thumba/ Tumba) ist ein abgelegenes Fischerdorf am Flussufer des Sierra Leone Flusses, im Distrikt Port Loko an der westafrikanischen Atlantikküste. Die Einwohner leben vor allem vom Fischfang und von Landwirtschaft, die hauptsächlich für den Eigenbedarf produziert. Der Ort ist historisch bedeutsam.  Hier wurden seit dem 15. Jahrhundert bis zum Ende des Sklavenhandels versklavte Menschen „gelagert“. Von Rothumba aus wurden die Sklaven nach Amerika, Großbritannien und in weitere Länder verschifft. Auf den Plantagen der Reisbarone in South Carolina und Georgia waren Sklaven von der als „Reisküste“ bezeichneten Gegend um Rothumba besonders begehrt. Sklavenjäger machten in den westafrikanischen Reisfeldern gezielt Jagd auf Reisbauern. Ruinen der ehemaligen „Slave Factory“ sind noch heute zu sehen.

Ehemalige "Slave Factory" in Rothumba (Foto: Manon Mariëlle Fransen)

Ehemalige „Slave Factory“ in Rothumba (Foto: Manon Mariëlle Fransen)

Heute gelte die Menschen in Rothumba zwar als frei, sie leben jedoch unter extremer Armut. Es mangelt an allen lebensnotwendigen Dingen. An Zugang zu medizinischer Versorgung und sauberem Wasser. An Elektrizität, angemessenem Wohnraum, Arbeitsmöglichkeiten und Bildungschancen, vor allem zu weiterführenden Schulen.

Hier setzt der Zehn-Jahres-Plan des Rothumba-Projekts an mit dem Ziel, den Menschen ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. Schritt für Schritt sollen die Mängel behoben werden und den Dorfbewohnern die Möglichkeit gegeben, die erreichten Ziele unabhängig und selbständig zu erhalten. Der Verein PfefferminzGreen verfolgt dabei einen Ansatz, der sich unterscheiden soll von dem Bild, das in Deutschland landläufig von sogenannter Entwicklungshilfe existiert und oft kritisiert wird. Der Leitgedanke des Rothumba-Projekts heißt: „Shift the Power!“  Entscheidungsfindungen und Kontrolle über Entwicklungsprojekte sollen den unmittelbar betroffenen Menschen vor Ort überlassen werden. Ihre Perspektiven und Bedürfnisse sollen in den Mittelpunkt des Handelns gestellt, sollen gehört und gesehen werden. Nicht zuletzt will dieser Ansatz die Machtverhältnisse zwischen globalen und lokalen Akteuren hinterfragen und verändern. Rothenberger und ihre lokale Partnerin Rugiatu Turay mit dem Netzwerk AIM sorgen sich dabei längst nicht mehr ausschließlich um die Themen weibliche Genitalbeschneidung und weibliche Armut. Mit dem Zehn-Jahres-Plan des Rothumba-Projekts verfolgen sie vielmehr einen ganzheitlichen Ansatz, der alle Bewohner teilhaben lassen soll.

Die Zusammenarbeit mit der Fuggerei war im Ergebnis enttäuschend
Im Dezember 2022 meldeten die Fuggerschen Stiftungen den „Baubeginn der ersten Fuggerei der Zukunft“ in Rothumba und den „Start eines Zehnjahresplans“ (gemeint ist der o.g. Zehn-Jahres-Plan) mit dem eine „nachhaltige, soziale Siedlung basierend auf den Ideen der Menschen vor Ort umgesetzt werden soll.“ Die Pressemitteilung zitiert Stella Rothenberger, die sich sehr freuen würde, wenn das Projekt durch die „ideelle“ Partnerschaft mit der Fuggerei mit Menschen und Organisationen in Kontakt kommen würde, welche die „Idee einer nachhaltigen Entwicklungszusammenarbeit“ unterstützen wollen.

Dazu ist es laut Rothenberger bisher nicht gekommen, zu ihrer großen Enttäuschung. Außer der öffentlichkeitswirksam vorgetragenen Idee von sogenannten „Fuggereien der Zukunft“ und den Darstellungen auf dem eigenen Internetauftritt, haben auch die Fuggerschen Stiftungen selbst laut Rothenberger keinen weiteren substanziellen Beitrag geleistet. Es habe aber immer wieder Kontakt bestanden und es seien auch Rückfragen aus Augsburg gekommen. Die Fuggerschen Stiftungen selbst erkundigen sich auf die Presseanfrage der DAZ hin zunächst bei Rothenberger nach dem Stand des Projekts und verweisen auf die Pressemitteilung der Stiftungen vom 5. Dezember 2022. Trotz dieses ernüchternden Sachverhaltes, glaubt Rothenberger weiterhin an die gute Ursprungsidee, an die Idee der Nachhaltigkeit und eines selbstbestimmten Lebens in Würde, die sie noch immer mit der Fuggerei verbindet.

Eine neue Grundschule und ein Trainingscenter
Ungeachtet dieser Umstände hat sich im kleinen Fischerdorf Rothumba an der Mündung des Sierra Leone-Flusses seit dem Baubeginn vor über zwei Jahren viel getan. Unter dem Projekttitel „Bildung für Thumba“ wurden tatsächlich die Grundschule für 350 Kinder wiederaufgebaut und ein Trainingscenter für 200 Frauen errichtet. Die Frauen lernen dort, Seife herzustellen, Nähen und „Gara tie dye“, eine Färbetechnik für Textilien. Die dafür notwendigen finanziellen Mittel kamen zu 25 Prozent von PfefferminzGreen e.V. und zu 75 Prozent vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ). Die Förderung durch das BMZ erfolgte innerhalb des Programms Engagement Global (EG), mit dem die deutsche Bundesregierung Entwicklungsinitiativen des bürgerschaftlichen und kommunalen Engagements unterstützt. Ansprechpartner für Engagement Global vor Ort ist Rugiatu Turay mit AIM. Ein Sprecher des BMZ erklärt gegenüber der DAZ, dass dem Ministerium keine Informationen zu einer etwaigen finanziellen Beteiligung der Fuggerei vorliegen.

  • Arbeit im neuen Trainingszentrum (Foto: Stella Rothenberger)
    Arbeit im neuen Trainingszentrum (Foto: Stella Rothenberger)


Kaum nachvollziehbare Darstellung der Fuggerei

Der Begriff „Fuggerei der Zukunft“ ist den Menschen in Rothumba vollkommen unbekannt. Rothenberger erklärt, dass Wohnraum in Rothumba hinreichend vorhanden sei und deshalb nicht das drängendste Problem für die Menschen vor Ort. Insofern ist auch die Darstellung auf der offiziellen Internetseite der Fugger zur Architektur der Gebäude des Rothumba-Projekts für Außenstehende nur schwer nachvollziehbar. In der dort veröffentlichten Pressemitteilung vom 5. Dezember 2022 zum „Baubeginn der ersten Fuggerei der Zukunft“ heißt es, dass „die Grundsteinlegung einer … sozialen Siedlung“ stattgefunden habe und dass die „Architektur Planungen von MVRDV… nun umgesetzt“ würden.

Das niederländische Architekturbüro MVRDV konstruierte den gigantischen Holzwurm, der anlässlich der Fuggerei-Feierlichkeiten im Sommer 2022 über den Augsburger Rathausplatz kroch. Eine Sprecherin des Architekturbüros erklärt gegenüber der DAZ, dass MVRDV darüber hinaus an einem Handbuch für die „Fuggerei der Zukunft“ gearbeitet und Studien zu möglichen Anwendungen an bestimmten Standorten entwickelt habe, darunter auch Sierra Leone. Nach Abschluss dieser Studien im Jahr 2022 sei man jedoch nicht mehr in das Projekt involviert gewesen und könne deshalb nichts zu einer möglichen Umsetzung sagen.

Bootsbau in Rothumba (Foto: Stella Rothenberger)

Bootsbau in Rothumba (Foto: Stella Rothenberger)

Das nächste Ziel: Eine überdachte Schreinerei für den Bau von Fischerbooten
Die Grundschule und das Trainingscenter jedenfalls sind seit Ende Dezember 2023 erfolgreich in Betrieb. Davon konnten sich laut BMZ Mitarbeiter von Engagement Global im vergangenen November selbst überzeugen. Stella Rothenberger erzählt der DAZ in mehreren Telefonaten während einer Reise nach Rothumba begeistert von den Fortschritten vor Ort und schwärmt von den Menschen dort, die so großartige Arbeit leisten würden. Mit der jetzt beginnenden zweiten Phase des Rothumba-Projekts sollen die Fischer unterstützt werden. Eine überdachte Schreinerei soll entstehen, in der die Männer Boote auch in der Regenzeit bauen und instand halten können. Es fehlt an Werkzeugen und Material. Für den Bau eines kleineren Holzbootes werden Bretter, Korkbeutel, Nägel und Farbe benötigt. Zur Ausstattung eines Bootes zählen weiter die Netze, eine Kraftmaschine, eine Kühlkammer samt Solaranlage und letztendlich der Treibstoff. Ein funktionsfähiger Bootssteg fehlt dem Dorf auch.

