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Samstag, 23.03.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Meinung

Kommentar: Warum Eva Weber nach ihrer verbalen Entgleisung im Feuer stehen sollte

Dass eine CSU-Oberbürgermeisterin einen Stadtrat in einer Stadtratssitzung öffentlich als einen „Depp“ bezeichnet, ist eine einmalige Entgleisung, die tief blicken lässt. Gemeint ist OB Eva Weber, die den Linken Stadtrat Frederik Hintermayr dergestalt deutlich herabwürdigte, dass dies nicht nur von ihrem näheren Umfeld, sondern auch von den Mikrofonen des Livestreams aufgenommen wurde.

Kommentar von Siegfried Zagler

In der neueren Geschichte der Stadt Augsburg ist kein ähnlicher Vorfall bekannt, obwohl in Zeiten des Kalten Krieges zwischen Union und der Sozialdemokratie geholzt wurde, wie man das sich heute kaum noch vorstellen kann. Die beiden SPD-Oberbürgermeister Wolfgang Pepper und Hans Breuer waren von ihrem Selbstverständnis her und natürlich wegen ihrer Professionalität keine Sekunde gefährdet, sich öffentlich wie nicht öffentlich in dieser beleidigenden Form zu äußern. Das Gleiche gilt für die Oberbürgermeister Peter Menacher (CSU), Paul Wengert (SPD) und Kurt Gribl (CSU). Oberbürgermeister, die knapp 60 Jahre Stadtgeschichte prägten, ohne einmal im Stadtrat ausfällig zu werden, obwohl so mancher von ihnen in Sachen Kritik ähnlich dünnhäutig war, wie die aktuelle Oberbürgermeisterin Eva Weber.

Und nun mutet es merkwürdig an, dass die erste Frau im OB-Amt sich in Richtung Opposition verbale Entgleisungen erlauben kann, ohne dafür im Feuer stehen zu müssen. Es ist noch nicht so lange her, als Eva Weber im Rahmen der Debatte um die Linie 5 dem Vorsitzenden der sozialen Fraktion Dr. Florian Freund (SPD) empfahl, sich „nicht dümmer zu stellen als er ist“. Die Bezeichnung „Depp“ sei in Bayern nur ein „Schimpfwörtchen“ glossiert Wolfgang Bublis im CSU-nahen Boulevardblatt sopress. Außerdem habe Hintermayr die Entschuldigung Webers angenommen. „Nix passiert also.“

Nichts passiert? Es ist zutreffend, dass sich Eva Weber kurz nach der Stadtratssitzung telefonisch bei Frederik Hintermayr entschuldigt hat – und es ist zutreffend, dass Hintermayr Webers Entschuldigung angenommen hat. Politisch repariert ist dieser Oberbürgermeister-Ausfall deshalb noch nicht. Hintermayr sagte der DAZ, dass er keine Anzeige stellen werde, auch wenn seiner Meinung nach eine öffentliche Entschuldigung noch folgen sollte.

Die Frage, ob Hintermayr und die Linken, die soziale Fraktion aus diesem Vorfall Kapital schlagen können oder nicht, soll hier nicht erörtert werden. Viel wichtiger ist die Frage, die Florian Freund kürzlich in den öffentlichen Raum stellte, nämlich ob Eva Weber mit dem Oberbürgermeisteramt nicht überfordert sei. Entgleisungen dieser Art legen den Gedanken nahe.

Eine der großen Lokomotiven der Menschheitsgeschichte ist die Entdeckung, dass wir Menschen nicht im Besitz der Wahrheit sind. Die Erkenntnis, dass unsere Erkenntnisse nur von vorläufiger Dauer sind, nennt man Wissenschaft. In der vorwissenschaftlichen Welt erklärten die Religionen, die Götter oder die großen Weisen, die im Besitz alles Wissens und aller Wahrheit waren, den Menschen mit Schriften oder Predigten den Sinn ihres Lebens. Es war vor der Entdeckung der menschlichen Unwissenheit unvorstellbar, dass die Bibel, der Koran oder die Vedas etwas Bedeutsames auf der Erde oder im Universum übersehen haben könnten. Wenn etwas nicht in den heiligen Büchern stand, hatte es keine Bedeutung. Kritische Gedanken oder Nachfragen waren in der vorwissenschaftlichen Welt Gotteslästerung.

In einigen Kulturen gilt das bis auf den heutigen Tag. Es mag ironisch klingen, aber lange Zeit, ja beinahe bis heute, hat sich die CSU mit diesem Konzept im katholisch-ländlichen Bayern zur Staatspartei entwickelt. Der Landtag war für die CSU lange Zeit ein Gremium, dem man die unfehlbaren Beschlüsse der Partei mitzuteilen hatte. Eva Weber wurde in eine CSU-Familie hineingeboren, als die Partei unter ihrem Gottvater Franz Josef Strauß als unfehlbar galt. Eva Webers Vater, Alfons Zeller, der dreißig Jahre für die CSU im Landtag saß (1978-2008) und viele Jahre als Staatssekretär mehr Wirkungskraft an den Tag legte, als erlaubt schien, galt in der Partei als „Allgäuer Dickschädel“. Damals ein Kompliment, heute ein Negativattribut.

Es ist sehr spekulativ anzunehmen, dass Eva Weber dieses alte CSU-Gen über die „Vatermilch“ so intensiv verinnerlicht hat, dass sie öffentliche Kritik als persönliche Kränkung empfindet. Wäre dem so, wäre sie für das OB-Amt ungeeignet. Als gesichert gilt die Botschaft des Flurfunks der Verwaltung, dass Eva Weber, habe sie ihre Meinung gebildet, für andere Meinungen kaum noch zugänglich sei.

Längst hätte Eva Weber zu ihrem schweren Fauxpas öffentlich Stellung beziehen müssen. In Deckung gehen und darauf hoffen, dass daraus nicht mehr als eine unbedeutende Anekdote resultiert, ist für eine Oberbürgermeisterin inakzeptabel.