Segel setzen für die Opfer der Augsburger Kolonialgeschichte
Im Schulterschluss zwischen der Werkstatt Solidarische Welt und der Universität Augsburg (Lehrstuhl für Politikwissenschaft, Friedens- und Konfliktforschung) wurde das unzeitgemäße Narrativ der Augsburger Kolonialgeschichte im Rahmen des 375. Jubiläums des Augsburger Friedensfests korrigiert.
Von Udo Legner
Welsertafel 2.0 (Foto Thomas Körner-Wilsdorff)
Verharmlosung, Einseitigkeit, Glorifizierung – diese Begriffe beschreiben den bisherigen Blick auf die Augsburger Kolonialgeschichte im öffentlichen Raum. Prägnantes Beispiel: die sogenannte Welsertafel in der Annastraße. Diese feiert Bartholomäus Welser als Pionier „erster deutscher Kolonialunternehmungen“, ohne die damit einhergehende Gewalt zu erwähnen: die Ermordung tausender Indigener und die Versklavung von 4.578 Afrikaner*innen.
Am 18. Juni fand im Rahmen des Augsburger Friedensfests ein Aktionstag unter dem Titel „Von El Dorado nach Augsburg: Kolonialgeschichte sichtbar machen!“ statt. Neben dem Kolonialen Stadtrundgang (Werkstatt Solidarische Welt) und einer Lecture Performance (mit den Kunstschaffenden Magda Agudelo und Adelheid Schulz) stand die Enthüllung und Anbringung einer zweiten ergänzenden Welsertafel in der Annastraße 25 im Zentrum.
Die Santa Maria 2.0 mit Christina Pauls, Uni Augsburg (Foto: Barbara Holl)
Ein nachhaltiger Hingucker bei dieser Aktion war die Santa Maria 2.0, die erst neulich beim 45jährigen Jubiläum der Werkstatt Solidarische Welt aufgelaufen war. Die Kolumbus-Karavelle wurde im Jahr 1992 anlässlich des 500jährigen Kolumbus-Jubiläums der Entdeckung Amerikas vom Arbeitskreis Dritte Welt am Maria-Theresia-Gymnasium nachgebaut – im Maßstab 1:8 zur Christopher Kolumbus Modell-Karavelle.
Winds of Change
Die Santa Maria 2.0 segelte bereits vor über dreißig Jahren mehrmals durch die Augsburger Fußgängerzone, warb für Fairen Handel und Solidarität zwischen den Völkern und machte auf das Thema Kolonialisierung aufmerksam. Gegenwind bekam das Engagement der Santa Maria Crew damals aus dem Augsburger Rathaus. Dort gab es anlässlich des 500jährigen Jubiläums der Entdeckung Amerikas eine Ausstellung über die Fugger und Welser, bei der die Rolle der amerikanischen Ureinwohner*innen weitgehend ignoriert wurde. Der AK Dritte Welt wurde zwar eingeladen, seine „Santa Maria II“ als Blickfang für die Ausstellung zur Verfügung zu stellen, durfte aber seine Texttafeln, auf denen das Schicksal der indigenen Bevölkerung dargestellt wurde, aus „technischen Gründen“ nicht ausstellen. Folglich wurden die kritischen Begleittexte als Flugblätter auch bei der Eröffnung der Ausstellung im Goldenen Saal verteilt, worüber Bürgermeister Peter Menacher und die damalige Bildungsreferentin „not amused“ waren.
Fazit: Allein die die Anbringung einer zweiten Welser-Gedenktafel im Rahmen des Augsburger Friedensfests weist darauf hin, dass sich der Wind in Sachen Aufarbeitung der Augsburger Kolonialgeschichte gedreht hat und der postkolonialen Perspektive inzwischen Beachtung geschenkt wird.