 

Weiterhin Partner für eine Entwicklungszusammenarbeit gesucht
Es gibt noch viele Entwicklungsziele in Rothumba, dem nicht mehr ganz so unscheinbaren, geschichtsträchtigen Fischerdorf hinter der westafrikanischen Atlantikküste. Die Einwohner wissen, was sie brauchen, um Armut zu überwinden und Teilhabe herzustellen, erklärt Pädagogin Rothenberger. Die Einzelprojekte des Rothumba-Projekts seien grundsätzlich darauf ausgelegt, sich mittelfristig selbst tragen zu können und unabhängig zu sein. Doch es mangele vor allem an finanziellen Mitteln als Anschubfinanzierung. Dafür brauche es externe Partner. Guten Ideen und Ziele seien hinreichend vorhanden. Zu den vorhandenen Kräften zählen auch Unterstützerinnen wie Stella Rothenberger und Rugiatu Turay, die mit vielen weiteren engagierten Helfern an die Fähigkeiten und die Kraft der Menschen vor Ort glauben und daran, dass diese ihr Leben aktiv selbst in die Hand nehmen können. Denn um diese Menschen geht es, betont Rothenberger, die auch drei Jahre nach den Augsburger Feierlichkeiten Unterstützer sucht, die mit der Idee einer nachhaltigen Entwicklungszusammenarbeit mehr verbinden als eine „ideelle Partnerschaft“.


Weiterführende Informationen


PfefferminzGreen e.V.

Der Verein feiert in diesem Jahr sein 20-jähriges Bestehen. Unter den Leitgedanken „Shift the Power!“ und „No white Saviourism!“ strebt er ein Ende des europäischen Kolonialismus auch im Denken der Entwicklungshilfe an. Der Verein glaubt „an einen afrikanischen Kontinent, der frei von ausländischer Hilfe ist und in der Lage, von innen heraus eine starke und gesunde gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Stabilität zu entwickeln“. Zu diesem Zweck fördert der Verein die Arbeit von lokalen NGO und Gemeinschaften wie beispielsweise das Amazonian Initiative Movement. Die Gründerin und Vorsitzende des Vereins, Dr. Stella Rothenberger, hat zu den Möglichkeiten einer solchen Theorie „Indigener Sozialer Arbeit“ und der Entkolonisierung von Bildungs- und sozialen Unterstützungssystemen promoviert. Die Ergebnisse ihrer mehrjährigen Studien und Erfahrungen mit indigener sozialer Arbeit in Sierra Leone hat sie in einem Buch zusammengefasst („Indigene soziale Arbeit: Kulturadäquate Ansätze einer lokalen Nichtstaatlichen Organisation in Sierra Leone“, Campus Verlag, 2021).

https://www.pfefferminzgreen.com/
Spendenaufruf auf betterplace.org
https://www.betterplace.org/de/organisations/19791-pfefferminzgreen-e-v


TUBS, CC BY-SA 3.0 <https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0>, via Wikimedia Commons

TUBS, CC BY-SA 3.0 <https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0>, via Wikimedia Commons


Sierra Leone

Die Republik Sierra Leone liegt an der westafrikanischen Atlantikküste zwischen Guinea und Liberia. Der Vielvölkerstaat zählt rund acht Millionen Einwohner, die sich aus zahlreichen Ethnien mit jeweils eigenen Sprachen zusammensetzen. Das Land hat eine bewegte Geschichte. Die Region wurde seit über zweitausend Jahren von wechselnden Gruppen besiedelt, erobert und umkämpft. Nach der Ankunft der portugiesischen Seefahrer wurde sie zu einem Dreh- und Angelpunkt des transatlantischen Sklavenhandels. Profiteure des portugiesischen Handels mit versklavten Menschen in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts waren die Augsburger Kaufmanns-Familien der Welser und Fugger. Letztere lieferten den portugiesischen Sklavenhändlern die Manillen (Messingarmbänder), die in Westafrika als Zahlungsmittel beim Kauf von Sklaven eingesetzt wurden.

Später wurde  Sierra Leone mehrmals zum Symbol der Hoffnung. Die Hauptstadt Freetown wurde 1792 von ehemaligen Sklaven gegründet, die aus Amerika und Großbritannien zurückgekehrt waren. Der verheerende Bürgerkrieg um die sogenannten „Blutdiamanten“ von 1991 bis 2002 hinterließ Zerstörung und Traumata, die bis heute andauern. Nach dem Krieg befand sich das Land auf einem Weg der politischen Stabilisierung und Demokratisierung und galt lange Zeit als Musterbeispiel für gelungene Konfliktlösung und Wiederaufbau. Seit August 2022 häufen sich jedoch Anzeichen eines Systemwandels hin zu einer Autokratie. Das deutsche Entwicklungsministerium (BMZ) spricht von einer extrem schwierigen Lage. Die große Armut der Bevölkerung und die heikle Ernährungssituation sind Risiken für die politische Stabilität und den sozialen Frieden. Deutschland ist einer der wichtigsten Handelspartner. Größtes Exportgut nach Deutschland ist das Mineral Rutil (Titandioxid), das hierzulande als weißes Farbpigment in Lacken und Papier verwendet wird.


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Augsburg: Stadt der Fugger, Stadt der Bluffer, 12.06.2022

Stadt feiert falsches Fuggerbild, 14.06.2022



Museumsführungen im Fugger und Welser Erlebnismuseum

Am zweiten Sonntag im Monat können Besucher des Fugger und Welser Erlebnismuseums an einer Sonderführung teilnehmen.

Im November geht es um die Rolle und Lebensgeschichten der Frauen der Fugger und Welser.
Parallel findet für Grundschulkinder die Führung »Geh doch dahin, wo der Pfeffer wächst!« statt. Beide Führungen finden am Sonntag, den 12. November um 11.00 Uhr statt.

Was wissen wir eigentlich über die Frauen der Fugger und Welser? Weshalb schloss Jakob Fugger Frauen grundsätzlich von allen Geschäften aus? Warum wurden die bedeutenden Rollen von Jakob Fuggers Mutter und Großmutter im Ehrenbuch der Familie verschwiegen? Wie war Sibylla Fuggers Verhältnis zu ihrem Ehemann Jakob? Welche spannenden Lebensgeschichten verbergen sich hinter den Namen Margarete Peutinger und Philippine Welser?

Diese Museumsführung gibt interessante Einblicke in ein bisher weitgehend unbekanntes Kapitel Augsburger Geschichte.

 Kinderführung »Geh doch dahin, wo der Pfeffer wächst!«

Alle kennen dieses Sprichwort – doch woher kommt es eigentlich? Um das herauszufinden, begeben wir uns auf eine Reise entlang der Handelsrouten der Welt um 1500. Wie veränderten sich das Leben und der Handel durch die Anfänge der Globalisierung? Wie sahen die Kommunikationswege vor 500 Jahren aus und wie schnell waren sie?

Treffpunkt ist das Fugger und Welser Erlebnismuseum – Äußeres Pfaffengässchen 23, 86152 Augsburg.

 Kosten: 12 € | 10 € erm. | 5 € Kind | 25 € Familie | 14 € Mini-Familie
inkl. Eintritt

Dauer: 1 Stunde

Tickets unter https://www.fugger-und-welser-museum.de/programm/



Ergänzungen zum Wirken der Welser und Fugger

In der Nacht von Dienstag auf Mittwoch haben Aktivisten aus dem Umfeld des Klimacamps mit einer sogenannten „Fuggerkorrektur“ auf die unzureichende Aufarbeitung der Augsburger Kolonialgeschichte aufmerksam gemacht.

Dabei brachten sie ein Schild mit der Aufschrift „Sklavenhändler“ neben der Welsertafel in der Annastrasse an und ergänzten die Aufschrift der Fuggerstatue am Fuggerplatz „Hans Jakob Fugger, Beförderer der Wissenschaft“ um den Zusatz „Beförderer des Sklavenhandels“. „Die Fugger haben das kapitalistische koloniale System mit aufgebaut, das bis heute Menschen und Umwelt ausbeutet, und werden in Augsburg für ihren Reichtum gefeiert. Das schickt die ganz falsche Botschaft in die Welt, dass das Erlangen von Reichtum rühmlicher ist, als es verwerflich ist Menschenrechte mit Füßen zu treten“, so Felix Strobel.

