Der 3. Oktober und seine symbolische Leere
Seit 1990 gilt der 3. Oktober als Tag der Deutschen Einheit. Begründet wird das damit, dass an diesem Datum der Einigungsvertrag in Kraft trat und damit die staatliche Wiedervereinigung formal vollzogen wurde. Doch bei genauerem Hinsehen zeigt sich: Dieser Tag ist weit weniger „geschichtlich aufgeladen“, als es die Inszenierung jedes Jahr nahelegt.
Kommentar von Bruno Stubenrauch
Rein rechtlich hätte der Beitritt der DDR an jedem beliebigen Tag erfolgen können. Der 3. Oktober war lediglich ein Kompromiss: Er ergab sich einerseits als frühestmöglicher Termin nach der Ratifizierung des Zwei-plus-Vier-Vertrags durch die Siegermächte, andererseits als gefühlt letztmöglicher Zeitpunkt vor dem wirtschaftlichen Kollaps einer DDR, der die eigene Auflösung nicht schnell genug gehen konnte.
Ein Abschlussdatum – nicht mehr, nicht weniger. Ihm eine symbolische Strahlkraft zuzuschreiben, überhöht letztlich einen bürokratischen Vorgang.
Verpasste Chance: der 9. November
Stattdessen hätte sich der 9. November angeboten, jener „Schicksalstag der Deutschen“, an dem 1989 die Berliner Mauer fiel. Ein Tag, den jeder im Gedächtnis trägt und an dem sofort Erinnerungen wachwerden, wo man damals war. Ein Datum, das den Aufbruch und die Euphorie des Volkes viel deutlicher transportiert als der nüchterne Vollzug vom 3. Oktober.
Dass man die dunklen Kapitel des 9. November – Reichspogromnacht 1938, Hitler-Putsch 1923 – nicht mit der Wiedervereinigung verknüpfen wollte, dass man einen unbelasteten, von Konnotationen freien Tag wollte, ist nachvollziehbar. Doch gerade die parallele Erinnerung hätte eine Chance zur historischen Aufarbeitung geboten. Diese Chance wurde vertan.
Der 17. Juni – nur noch eine Fußnote
Auch der 17. Juni, einst „Tag der Deutschen Einheit“ in der alten Bundesrepublik, spielte bei der Neufestlegung keine Rolle. Sein Bezug auf den Volksaufstand von 1953 war nach 1989 politisch überholt. Heute ist er nur noch ein stiller Gedenktag – eine Fußnote in der Erinnerungspolitik.
Vereinnahmung durch den Islam
Problematisch erscheint zudem die Entwicklung seit 1997: Der Zentralrat der Muslime legte den „Tag der offenen Moschee“ bewusst auf den 3. Oktober. Offiziell, um Integration und Dialog zu fördern. Strategisch, weil da die Menschen frei haben. Kritiker sehen darin jedoch eine Vereinnahmung des Nationalfeiertags, die die Aufmerksamkeit vom eigentlichen historischen Anlass abzieht.
Wer wirklich einen „unbelasteten“ Nationalfeiertag gewollt hätte, hätte ihn gesetzlich vor konkurrierenden Deutungen und religiösen Ansprüchen schützen müssen. Stattdessen ist der 3. Oktober heute doppelt belegt – und das nicht unumstritten.
Ein Tag ohne klare Botschaft
So bleibt der 3. Oktober ein Datum ohne eigenes Gewicht, ein bürokratisches Schlusssignal, das nachträglich zum Feiertag erhoben wurde. Er steht weder für die Euphorie des Mauerfalls noch für die tragischen wie lehrreichen Wendepunkte des 20. Jahrhunderts. Er ist ein künstliches Symbol, das durch die parallele religiöse Nutzung zusätzlich verwässert wird. Ob dieser Tag jemals das nationale Zusammengehörigkeitsgefühl zu stiften vermag, das er offiziell repräsentieren soll, bleibt fraglich.