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Freitag, 26.04.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Brechtfestival: Risse hinter der Fassade

Trotz einer bemühten Feierlaune beherrschte die Ungewissheit über die Zukunft des Brechtfestivals die Tonart der Eröffnung.

Von Halrun Reinholz

Thomas Thieme:oft zu laut (Foto: Nikolai Eberth).

Thomas Thieme: oft zu laut (Foto: Nikolai Eberth).


Ja, die Besucherzahlen des Vorjahres konnten sich sehen lassen und auch die Eröffnung des Brechtfestivals 2015 fand vor vollem Haus statt. Vorausgegangen waren die Divergenzen über die künftigen Festivals im Stadtrat beziehungsweise mit dem Kulturreferenten Thomas Weitzel, der bei der Eröffnung wegen einer Dienstreise nicht anwesend war. Die Kompromisslösung, dass Festivalleiter Joachim Lang für 2016 eine Verlängerung bekommt, nicht aber für weitere drei Jahre, wurde von diesem vor Beginn des Festivals explizit nicht angenommen – alles ungewiss also und viel Raum für Spekulationen und Anspielungen in alle Richtungen.

Überschwängliche Begrüßungen mit Seitenhieben

Unter diesem Vorzeichen muss wohl der überdimensionierte Begrüßungsteil bei der Festivaleröffnung im Großen Haus verstanden werden. Es gehört bei einem Festival dieses Formats dazu, dass Gastgeber und Veranstalter ihre Botschaften unter das Volk bringen. Warum jedoch eine Moderatorin (Anja Marks-Schilffahrth) nötig war, um die drei dem Publikum durchaus bekannten Begrüßungsredner (OB Kurt Gribl, Theaterintendantin Juliane Votteler und Festivalleiter Joachim Lang) anzusagen und in deren eigenen Räumen zu ihrer eigenen Veranstaltung (in wessen Namen wohl?) „herzlich willkommen“ zu heißen, ist mehr als schleierhaft. In bemühter Jovialität und Liebenswürdigkeit bedankten sich die Redner bei allen Mitwirkenden. Dass man den Eindruck hatte, Juliane Votteler bedanke sich bei Joachim Lang im gleichen Atemzug wie bei den Technikern und Garderobieren ihres Theaters, ist möglicherweise eine böswillige Unterstellung. Joachim Lang lobte vor allem sein Festival, das Augsburg in den letzten sechs Jahren zum „Weimar des 21. Jahrhunderts“ gemacht habe und beschwor damit die Ängste eines Rückfalls der Stadt in „kulturlose“ Zeiten herauf. Unbeleckt von der bemühten Herzlichkeit war lediglich der erste Redebeitrag von OB Gribl, der mit einem kreativen Versprecher das „Brechtival“ würdigte und damit zur Lockerung der Atmosphäre beitrug. Das vom Schwall der Reden geplättete Publikum hatte eigentlich die ganze Zeit auf die Eröffnungsvorstellung von „Das Leben des Galilei“ gewartet, als die Moderatorin nach einer Stunde Begrüßung zunächst eine Pause ankündigte.

Galilei ist nicht Baal

Gespannt war man auf Thomas Thieme, der bereits vor zwei Jahren eine eindrucksvolle Ein-Mann-Performance von Brechts „Baal“ nach Augsburg gebracht hatte. Diesmal war es „Das Leben des Galilei“ – ein Stück, das Brecht im Exil in den USA geschrieben hat. Die Bühnenmusik von Hanns Eisler wurde für die Festivalversion vom Kinderchor des Diedorfer Gymnasiums und zwei Instrumentalisten unter der rührigen Leitung von Andrea Huber übernommen. Ein ehrgeiziges Projekt unter der Regie von Julia von Sell, aber nicht rundum überzeugend. Die Sprachgewalt und Bühnenpräsenz von Thomas Thieme fand in dem Schülerchor zu wenig Gegengewicht. Arthur Thieme an Kontrabass und Mundharmonika unterstützte die Texte zwar in Baal-bewährter Manier, aber oft zu laut. Denn anders als bei Baal ist der Handlungsverlauf bei Galilei weniger emotional und die Entschlüsselung der von Thieme gemimten Redepartner erforderte deshalb hohe Konzentration von den Zuhörern. Dass sich Thieme herausnahm, Zuschauer anzuschnauzen und Huster zu persiflieren, ist eines Schauspielers seines Formats eigentlich unwürdig.

Es knistert weiter im Gebälk

Latte hochgelegt, um bequem unten durch marschieren zu können: Brecht-Festivalleiter Joachim A. Lang

Joachim Lang: zu selbstgefällig


Der Premierentalk im Theaterfoyer brachte Joachim Lang ein weiteres Forum zum Lob des Festivals und seiner Arbeit der letzten sechs Jahre. Thomas Thieme unterstützte ihn nach Kräften und bekundete sein Interesse daran, die chronologisch für 2016 anstehende DDR-Zeit Brechts mit ihm zusammen zu machen. Im Publikum saß Karl-Heinz Schneider und applaudierte, im Einklang mit so manch anderen, kräftig. Den neutraleren Beobachtern bot sich ob dieser zelebrierten Selbstgefälligkeit eher ein Bild, das nahelegt, über neue Wege nachzudenken. Zweifellos hat die Ära Lang dem Brechtfestival wichtige Impulse gebracht, hat es in Augsburg geerdet, die Akzeptanz in der gern zitierten „Stadtgesellschaft“ erhöht. Die Zusammenarbeit mit dem Theater – wenn auch keine Liebesheirat – war notwendig und die Wechselwirkung mit internationalen Gästen hebt das Ansehen des Festivals überregional. Doch ein Abonnement für die Ewigkeit ist dieses Konzept nicht, deshalb muss auch abseits von allen menschlichen Animositäten der Gedanke an eine Neuausrichtung erlaubt sein, ohne gleich einen Rückfall in prähistorische Zeiten heraufzubeschwören.