Wie die Bundeszentrale für politische Bildung beschreibt, bereicherten sich die Handelshäuser Fugger und Welser ab dem 16. Jahrhundert durch den Sklavenhandel. Die Welser waren am direkten transatlantischen Sklavenhandel beteiligt, die Fugger Geldgeber für den portugiesischen Sklavenhandel. Dieser Handel wurde im 17. Jahrhundert zu einem kolonialen System aufgebaut, welches bis heute Menschen und Umwelt ausbeutet. In Augsburg wird vor allem die Familie Fugger glorifiziert ohne den Ursprung des Reichtums kritisch zu hinterfragen oder die Motivation zur Errichtung der Fuggerei – dem Wunsch nach eigenem Seelenheil – zu benennen.



Meinung

Kommentar: Stadt feiert falsches Fuggerbild

500 Jahre Fuggerei: Augsburg feiert wo es wenig zu feiern gibt

Kommentar von Peter Bommas

Kein Wohnmodell für die Zukunft: Augsburger Fuggerei

Jakob Fugger – Frühkapitalist, kolonialer Ausbeuter, Kriegsfinancier, Machtmensch – genügend Material für eine kritische Würdigung. Doch  Augsburgs Stadtgesellschaft samt politischer Führung gefällt sich im Gratulations- und Feiermodus. Kein kritisches Wort fällt. Während sich das von der Regio Augsburg betreute „Fugger- und Welser Erlebnismuseum“ inzwischen erfolgreich und sehr ambitioniert um eine kolonial- und rassismuskritische Aufarbeitung und eine angemessene museale Konzeptionierung bemüht, Schulklassen sich dort eine neue, erinnerungskulturell vorbildliche Sichtweise zu eigen machen können, nimmt die Stadtspitze samt Regierungsfraktion diese Anstrengungen offensichtlich nicht zur Kenntnis und feiert auf dem Rathausplatz ein Fuggerbild, das so nicht mehr vorzeigbar, wissenschaftlich offenkundig falsch und aus der Zeit gefallen ist.

Die Fuggerei als soziales Vorzeigemodell für den Wohnungsmarkt der Zukunft – das ist angesichts des Zustandekommens und der sehr speziellen Wohnbedingungen doch sehr frivol. Das passt ganz und gar nicht zum aktuellen erinnerungskulturellen Diskurs. Jakob Fugger kann man nicht umstandslos abfeiern, es gibt viel zu kritisieren und stadthistorisch aufzuarbeiten. Dabei stünde es der Stadt gut zu Gesicht, zum Jubiläum die aktuelle kritische Bestandsaufnahme der Fugger-Historie zu berücksichtigen – ein partizipatives, wissenschaftliches Symposion wäre angebracht gewesen. Wer sich angesichts der dem Frühkapitalismus eigentümlichen Auslöschung indigener Kulturen zwecks Ausbeutungsbarbarei und Gewinnmaximierung sowie deren kirchlich-religiöser Verbrämung noch „Fuggerstädter“ nennen will, kann das als Form der Selbstentlarvung tun, aber bitte nicht als Repräsentationsmuster für eine ganze Stadt anbieten.



Kommentar – Augsburg: Stadt der Fugger, Stadt der Bluffer

Der Traum vom erfolgreichen Bluff wurde in Augsburg immer geträumt

Kommentar von Siegfried Zagler

König der Bluffer: D´Stoinerne Ma Foto: DAZ

Augsburg ist eine erstaunliche Stadt. Nicht ganz so wie Venedig, wo hinter jeder Ecke etwas Erstaunliches zu finden ist, aber immerhin: In Augsburg wurde der Kapitalismus erfunden (Fugger), in Augsburg wurde die ästhetische Kritik am Kapitalismus erfunden (Brecht) und in Augsburg wurde der Verbrennungsmotor und die Musik revolutioniert (Diesel und Mozart). Und in Augsburg wurde neben der Wasserwirtschaft (Martin Kluger) der Bluff aus der Not heraus erfunden ( „d´ Stoinerne Ma“).

Zur „Stadt der Chancen“ (OB Eva Weber) gehören also nicht nur die Nörgler, wie Brecht und Diesel, sondern auch grandiose Bluffer, wie Jakob Fugger, der Reiche oder Konrad Hacker, der Bäcker, besser: der König der Bluffer. Der Adelsstand der Bluffer hat sich in Augsburgs DNA besser gehalten als die Stadtmauer und das Andenken an die Römer.

Ein Bluff, der funktioniert, wird von der Nachwelt als raffinierte Tat gefeiert, da man damit Interessen und Absichten durchsetzen konnte, ohne die Mittel oder die Fähigkeiten dazu gehabt zu haben. Ein Bluff dagegen, der nicht funktioniert, entlarvt den Bluffer als Hochstapler.

In Augsburg wird man Baureferent Gerd Merkle weder ein Denkmal setzen, noch einen Platz nach ihm benennen, wenn er im Frühjahr 2023 abdankt. Es sei denn, man nennt die heutige Fuggerstraße in „Straße der großen Trickser und Bluffer“ um. Darin bekäme er selbstverständlich neben Konrad Hacker und einigen Mitgliedern der hiesigen Fugger-Familie einen Ehrenplatz, den man ihm später streitig machen könnte, da ihn die Forschung möglicherweise als Hochstapler entlarven würde.

Man muss sich das „Goldene Zeitalter“ in Augsburg als Horror-Szenario vorstellen: Von der Pest entstellte Kinderleichen lagen auf den Straßen neben ihren verhungerten Eltern. In eiskalten Wintern wurde alles verheizt, was brannte, alles gegessen, was essbar erschien, Kannibalismus und Wahn beherrschten die einst reiche und stolze Reichsstadt – und es wurde gestorben: Die Bevölkerungszahl sank innerhalb kurzer Zeit von 49.000 auf 19.000, schließlich wurde 1635 die Stadt nach langen Blockaden, die den Horror verursachten, aufgegeben und an die bayerische Armee übergeben. Es gab keinen Abzug der Belagerungstruppen, deren Strategie voll aufging.

Doch im historischen Bewusstsein der Augsburger Stadtgesellschaft verfing sich, trotz dieser größten Katastrophe der Stadtgeschichte, die Legende von der Unverdrossenheit und die Idee des „All in“, die sich im Gedenken an den Steinernen Mann spiegelt, stärker als die Realität, die diese Legende erschuf. So wie sich die geschlagenen und gedemütigten Augsburger im 17. Jahrhundert den Bäcker Konrad Hacker zusammen fantasierten, der im 30-jährigen Krieg während der Belagerung der Stadt aus Sägemehl und Kleie einen riesigen Brotlaib geformt haben soll, den er von der Stadtmauer aus den Belagerern zugeworfen habe, sodass sie wohl denken mussten, dass sie weder die Stadt nehmen noch aushungern können – und abzogen, so versucht Augsburgs Baureferent heute die „eigenen Leute“ wie die „Bayerischen Truppen“ (=Staatsregierung) mit einer ebenfalls frei erfundenen Legende davon zu überzeugen, dass man mit Sägemehl und Kleie (KfW-Bank) ein Staatstheater sanieren, ja ein Theater-Viertel erschaffen kann.

Nach der Informationsshow von Gerd Merkle, Jürgen Enninger und Co. zum Sanierungsstand des Augsburger Staatstheaters darf man in Augsburg davon ausgehen, dass der „große Bluff Theatersanierung“ aufgeflogen ist. Der Bluff der Zocker bestand und besteht darin, dass Kurt Gribl, Eva Weber, Gerd Merkle und die CSU wie die Grünen so tun, als würde sich die Stadt ein Theater leisten können, dessen Sanierung wohl mehr als 400 Millionen Euro verschlingen wird. Geblufft wurden die Augsburger Bürger und die Fördermittelgeber. Der Einsatz liegt auf dem Tisch. Am 23. Juni wird der Stadtrat „All in gehen“ und das Spiel mit der Methode „Augen-zu-und-durch“ verlieren, indem er Bauteil II der Theatersanierung durchwinken wird. „Durchwinken“ deshalb, weil man in Augsburg den Bluff offensichtlich höher schätzt als die gesellschaftliche Realität, die den Bluff benötigt.

Dies haben sich wohl auch die Erben von Jakob Fugger gedacht, als sie – zwar nach 500 Jahren immer noch reich, aber längst nicht mehr reich genug, um gesellschaftlichen Einfluss zu besitzen – mit der Idee des Fugger-Pavillon vorstellig wurden. Die Stadt ließ sie machen und siehe da: Die Stadtgesellschaft und die Augsburger Allgemeine ließen sich zusammen mit Eva Weber, Ursula von der Leyen und Claudia Roth von einer Inszenierung vereinnahmen, wie sie die Welt seit Konrad Hacker nicht mehr gesehen hat. Crowdfunding á la Fugger! Wie gesagt: Von allen erstaunlichen Städten wird Augsburg nur von Venedig übertroffen – und bekanntermaßen ist die Lagunenstadt dem Untergang geweiht.



