Literatur im Gespräch
Fabelhafte Kontroversen über Literatur
Seit elf Jahren gibt es den von Kurt Idrizovic organisierten “Literarischen Salon”, eine kleine Perle in der insgesamt recht schwach aufgestellten Augsburger Literaturszene. (Wo bleibt eigentlich das von Kulturreferent Thomas Weitzel versprochene Literaturhaus?). Seit elf Jahren wird dort Literatur vorgestellt, empfohlen und verrissen. Seit vielen Jahren hat der stets ausverkaufte Salon sein Publikum gefunden, und dennoch musste man sich darüber wundern, dass an einem heißen Sommerabend 80 Literaturfreunde den Weg in die leicht abgelegene Haag-Villa fanden. Niemand sollte sein Kommen bedauert haben.
Von Sybille Schiller
Wenn AZ-Redakteur Richard Mayr (rim) sich aufregt, dann richtig. Der im „Literarischen Salon“ von Knut Schaflinger vorgestellte Roman „Ich kann dich hören“ von Katharina Mevissen „ist einfach nur Mist“, sagte Mayr. Sein abfälliges Urteil hatte jedoch nichts damit zu tun, dass er mit seiner eigenen „Sehr gut“-Bewertung für die Vorstellung von „Die zehn Lieben des Nishino“ (Hanser) aus der Feder von Hiromi Kawakami zuvor auf dem Podium allein gelassen wurde. Davon später mehr.
Der guten Beurteilung von Knut Schaflinger für „Ich kann dich hören“(Wagenbach) schlossen sich Moderator Dirk von Gehlen und Birgit Böllinger an. Letztere teilte Schaflingers Meinung über die Sprachgewandtheit der Autorin, bemängelte nur die „zu vielen Erzählebenen“. Katharina Mevissen erzählt von Musik, von Gehörlosigkeit und der Suche des Cellisten Osman nach sich selbst und seinen Bindungen. Das fand Richard Mayr zu konstruiert, doch sein vehementes Contra sorgte bei den Besuchern in der voll besetzten Haag-Villa für gute Stimmung. Fast so heftig wie Mayrs Kritik an Mevissen war zuvor Schaflingers „Nein“ zu „Die zehn Lieben des Nishino“ ausgefallen. „Purer Kitsch“ sagte er und setzte mit „schade um die Zeit des Lesens“ noch eins drauf. Moderator Dirk von Gehlen gab Schaflinger Recht, während Bloggerin Birgit Böllinger sich moderater äußerte, die Lektüre aber nicht zwingend weiterempfahl. Richard Mayr verteidigte sein Pro für die zehn japanischen Liebeserfahrungen mit eine Parallele zum „On – Off“ unserer Tage, meinte Nishino und seine Lieben würden gut in die in die Welt der Follower 2019 passen.
Kontrovers verlief auch die Diskussion über „Die Nebelkrähe“ von Alexander Pechmann (Steidl), dem Buch der Wahl von Birgit Böllinger. Schauplatz dieses Romans ist das London der 1920-er Jahre. Dort spielt die traumatische Geschichte des Mathematikers Peter Vane, der auf seiner Suche nach Antworten, nach Wahrheit und Wirklichkeit mit Okkultismus und Seancen konfrontiert wird und dabei immer wieder Oscar Wilde begegnet. Vanes Suche und sein geträumtes Erleben nannte Böllinger „atmosphärisch dicht und intelligent“ erzählt, während Richard Mayr bekannte, dass ihn „Die Nebelkrähe“ genervt habe, Knut Schaflinger dagegen befand den Autor Alexander Pechmann „sehr klug“ und sein Buch „wunderbar“.
Dieser letzte „Literarische Salon“ vor der Sommerpause (im Herbst geht’s weiter) wird den interessierten, amüsierten und jetzt über Neuerscheinungen informierten Besuchern im Gedächtnis bleiben. Zum Schluss noch die Buchempfehlungen der Podiumsgäste.
Birgit Böllinger empfiehlt:
Karl Friedrich Borée: Dor und der September; Vivian Gornick: „Ich und meine Mutter; Gabriele Tergit: „Effingers“.
Richard Mayr empfiehlt:
Melinda Nadj Abonji: „Tauben fliegen auf“; Zadie Smith: „Swing Time“; Juli Zeh: „Spieltrieb“.
Knut Schaflinger empfiehlt:
Wolfgang Schorlau: „Der große Plan“; Schünemann & Volic: „Maiglöckchenweiß“; Herta Müller: „Im Heimweh ist ein blauer Saal“
Dirk von Gehlen empfiehlt:
Daniela Krien „Die Liebe im Ernstfall“; Eric Vuillard: 14. Juli; Roger Willemsen: „Gute Tage“.