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Dienstag, 16.04.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Gefangen mit und ohne Drogen

Judith Bohle glänzt im Hoffmann-Keller

Von Frank Heindl

Manche Verkäufer lächeln erkennbar nur, um uns etwas zu verkaufen. Die durchschaut man schnell. Andere sind von ihrem Produkt derart überzeugt, dass dieses freudige Strahlen aus ihrem Inneren zu kommen scheint. Denen gehen wir leicht auf den Leim. Hanna, unter der Regie von Fabien Alder dargestellt von Judith Bohle, ist so eine: So überzeugt ist sie selbst von ihrer Botschaft, so lauter scheint ihre Absicht, dass das Publikum eine ganze Zeit lang ihrem Charme, ihrer wohlwollenden Fürsorge nahezu erliegt. Dass die Skepsis nicht völlig weicht, ist dem absurden Thema zu verdanken: Unter dem Titel „Welche Droge passt zu mir“ preist Hanna ein „Verfahren zum bewussten Rauschmittelkonsum als Schlüssel zum Glück in stürmischen Zeiten“ an. Da kann doch was nicht stimmen!

Unglücklich mit und ohne Betäubungsmittel, gefangen im Wirkungsmechanismus des Drogenkonsums: Judith Bohle als Hanna.

Unglücklich mit und ohne Betäubungsmittel, gefangen im Wirkungsmechanismus des Drogenkonsums: Judith Bohle als Hanna.


Von der packenden Präsenz Judith Bohles im Hoffmann-Keller des Theaters lebt das Ein-Personen-Stück ebenso sehr wie vom sarkastischen Witz des Textes von Kai Hensel: Ein Lobpreis der Droge als Hilfsmittel in allen Lebenslagen, der alle gängigen Argumentationsmuster auf den Kopf stellt. Gerade weil wir auf unseren Körper angewiesen sind, sollen wir Drogen nehmen; Drogen nehmen wir nicht für uns, sondern für die Menschen, die wir lieben; weil unsere Partner jederzeit zuverlässige Unterstützung brauchen, sollen wir uns chemisch fit halten; und unsere Kinder werden es einmal besser haben, weil sie mittels Ritalin schon in früher Jugend an den Drogenkonsum gewöhnt werden. Zeuge für all diese Erkenntnisse Hannas: der antike Philosoph Seneca.

Klarkommen mit der Absurdität des Alltags

Hanna, die diese Argumentationen  logisch, konsequent und folgerichtig vorträgt, ist eine ganz gewöhnliche, glückliche Hausfrau: Der Mann leitender Ingenieur, der Sohn süß, das Jugendstilhaus ein Schmuckstück. Nur langweilig ist ihr in dieser bürgerlichen Idylle – Drogen bieten sich da als Ausweg an. Nur muss man wissen, welche wie wirken, muss sich auf dem Drogenmarkt auskennen, muss die passenden Gerätschaften anschaffen (etwa eine elektronische Waage, um den Dealer zu verblüffen, oder ein „Ziehröhrchen“ für den Kokainkonsum). Weil Hanna das alles schon weiß, gibt sie es an lernbegieriges Publikum weiter. Ganz Geschäftsfrau, tritt sie in grauem, knielangen Rock, weißer Bluse und hochhackigen Schuhen auf die Bühne und klärt auf. Über Wirkstoffe und Wirkweisen, über Risiken und Nebenwirkungen. Auch über den weltweiten Drogenhandel als „das einzig funktionierende, globale Sozialsystem“, über die Rolle der illegalen „Kurden, Schwarzen, Albaner“ im Handelssystem. Das ist alles wahr und richtig und eine Schande und Hensel hat damit die Absurdität einiger gesellschaftlich Wahrheiten drastisch auf den Punkt gebracht. Doch wenn man solche Zustände als gegeben hinnimmt, kann man prima damit klarkommen – so prima wie wir, so prima wie Hanna.

Nur dass dieses Bild im Laufe des Vortrags Risse bekommt. Hinter Unsicherheiten, Verhasplern, nervöses Nesteln im Haar taucht allmählich eine andere Hanna auf – eine Frau, der in allzu viel Geborgenheit und Vorbestimmtheit ein Ziel abhanden gekommen ist, die im Abenteuer des Drogenkonsums jenen Sinn sucht, den ihr eigenes Leben nicht mehr hat. Die für ihren kleinen Sohn mehr Genervtheit als Liebe empfindet, die von ihrem Mann mehr vergewaltigt als verführt wird, deren schmuckes Haus nicht nur Wasserschäden, sondern auch Finanzierungsprobleme aufweist.

Am Schluss die Havarie

Und die längst nicht mehr über die Kontrolle ihrer Drogenkarriere verfügt. Der Kampf gegen psychische und physische Nebenwirkungen („ein Gramm Speed, ein Gramm Kokain, fünf Ecstasy-Tabletten, eine Kanne Kaffee… Ich sage nicht, dass meine Vormittage immer einfach sind), die Pickel im Gesicht, auch schon erste paranoide Anwandlungen in Form von Erdbebenangst und Virenpanik – Hanna ist nicht mehr nur auf der Flucht vor der Gefangenschaft im Wohlstandsmilieu, sondern auch vor den Folgen ihres Ausbruchsversuche. Ihr Mann will ein zweites Kind, sie sträubt sich dagegen – ist aber vom angolanischen Dealer schwanger. „Falls der Dealer Ihnen anbietet, mit Sex zu zahlen“, hatte sie vorher geraten, „lehnen Sie ab“ – ein Beispiel dafür, wie wenig ihr die eigenen Erkenntnisse nützen. Anfangs hatte sie stets das Bild vom Boot des Lebens bemüht, das man immer auf Kurs halten müsse. Nun fühlt sie sich selbst „wie ein havariertes Schiff“ und bricht am Ende schluchzend zusammen, als sie sich die ergreifenden Reden bei ihrer eigenen Beerdigung herbeiphantasiert. Selbstmitleid auf der einen Seite – und im Schlussbild (Bühne: Clara Lotta Bosch) eine Kind gebliebene Frau, die sich im milden Licht in einen Sessel kuschelt. Nichts kam öfter vor in ihrem Vortrag als das Wort „Zärtlichkeit.“ Aber zärtlich gehen auch die angepriesenen Drogen nicht mit ihr um.

Es ist gewiss nicht einfach, im absurd-unglaubwürdigen Setting dieses Stückes glaubwürdig zu bleiben – Judith Bohle gelingt dieses Kunststück auf verblüffende Weise. Sie zieht das Publikum mit unglaublicher Direktheit hinein in Hannas verquere Gedankenkonstruktionen, lässt die Sprünge und Risse in deren Verhalten nur allmählich sichtbar werden, deutet den sich anbahnenden Zusammenbruch nur vorsichtig an, ohne zu dramatisch zu werden und so dem Text seine sarkastische Schärfe zu nehmen. Letztlich ist ihre Drogenwerbung nur ein verzweifelter Versuch, Konsistenz und Logik ins eigene Leben zu bringen, das eigene Scheitern nicht einzugestehen. Drogen sind nicht der Schlüssel zu Hannas Glück – aber auch nicht der zu ihrem Unglück. Viel Applaus bei der Premiere am Sonntag – nächste Aufführung am kommenden Donnerstag, 29. September um 20.30 Uhr.

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