Zeitgeschichte

Fugger-Denkmal bekommt Schreibfeder zurück

Nach rund 60 Jahren erhält das Augsburger Fugger-Denkmal am Fuggerplatz gestohlene Schreibfeder zurück

Theresia Gräfin Fugger von Glött, Finderin Dagmar Reitmeir und Oberbürgermeisterin Eva Weber mit Schreibfeder des Denkmals am Fuggerplatz — Foto: Ruth Plössel / Stadt Augsburg

Nach mehr als einem halben Jahrhundert bekommt das Denkmal am Fuggerplatz seine gestohlene Schreibfeder zurück. Sie tauchte im Nachlass einer Verstorbenen auf. Die inzwischen in Landsberg lebende Tochter der Verstorbenen gab sie nun an die Stadt Augsburg zurück. Nach ihren Angaben hatte ihr Stiefvater als Kind die Schreibfeder Ende der 50er, Anfang der 60er Jahre zusammen mit Freunden dem Denkmal entrissen.

Die 35 cm lange Schreibfeder zierte vor ihrem Verschwinden die Hand der vom abgedankten Bayern-König Ludwig I. gestifteten Staute, die 1857 in Augsburg aufgestellt wurde. Ironischerweise erinnert das einzige Fuggerdenkmal in der „Fuggerstadt Augsburg“ an den Bankrotteur der drei großen Generationen der mächtigen Augsburger Handelsfamilie. Wegen seiner Schulden musste er seine wertvolle Büchersammlung an Albrecht V. von Bayern verkaufen. Der Herzog von Bayern schuf auf dieser Grundlage die Hofbibliothek in München, aus der die heutige Bayerische Staatsbibliothek entstand. Hans Jakob Fugger gilt als einer der größten Buchsammler des 16. Jahrhunderts. Die 2,60 hohe und 1,8 Tonnen schwere Statue in der Augsburger Innenstadt zeigte ihn deshalb mit einer Pergamentrolle in der linken und einer Schreibfeder in der rechten Hand – und zeigt ihn wohl demnächst wieder mit einer Nachbildung der zurückgegebenen Schreibfeder, da das Original ins Museum wandert.

Foto: Ruth Plössel / Stadt Augsburg

„Dieser außergewöhnliche Augsburger hat mit seiner kostbaren Sammlung das Fundament für die Bayerische Staatsbibliothek gelegt, eine Kathedrale des bayerischen Geistes und eine der größten und bedeutendsten Gedächtnisinstitutionen Europas. Und fast 500 Jahre nach seinem Tod schenkt er unserer Stadt ausgerechnet mit einer Schreibfeder eine weitere bemerkenswerte Geschichte!“ So wird Augsburgs Oberbürgermeisterin in einer städtischen Pressemitteilung zitiert.



Die Augsburger Fuggerei und ihre Legenden

Marketing mit Menschenfabrik – Kommentar zu den Fuggerei-Feierlichkeiten

Die Stadt Augsburg und die Firma Fugger setzen ab Mai ihre großangelegte Kampagne anlässlich des 500-jährigen Bestehens der Fuggerei fort. Zu diesem Zweck wird auf dem Augsburger Rathausplatz derzeit ein begehbarer „Fugger-Pavillon“ errichtet, um für die Vorhaben der Firma Fugger zu werben. Deren neuestes Konzept heißt „Fuggerei der Zukunft“, mit dem man weltweit expandieren will. Doch was ist eine Fuggerei? DAZ-Autor Bernhard Schiller hat sich auf Spurensuche in Literatur, Architektur und Grabkultur begeben. Die Bilanz weicht von den vorherrschenden Lesarten und Legenden erheblich ab.

Von Bernhard Schiller

Stadt feiert Jubiläum der Fuggerei  – Bildquelle: Screenshot von Sarah Scheel/Stadt Augsburg

Jakob Fugger, genannt der Reiche, lebte von 1459 bis 1525 in Augsburg und brachte nicht nur das ihm unterstellte Familienunternehmen zu unvorstellbarer Größe, sondern auch sich selbst zu unermesslichem Reichtum und großer Macht. In seinem letzten Lebensjahrzehnt gründete er drei Stiftungen, die bis in die Gegenwart Bestand haben. Zum einen die Prädikaturstiftung an der St. Moritz-Kirche in Augsburg, welche der Familie Fugger auch heute noch das Recht gewährt, den Pfarrer dieser Kirche und damit den katholischen De-facto-Stadtpfarrer zu ernennen. Zum anderen die Stiftungen der Fugger-Kapelle in der St. Anna-Kirche sowie – als bekannteste der drei Einrichtungen – die sogenannte Fuggerei.

Folgt man den gängigen Auffassungen und Veröffentlichungen, so scheint Fuggers Hauptanliegen und damit der Sinn und Zweck dieser Stiftungen ein Handel mit Gott gewesen zu sein, mit dem sich der Bankier und Händler erhoffte, nach seinem Tod dem ewigen Seelenheil näher zu kommen. Derlei Seelgerätstiftungen waren seit dem Mittelalter üblich und stellten nicht nur einen Deal zwischen reichen Menschen und Gott, sondern auch zwischen reichen Menschen und Kirche dar. Am ehesten dürfte dieser Vorgang auf die fuggersche Kapellen-Stiftung in der St. Anna-Kirche zutreffen.

Doch ist hier Skepsis angebracht, spricht die Architektur der Kapelle doch ebenso die Sprache der Verewigung von Ruhm und Macht. Bei der zumeist als „Sozialsiedlung“ bezeichneten Fuggerei muss die Idee der Seelgerätstiftung aus ähnlichen Gründen mit mindestens denselben Zweifeln hinterfragt werden. Dies kann aus einer gegenwärtigen Betrachtungsweise geschehen, die nicht vollständig ausschließt, dass Jakob Fugger aus Furcht sowohl um sein jenseitiges als auch um sein diesseitiges Seelenheil handelte.

Größenwahn – Im Mausoleum der Fugger

Zwei antike Krieger blicken ehrfürchtig nach oben. Sie tragen aufwändiges Gewand, Panzer, Helme, Waffen. Sie sind Teil der herrschenden Kaste und ihr verlängerter Arm. Im Gesichtsausdruck nicht sonderlich stolz, eher devot. Sie wissen, wer ihr Herr ist. Sie heben sein Wappen empor. Zwischen den Kriegern sitzen zwei Menschen in unglücklicher Lage. Entblößt, gefesselt, wehrlos. Die Hände hat er ihnen auf den Rücken binden lassen. Den Augen der Gefesselten begegnen wir nicht. Das Profil des Mannes auf der rechten Seite ist teilweise hinter dem Rock des Legionärs verborgen. Der Oberkörper zeigt hinunter zum Erdboden, wo die Füße des Gefangenen von einer Schlange gefesselt werden; Vielleicht bewegt er sich auch, windet sich, der Schlange gleich, in den engen Fesseln, wehrt sich gegen die Erniedrigung. Nicht so sein Schicksalsgenosse. Seine Füße stehen frei. Das rechte Bein vorgestreckt, wie im Ansatz zur Flucht. Das linke Bein steht – noch – fest auf dem Boden. Oberkörper und Gesicht sind vom Betrachter abgewandt. Den Blick richtet er auf das Malzeichen desjenigen, der ihm die Freiheit genommen hat.

Wem gehört dieses Zeichen, wem gehören Krieger und Gefangene? Sie gehören Jakob Fugger. Heiliges Idol der sogenannten „Fuggerstadt“. Die morbiden Darstellungen prangen auf seinem Grabmal in der sogenannten Fugger-Kapelle. Die Bezeichnung „Kapelle“ für diese gewaltige Selbstinszenierung aus Marmor und Gold stellt freilich eine ebenso irreführende wie unzulässige Untertreibung dar.

Grabmal in der Fuggerkapelle; Zeichnung: Hans Eduard von Berlepsch-Valendas, aus: A. Butt: Augsburg in der Renaissancezeit, Bamberg 1893, S. 39

Die Fugger-Kapelle ist identisch mit dem kompletten Westchor der Augsburger St. Anna-Kirche und beherrscht den Kirchenbau. Das ist keine Kapelle, sondern ein protziges Mausoleum. An der Rückwand des Mausoleums hängen die Grabmale der Fugger-Brüder. Jeweils eines für die Brüder Ulrich Fugger (1441 – 1510) und Georg Fugger (1453 – 1506), links und rechts eingefasst von den zwei Grabmalen des Patriarchen Jakob selbst. Orgeln füllen den oberen Teil Rückwand des Chors vollständig aus und rahmen ein darüber liegendes Glasfenster. Strahlendarstellungen auf der großen Orgel verlängern die Sonnensymbolik des kreisrunden Fensters ins Rauminnere. Das Glas wird durch ein Kreuz geteilt. Im Zentrum des Kreuzes prangt das Wappen der Fugger von der Lilie und somit dort, wo das göttliche Sonnenlicht in den vermeintlichen Sakralraum einströmt. Das Wappen ist von vier Engelsgestalten umgeben, die sich der Fugger-Sonne zuwenden, wie anbetende Cherubim dem Thron ihres Fürsten. Die imperiale Botschaft ist unverkennbar.

Fugger unterwirft und beherrscht Mensch und Welt

Vom Auftraggeber und seinen Handwerkern in diese vermeintlich gottgleiche Ordnung gebracht, strömen Licht und Klang vom fuggerschen Zentralgestirn aus und nehmen den Kirchenraum in Besitz. Die Bemächtigung wird zementiert durch eine Vielzahl von Familienwappen. An der Decke des Mausoleums sind im Bilde der Muttergottes abermals Kreuz und Liliendarstellungen kombiniert, die sich vierfach in alle Himmelsrichtungen erstrecken. Das Wappen prangt an Wänden, auf Stühlen und als Intarsien im Marmorboden. Der Gesamteindruck lässt kaum eine andere Schlussfolgerung zu: Fugger ist allgegenwärtig. Fugger unterwirft und beherrscht Mensch und Welt. Fugger ist Gott. Die Inschrift auf seinem Grabmal schreibt den Größenwahn dauerhaft fest. Jakob Fugger sei „im Leben mit keinem zu vergleichen“ gewesen und „auch nach dem Tode nicht unter die Sterblichen zu zählen“. 

Wie Marketing aus einem Ausbeuter einen Wohltäter macht

Wer ein solches Selbstverständnis besitzt, der bedarf der mageren Gebete einer Handvoll Bedürftiger nicht. Die Fuggerschen Stiftungen selbst haben diese Tatsache erkannt, wenngleich sie einen alternativen Schluss daraus ziehen. Auf einer Infotafel in der Fuggerei steht geschrieben, dass die Bewohner der Siedlung weniger häufig als die Bewohner anderer, zeitgenössischer Armensiedlungen für ihren Stifter hätten beten müssen, weil es Jakob Fugger „nicht nur auf sein Seelenheil angekommen“ wäre. Für die eigene Errettung habe der Frühkapitalist „vielmehr die Kapellen-Stiftung in St. Anna vorgesehen“, der er „umfangreiche Vorschriften zu Messen und Gebeten“ gemacht habe. 

„Keine Kapelle, sondern ein protziges Mausoleum“: Fuggerkapelle in der Annakirche Foto © DAZ

Das Mausoleum kostete den Geschäftsmann einen vielfach höheren Preis als den, der für die Errichtung der Fuggerei erforderlich war. Die Erzählung, Jakob Fugger habe die angebliche Armensiedlung „aus Frömmigkeit und hochherziger Freigebigkeit“ gestiftet, dürfte zu den Fuggerlegenden zu rechnen sein, die nicht wahrer werden, wenn man sie auf Infotafeln in Ausstellungen druckt. Auch dann nicht, wenn ein Dreiklang aus Oberbürgermeisterin, Ministerpräsident und Bischof an der 500-jährigen Legendenbildung mitwirkt, wie etwa anlässlich der Jubiläumsfeier im vergangenen Sommer. Die Bild- und Formensprache der sogenannte Fuggerkapelle berichtet von einem Sozialcharakter, der aus dem Zusammenwirken des historischen Zufalls, allerlei Intrigen, banalen Gewalttaten und der frühkapitalistischen Meisterschaft des Fuggerclans einen göttlichen Willen konstruiert.

Fuggerkapelle kostete mehr als die Fuggerei 

Das Mausoleum wurde ab dem Jahr 1509 errichtet und in den Jahren nach dem Tod des Jakob Fugger fertiggestellt. Der Bau der Fuggerei erfolgte zwischen 1514 und 1523. Die Konzeptionen der Armensiedlung und der Ruhmeshalle wurden also zeitgleich umgesetzt. Derselbe Jakob Fugger, der seinen Nachruhm mit brachialen Bildern der Erniedrigung zu sichern hoffte, soll aus reinster Güte gegenüber den armen und schwachen Menschen gehandelt haben? Das dynamische Nebeneinander unterschiedlicher Moralitäten in ein und derselben Persönlichkeit ist an und für sich nichts Ungewöhnliches. Die Gestalt des Jakob Fugger jedoch wird seit rund 500 Jahren zum allerfrommsten Herzensmenschen und seine Fuggerei zur mustergültigen Sozialsiedlung verklärt. Diesen Widerspruch gilt es dauerhaft sichtbar zu machen und die historische Wirklichkeit aus dem Griff einer schönfärberischen Geschichtsschreibung zu befreien, die zum Zwecke des Marketings aus einem Ausbeuter einen Wohltäter macht.

Fuggerei: Bereits zu Lebzeiten eine PR-Maßnahme von Jakob Fugger 

Das wurde und wird immer wieder versucht. Verschiedene Autoren legten in den vergangenen Jahrzehnten dar, welche Zwecke Jakob Fugger mit dem Bau der Siedlung verfolgte. Die Fuggerei sei eine wohlkalkulierte Maßnahme zur öffentlichen Aufwertung der Firma gewesen, mit der Fugger auf Vorwürfe des Verstoßes gegen das Zinsverbot und der Monopolbildung reagiert habe. Jakob Fugger wurde mit dem Montanhandel reicher und mächtiger und ließ Aufstände der von ihm ausgebeuteten Bergleute konsequent niederschlagen. Er war Geldgeber für den portugiesischen Sklavenhandel und finanzierte Kriege in nah und fern. Auch schreckte er nicht davor zurück, Proteste gegen seine ausbeuterischen Praktiken niederzuschlagen zu lassen und aufständische Bauern verfolgen zu lassen. Der Kaufmann und Bankier betrieb eine knallharte Preispolitik, bildete Syndikate und de facto ein Monopol, das ihn über altes Herkommen und jegliche Anstandsnorm zu stellen schien. Selbst der Augsburger Gelehrte Konrad Peutinger, der für das Haus Fugger Gefälligkeitsgutachten zu dessen Handels- und Geschäftspraktiken verfasste, beanstandete Jakob Fuggers Missachtungen von „lieb und treu mainen“ (Treu und Glauben). Historisch gesicherte Sachverhalte, die in der Fugger-Didaktik an vorderster Stelle berücksichtigt werden sollten.

Win-Win-Win-Situation zwischen Fuggern, Stadt und Kirche 

Stattdessen wurde und wird zum Zweck eines dreifachen Win-Win-Win-Geschäftes für Fuggererben, Kirche und Stadtmarketing das Narrativ vom reichen Wohltäter hochgezogen und eine Augsburger Dachmarke geschaffen. Die in der Fuggerei ansässige „Die Fugger GmbH“ vergibt Lizenzrechte auf die Marke Fugger. Wie etwa für den Fugger-Express, der im Regionalverkehr München, Augsburg und Ulm verbindet. Oder eine Schnaps-Linie, die ein bekannter Augsburger Szene-Wirt braut und im Supermarkt bei den Quengel-Regalen sowie in einem sogenannten Pop-up-Store unmittelbar neben der Tourist-Information am Rathausplatz anbietet. In demselben Geschäft werden auch Klamotten eines jugendlichen Augsburger Modeherstellers verkauft, der seine angeblich nachhaltigen Produkte folgendermaßen bewirbt: „Traumhaft gut aussehen und nebenbei noch die Welt retten.“ Ein Slogan wie maßgeschneidert für die Zusammenarbeit mit der Fuggerei-PR der „Friedensstadt Augsburg“.

 OB Gribl: Wir sind Fuggerstädter

Im Jahr 2009 beschloss der Augsburger Stadtrat anlässlich des 550. Geburtstages des Jakob Fugger, einen Platz in der Innenstadt in „Fuggerplatz“ umzubenennen. Damit sollten „die Fugger und ihre enorme Bedeutung für die Stadt gewürdigt werden“. 2017 feierte die Stadt Augsburg dann den 650. Jahrestag der Ankunft des Hans Fugger in Augsburg mit einem Festakt im Goldenen Saal des Rathauses „vor mehr als 400 geladenen Gästen aus Politik, Medien, Wirtschaft und Gesellschaft“. Als wäre die Ankunft des Webers Hans Fugger im Jahre 1367 in Augsburg ein messianischer Advent gewesen.

„Wir sind Fuggerstädter“ bekräftigte dementsprechend der damalige Oberbürgermeister Kurt Gribl (CSU) vor den Gästen im Goldenen Saal, als wäre Augsburg keine Gebietskörperschaft, sondern ein Fürstentum. Den vorläufigen Gipfel der Anbiederung erreichen nun die aktuellen Feierlichkeiten zum Bestehen der Fuggerei. Im August 2021 gratulierte die Stadt Augsburg der „Fuggerei zum 500-jährigen Jubiläum“ mit einem über 90 Quadratmeter großen Banner am Verwaltungsgebäude über dem Rathausplatz. Das sei ein „wichtiges und wunderbares Jubiläum für Augsburg als Fugger-, Stifter- und Friedensstadt“, wie die amtierende Oberbürgermeisterin Eva Weber (CSU) im Internetauftritt der Stadt Augsburg verlautbart und damit gleich mehrere Augsburg-Erzählungen zu einer einzigartigen Halluzination verdichtet. Seit fünf Jahrhunderten sei die Fuggerei „ein zukunftsweisendes Modell“, heißt es weiter auf der städtischen Homepage.

Fuggerei: „Die schnurgeraden Gassen und schmucklosen, nackten Häuserzeilen des riesigen Komplexes wirken wie die Gebäude einer Fabrik“ Foto: DAZ

Damit klinkt sich die Stadt Augsburg in das Narrativ der Fuggerschen Stiftungen ein, die behaupten, die Infrastruktur der Fuggerei sei „zukunftsweisend und visionär“. Die Sprechweisen der Firma Fugger und der Oberbürgermeisterin wirken abgestimmt, was möglicherweise an derselben Werbeagentur liegt. Corporate Wording für eine gemeinsame Marketingstrategie.

Alles andere als ein Idyll

„Bis heute“ spüre man „eine angenehm geordnete und idyllische Atmosphäre“, die durch die „geradlinige Anordnung von Häusern, Wegen und Plätzen“ hergestellt würde, behaupten die Fuggerschen Stiftungen über die Fuggerei. Gibt man die Begriffe Idylle, Idyll und idyllisch bei der Google-Bildersuche ein, erhält man als Ergebnis alles nur erdenklich Hügelige, Runde, Gebogene, Kurvenreiche, Geschlungene, Natürliche und Weite dieser Welt. Aber kein einziges Bild, das einer „geradlinigen Anordnung“, die noch dazu von Mauern umgeben ist, auch nur nahekäme.

Von der heutigen, scheinbaren Postkartenidylle der Siedlung war im 16. Jahrhundert noch nicht allzu viel vorhanden. Die ockerfarbene, weinumrankte, mit Brunnen und Bänken ausgestattete, weltweit vermarktete Touristenattraktion stammt aus späteren Jahrhunderten und kam in Jakob Fuggers Plänen nicht vor. Das Sprachdesign der Fuggerschen Stiftungen stellt jedoch nicht nur billiges Framing dar, es schafft vor allem alternative Fakten ohne historische Grundlage. In der von Jakob Fugger angelegten Siedlung gab es keine öffentlichen Plätze. Und zwar absichtlich nicht. Die ursprüngliche Infrastruktur der Fuggerei war darauf ausgelegt, die Bewohner von Müßiggang, Eigensinn und verdächtiger Zusammenrottung ab- sowie zur Arbeit anzuhalten und wies deshalb (im Gegensatz zu damaligen Armenhäusern) keine öffentlichen Plätze für Gemeinschaftsbildung und Erholung auf.

Konzept der Vereinzelung

Das Konzept zielte bewusst auf Vereinzelung ab. Die Bewohner wurden auf ihre Häuser verwiesen, wo sie fromm, fleißig und zu rechter Stunde im Bett zu sein hatten. Das gilt sogar heute noch. Nächtliche Zuspätkommer müssen an der Pforte eine Geldbuße bezahlen. Die mittlere Gasse der Fuggerei wird heute wie damals als „Herrengasse“ bezeichnet. Dort stehen die Verwaltungsgebäude, von dort aus wird das Geschehen in der Anstalt observiert. Im Stiftungsbrief von 1521 heißt es wörtlich, der in der Herrengasse ansässige Pfleger solle „zusehen“, dass in der Fuggerei nichts Unehrenhaftes geschehe. Erwünscht war die Anpassung an gewisse Verhaltensnormen, für die eines sicher gilt: Sie bestanden nicht zum Nachteil Jakobs des Reichen.

Für die Interpretation des Grabmals eröffnet diese Tatsache eine weitere Möglichkeit: Die zwei Gefesselten sind die vom Handelsfürsten disziplinierten Armen und stehen repräsentativ für eine „Fuggerei“, über der das Lilienwappen herrscht.  

Jakob Fuggers Arbeitersiedlung kann als beispiellos und „modern“ also vor allem deshalb bewertet werden, weil sie der disziplinarischen Bauweise späterer Jahrhunderte vorausgriff. Wie ein Raumschiff erscheint der Neubau der Fuggerei auf dem Stadtplan des Augsburger Goldschmieds Georg Seld aus dem Jahr 1521. Die schnurgeraden Gassen und schmucklosen, nackten Häuserzeilen des riesigen Komplexes wirken wie die Gebäude einer Fabrik. Aus der Zukunft in die Arbeitervorstadt der Renaissance teleportiert, nehmen sie Funktionalismus und Rationalisierung der Architektur späterer Jahrhunderte vorweg. 

Arbeitervorstadt der Renaissance: Augsburg im Jahr 1521, Stadtplan des Georg Seld – Quelle: Historisches Lexikon Bayern

Weshalb landete dieses Raumschiff am Anfang des 16. Jahrhunderts ausgerechnet zwischen Lech und Wertach? Zur Einordnung dieses Ereignisses genügen einige Kenntnisse über den Zusammenhang zwischen den systemischen Gegebenheiten der Epoche und jener zeitgeschichtlichen Figur, die am meisten von diesen Umständen profitierte.

Götze der neuen Zeit

Jakob Fugger war nicht nur der reichste und mithin auch einer der mächtigsten Männer seiner Zeit. Angeblich war er auch zutiefst verwurzelt im katholischen Glauben. Zumindest der Legende nach, die andauernd und vielerorts wiederholt wird: „Jakob Fugger war tiefgläubig und blieb bei der alten katholischen Kirche.“ So die Fuggerschen Stiftungen auf ihrer Homepage. „Tiefgläubig und der katholischen Kirche treu“ sei Jakob Fugger gewesen. So der Augsburger Bischof Bertram Maier im gleichen, vermutlich abgestimmten, Wortlaut beim Festgottesdienst zum Fuggerei-Jubiläum im vergangenen August. Tatsächlich stand Jakob Fugger in engster Verbindung mit der römischen Kirche. Wirtschaftlich und machtpolitisch. Sein Handels- und Geschäftsgebaren lässt indessen keine Rückschlüsse auf eine besondere Treue zu zentralen christlichen Inhalten und Geboten zu. Da das auch einigen seiner Zeitgenossen sehr klar war, liegt es auf der Hand, dass Jakob Fugger auch im Interesse der Firma einen gewissen Druck hatte, Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben. Die grassierende Armut in seiner Stadt bot ein willkommenes Betätigungsfeld, um Großherzigkeit zu demonstrieren, ohne dabei die sozialen Verhältnisse antasten zu müssen. Eine auch heute noch erfolgreiche Strategie.

Renaissance: Kein Goldenes Zeitalter, kein Goldenes Augsburg, sondern bittere Armut

Das ausgehende 15. und das frühe 16. Jahrhundert waren (nicht nur in Augsburg) geprägt von Bevölkerungswachstum, Preissteigerungen (insbesondere bei den Lebensmitteln) und gewaltiger Not. Zur Armut nennt das Historische Lexikon Bayern konkrete Zahlen: Im Jahr 1492 lagen in Augsburg „gut 80 Prozent des Gesamtvermögens in Händen von 5 Prozent der Bürger“. Diese Kluft wurde immer breiter und die immense Armut des größten Teils der Bevölkerung geriet zunehmend zum sozialen Sprengstoff in der Reichsstadt. In Verleugnung dieser Tatsache ist vielfach die Rede vom „Goldenen Augsburg“ der Renaissance. Das Staatstheater Augsburg sprach anlässlich seines propagandistischen Fuggermusicals „Herz aus Gold“ sogar von der „glorreichen Vergangenheit“ einer „blühenden Metropole“. Tatsächlich war die wirtschaftliche Entwicklung in der Freien Reichsstadt des 15. und 16. Jahrhunderts sprichwörtlich golden nur für die exklusive Gesellschaft weniger, gut vernetzter Familien, die in ihren Stadtpalästen im Überfluss schwelgten, während die Verelendung des Großteils der Bevölkerung enorm zunahm und unter den Ärmsten und Hungernden vor allem stinkende und teuflisch juckende Hautausschläge blühten. 

Fugger-Musical des Augsburger Staatstheaters: Im Juli 22 gibt es die Wiederaufnahme 

Zwischen den Jahren 1400 und 1500 hatte sich die Zahl der in Augsburg lebenden Menschen verdreifacht. Aus den Gemeinden ringsum zogen die Menschen in der Hoffnung auf ein besseres Auskommen in die Stadt, angezogen von den Verdienstmöglichkeiten der Handelsstadt. Humankapital, das durch seine schiere Körperkraft wesentlich dazu beitrug, dass die Stolzen unter den Bewohnern der Freien Reichsstadt sich bald als Macher und Lenker eines Welthandelszentrums wahrnahmen.

Die ehemaligen Landbewohner waren zumeist völlig mittellos und viele konnten in der Konkurrenzsituation am Arbeitsmarkt der Stadt nicht bestehen. Die Menge derer, welche um Almosen betteln mussten, wuchs mit dem Kapital der wenigen Reichen. Durch das massive Armutsproblem und immer wieder aufkeimende Unruhen sahen sich die Verantwortlichen der Stadt gezwungen, die Armenfürsorge zu reorganisieren. Eine maßgebliche Rolle spielte dabei die Unterscheidung der Armen in solche, die als „verschämt“ (ehrbar) und solche, die als „un-verschämt“ angesehen und stigmatisiert wurden. Bereits seit Mitte des 14. Jahrhunderts war in Augsburg unterschieden worden zwischen Bettlern und den sogenannten Hausarmen. Als Hausarme galten diejenigen, die trotz geregelter Erwerbsarbeit zwar in Not geraten waren, aber dennoch willfährig ihre Arbeitskraft zu Markte trugen. Ihre Situation wurde als unverschuldet betrachtet, wohingegen den völligen mittel- und arbeitslosen Bettlern das Stigma der Schuld und der Schamlosigkeit angeheftet wurde. Letztere hatten kein Anrecht auf Almosen und andere Beihilfen. Wenn sie kein Bürgerrecht besaßen, mussten sie auch noch die Abschiebung aus der Stadt befürchten. Gewiss konnten die Armen nicht strikt in diese und jene unterteilt werden. Zur obrigkeitlichen Handhabung des Armutsproblems aber war diese instrumentelle Unterscheidung durchaus nützlich.

Die Fuggerei wurde buchstäblich auf dieser diskriminativen Grenze errichtet. Laut Stiftungsurkunde durften in der Siedlung nur Personen unterkommen, die eine „fromme“ Lebensführung vorweisen konnten. Die also der Kategorie der Hausarmen zugerechnet wurden und die zudem katholischer Konfession waren. Als Gegenleistung wurden eine jährlich zu entrichtende Zahlung von einem Rheinischen Gulden und drei täglichen Gebeten für den Stifter und seine Familie erwartet. Im Vergleich zu anderen Armenhäusern, deren Bewohner ein klösterliches Leben voller Gebete und Rosenkränze zu führen hatten, scheint das kein hoher Preis gewesen zu sein. Die Fuggerschen Stiftungen sehen darin sogar ein Zeichen dafür, dass es Jakob Fugger besonders gut mit seinen Hausarmen gemeint habe.

Jobcenter der Renaissance: Von der Moral zur Arbeitsmoral

Jakob Fugger „der Reiche“ nach Skizzen von Albrecht Dürer (1518) entstanden …

Tatsächlich dürfte der Grund für diese Güte woanders zu suchen sein. Das Raumschiff hatte insbesondere erzieherischen Charakter und sollte seine Insassen zur Arbeit disziplinieren. Die Bewohner anderer Armenhäuser waren zumeist alleinstehende Alte und Gebrechliche, für die der Arbeitsmarkt keine Verwendung mehr hatte. Die Bewohner der Fuggerei hingegen setzten sich aus Handwerkern und ihren Familien zusammen. Mit seiner von Mauern umgebenen, klosterähnlichen Anstalt gelang Jakob Fugger tatsächlich etwas, „das Maßstäbe setzte“ (Fuggersche Stiftungen): Die Gleichsetzung von Arbeit und Moral als Arbeitsmoral. Es dürfte einer der gravierendsten Irrtümer der Sozialgeschichtsschreibung sein, dieses Ethos allein dem Protestantismus angelastet zu haben. Stattdessen kann der „tiefgläubige“ und „der katholischen Kirche treue“ CEO der Renaissance als Inkarnation des Götzen der moralischen Ökonomie betrachtet werden. Die heutigen PR-Erben dieses nicht ganz so heiligen Vaters gehen so weit, anzunehmen, dass die Gegenleistung aus Gebeten und Gulden „die Würde der Bewohner sicherte“, die dadurch „keine Almosenempfänger sein mussten“. Ein eindimensionaler Begriff von Würde, der den mittelalterlichen Begriff der Ehrbarkeit nur ersetzt, Menschen ihre prinzipielle Gleich-Würdigkeit abspricht und Almosenempfänger aus dem heiligen Zirkel der Würde ausschließt.

Diese ideologische Spaltung der Armen kann nun erneut auf dem Grabmal des Frühkapitalisten entdeckt werden. Der Gefangene auf der linken Seite erscheint als der Hausarme. Weil er bereit ist, die Regeln seines Herrn zu befolgen, wird er würdig. Der andere versteckt sein Gesicht aus Scham vor der Ordnungsmacht. Die beiden Gefangenen haben größtmögliche Distanz. Statt einander anzusehen und sich zu solidarisieren, kehrt jeder dem anderen den Rücken zu. Sie sind, ganz im Sinne der fuggerschen Stiftungsarchitektur, vereinzelt und vergesellschaften sich nicht. Dennoch teilen sie eine bestimmende Gemeinsamkeit als Unterworfene des Fuggergötzen. Sie sind Gefangene der moralischen Ökonomie, die ihre Körper auf die Schamgrenze zwischen Ehrbarkeit und Ehrlosigkeit zwingt. Die Fuggerei wurde nicht auf dieser Grenze errichtet. Sie ist die Grenze.

Anders, als Sonntagsreden und Werbeprospekte glauben machen wollen, war und ist die Fuggerei gerade kein Zeichen christlicher Nächstenliebe. Ihre Mauern schließen nicht nur ein – sie schließen auch aus. Die Fuggerei steht strukturell für die sozialpolitische Trennung in Anspruchsberechtigte und Nichtberechtigte, die nur mittels Überwachungs- und Kontrollmaßnahmen durchgesetzt werden konnte. Derartige Maßnahmen stellten zu Beginn des 16. Jahrhunderts jedoch einen Widerspruch zur mittelalterlichen Idee der Caritas dar, in der die Zuwendung nicht dem Kollektiv, sondern – ohne Ansehen der Person – dem Einzelfall galt. Wenn ein Reicher einen Armen mit Almosen versorgte, hatte die Grundlage eine freie und aufrichtige Herzensregung zu sein, was keine rationalistische, sozialpolitische Unterscheidung zuließ. Jakob Fuggers Diskriminationsanstalt wäre daher als Jobcenter der Renaissance weit treffender bezeichnet, denn als „Inspiration für die ganze Welt“ (Fuggersche Stiftungen). Die Entwicklungen der Sozialdisziplinierung und der Institutionalisierung des Armenwesens stehen markant am Übergang vom sogenannten Mittelalter in die sogenannte Neuzeit. Im Allgemeinen. Nicht ausschließlich dort, wo zufällig Fugger wohnten und wohnen.

… Jakob Fugger, wie er von Jörg Breu d. Ä. porträtiert wurde – und wohl auch ausgesehen hat

Und doch ist es eben möglicherweise gerade deshalb kein Zufall, dass eine Fuggerei genau dort entstand, wo der Reichste der Reichen dieser Zeit zu Hause war. Für den Götzen der neuen Zeit wurden neue Riten und neue Tempel gebraucht. Jakob Fugger baute mit seiner Disziplinaranstalt das Taufbecken für eine Wirtschaftsform, die den Menschen und seine Spiritualität vollständig verwertbar macht. Für sich und seinesgleichen ließ er mit der Kapelle in St. Anna den dazugehörigen Altar errichten. 

Käufliche Menschenwürde

Die heutigen Fugger deuten die Beweggründe ihres Vorfahren anders. Für eine „minimale spirituelle und monetäre Gegenleistung“ würde die Fuggerei Bedürftige „ermächtigen“, „ein selbstbestimmtes Leben in Würde zu führen“. Damit stünde sie in der Tradition des Jakob Fugger, der die Hilfe für Arme „besser, wirkungsvoller und nachhaltiger“ gestaltet und deshalb „ein völlig anderes Konzept“ erfunden habe. Nämlich die „Hilfe zur Selbsthilfe“. Dies sei der Kerngedanke der Fuggerei, so die Fugger über Fugger und die Fuggerei. Davon abgesehen, dass die Fuggerschen Stiftungen hier allen Ernstes die Menschenwürde zum einkaufbaren Gegenstand erklären, ist das ahistorischer Unsinn.

Die Begrifflichkeit der Hilfe zur Selbsthilfe gab es im 16. Jahrhundert in der heutigen Form nicht. Die Firma Fugger beansprucht hier als Alleinstellungsmerkmal eine Idee, die nur scheinbar wertvoll und wegweisend klingt. „Hilfe zur Selbsthilfe“: Der Begriff sagt, dass die betroffenen Menschen unfähig seien, sich selbst zu helfen und hat vor allem anti-emanzipatorische Wirkung. Heute, wie im 16. Jahrhundert, ist die soziale Frage vorrangig eine Frage nach der Gerechtigkeit des Wirtschaftssystems und nicht nach der angeblichen Ehrbarkeit der Menschen am Abgrund dieses Systems. Hilfe zur Selbsthilfe – demokratisch verstanden, nicht paternalistisch – wirkt zunächst auf die Schaffung von Möglichkeiten zur Einflussnahme auf die Produktionsbedingungen, zur gesellschaftlichen Teilhabe und insbesondere politischen Mitgestaltung hin, bevor sie Körper und Geist der Abhängigen moralisiert und die Betroffenen zur blindgläubigen Übernahme unhinterfragter ökonomischer Verhältnisse anhält.

Die Fuggerei als Menschen-Fabrik

„Unsere Bewohner sind Jakob Fugger dankbar, dass er ihnen im Heute die Sicherheit einer Wohnung gibt.“ Dieser Satz stammt von Wolf-Dietrich Graf von Hundt, Verwalter der Fuggerschen Stiftungen und Geschäftsführer der „Die Fugger GmbH“. Worte, die von Jakob Fugger wie von einer lebendigen Gottheit sprechen. Die Fuggerschen Stiftungen stellen laut eigener Aussage „seit einigen Jahren“ eine „steigende Tendenz“ bei der Nachfrage nach Wohnungen in der Fuggerei fest und einen Zusammenhang mit der aktuellen Wohnungsnot her. Diese oberflächliche Schlussfolgerung ist wahrscheinlich richtig.

Kunst in der Fuggerei Foto © DAZ

Doch die Schlussfolgerung aus der Schlussfolgerung geht dann eben auch so: Menschen, die heute in die Fuggerei ziehen, brauchen zuallererst eine Wohnung. Die Fuggerschen Stiftungen leisten sich dabei den Luxus, aus der Menge an Bewerbungen die Wunschbewohner für ihren touristischen Menschenzoo auszuwählen und zugleich die frühneuzeitliche Schamgrenze zu konservieren. Ganz im Sinne des Familiengötzen, der (so Verwalter Graf von Hundt) mit der Fuggerei einen Teil der Hausarmen von der „Sorge um ein Dach über dem Kopf befreit“ habe. Und nicht nur das! Viele hätten durch diese Sorgenfreiheit wieder arbeiten können. Die „für damalige Verhältnisse recht großen“ Wohnungen in der Fuggerei seien laut Graf von Hundt nämlich besonders geeignet gewesen, um darin ein Gewerbe zu betreiben – etwa als Weber im sogenannten Verlagssystem. Eine damals übliche Form der lohnabhängigen Heimarbeit. Neuartig war allerdings die im großen Maßstab konzipierte Konzentration einer Vielzahl von Heimarbeitern in einer dem Erwerbsfleiß und der fügsamen Lohnarbeit gewidmeten, geradlinigen, überwachten und ummauerten Siedlung. Jakob Fugger hat sich mit seiner Fuggerei eine eigene Fabrik bauen lassen. Seine Menschen-Fabrik.

Bevormundung und Herabwürdigung

Fügsame Menschen sollten im Laufe der Jahrhunderte durch noch fügsamere Maschinen ersetzt werden. Doch die Fuggerei blieb bestehen. Diese erstaunliche Beständigkeit liegt – zumindest, wenn man den Fuggerschen Stiftungen folgen will – am „Fuggerei-Code.“ Die bisherige Vorsitzende des fuggerschen Familienseniorats Maria Elisabeth Gräfin Thun-Fugger spricht auch von der „DNA der Fuggerei“, deren „Essenz“ zukünftig „Grundlage für soziale Innovationen auf der ganzen Welt“ sein solle. Gemeint ist der Plan, Fuggereien in Sierra Leone und Litauen zu installieren.

Die vierfache Tautologie aus Code, DNA, Essenz und Grundlage täuscht derweil göttliches Design dort vor, wo, wie bereits erwähnt, ein paar wenige Kausalitäten, viel Zufall und umso mehr Härte aus dem Nachkommen eines talentierten Landwebers einen ehrgeizigen Oligarchen werden ließen, dessen Erinnerungskultur in Form seines Grabmals einen blasphemischen Anspruch auf Ewigkeit erhob.

Hybris, die sich auch in der von den Fuggerschen Stiftungen erklärten Absicht niederschlägt, den heutigen Fuggerei-Bewohnern klarzumachen, was diese „zu einem gelingenden Leben“ bräuchten. Um in den (den Herren der Herrengasse selbstverständlich geläufigen) Genuss eines gelingenden Lebens zu gelangen, sollen die Fuggereibewohner „sich selbst reflektieren“ und „Spiritualität entwickeln“. Dieser Schritt sei jedoch „eine höchstpersönliche Entscheidung der Bewohner“ und könne „weder eingefordert noch kontrolliert werden“, wie es auf einer Schautafel in der Fuggerei heißt.

Größer könnte die moralökonomische Demütigung kaum sein, als materielle Mittellosigkeit kategorisch mit spiritueller Armut zu verknüpfen, die solchermaßen Armen für den Ausweg aus diesem erbarmungslosen Konstrukt radikal verantwortlich zu machen und dabei zugleich vollständig zu entmündigen. Diese Logik, die im Umkehrschluss Reichtum und Herrschaft mit göttlicher Auserwähltheit gleichsetzt, dient vor allem der ewigen Legitimation ihres Stifters, der wie seine Stiftung voller unvereinbarer Widersprüche steckt. Die Fuggerei ist zu einer Festung von Legenden geworden, zu einer dialektischen Festung. Zeit einen Ausweg zu finden.



Neuausrichtung beim Fugger-Welser-Erlebnismuseum

Nach einer Kritik-Kanonade, die im Juli 2020 in der DAZ ihren Anfang nahm, hat das Fugger-Welser-Erlebnismuseum sein Ausstellungskonzept verändert

Fugger und Welser Erlebnismuseum im Domviertel – Foto: © Rudolf Morbitzer

Dabei ist die neue Stele „Kupfer für den Dreieckshandel“ ein Baustein der gegenwärtigen Überarbeitung. Zwar war Kritik an den Schattenseiten von Kapitalismus und Globalisierung von Beginn an in der Ausstellung verankert, allerdings gab es für individuelle Besucherinnen und Besucher nur wenige Informationen dazu, wie Augsburger Handelshäuser direkt (Welser) oder indirekt die Fugger vom transatlantischen Sklavenhandel zu Beginn des 16. Jahrhunderts profitierten: Europäische Handelsgesellschaften trieben ab dem 15. Jahrhundert die Kolonialisierung außereuropäischer Regionen aus wirtschaftlichen Interessen finanziell maßgeblich voran.

Auch fernab von Küstenstädten profitierten Kaufleute, wie die Fugger und Welser aus Augsburg, enorm von den in ihren Augen zusätzlichen Rohstoffquellen und neuen Absatzmärkten. Durch die rücksichtslose Ausbeutung der westafrikanischen Küste und der amerikanischen Kontinente durch die Europäer wurden die Grundlagen des transatlantischen Handels mit versklavten Menschen gelegt. Von diesem Handel profitierten sowohl die Fugger als auch die Welser mit klingender Münze.

Die Folgen des europäischen Kolonialismus und des transatlantischen Menschenhandels sowie des damit einhergehenden Rassismus sind bis heute greifbar, worauf seit 2020 die Bewegung »Black Lives Matter« verstärkt aufmerksam macht.

„Die zweifelsfrei faszinierende Geschichte der Fugger und Welser muss um die Sichtweisen derer ergänzt werden, die unter Eroberung und Ausbeutung gelitten haben“, so Tourismusdirektor Götz Beck. Zukünftig solle stärker thematisiert werden, auf wessen Kosten der große Reichtum Augsburger Handelsgesellschaften erwirtschaftet wurde.