Explosive Provokationen
Die Ausstellung „Tolerabilis“ in der Toskanischen Säulenhalle
Von Frank Heindl
„Tolerabilis“ – erträglich. Unter diesem lateinischen Titel wurde am gestrigen Donnerstag in der toskanischen Säulenhalle im Rahmenprogramm des Hohen Friedensfestes eine Ausstellung eröffnet, die provoziert und die im Titel geforderte Toleranz deutlich einfordert.
Es gibt viele Arten von Ausgrenzung. Eine zeigt Ahmet Ögüt in „School Memory“.
Unter dem Motto der Religionsfreiheit steht das Friedensfest – doch die Ausstellung solle über dieses Thema hinausgehen, sagt die Bulgarin Ilina Koralova, die zusammen mit Timo Köster, dem Leiter des Augsburger Friedensbüros, die Schau kuratiert hat. Toleranz sei schließlich nicht nur ein Problem zwischen den Religionen. Am deutlichsten zeigt diesen Aspekt der Türke Ahmet Ögüt auf seiner Fotografie mit dem Titel „School Memory“ – etwa: Erinnerung an die Schule. Da posiert eine Gruppe von elf Jungs und Mädchen vor der Kamera, artig aufrecht aufgereiht, den Blick auf die Kamera gerichtet. Eine Stelle in der zweiten Reihe aber bleibt frei – der zwölfte Schüler sitzt von der Gruppe abgerückt, außerhalb des Arrangements, seine Augen schauen ins Leere, der Oberkörper ist zusammengesunken. Die Botschaft dieser Fotografie ist eindeutig und schnell zu erkennen: es geht um Ausgrenzung. Doch wer genau hinsieht, kann sich vieles dazu denken. Vor allem wird dem Betrachter auffallen: Der ausgegrenzte Junge unterscheidet sich äußerlich in nichts von den anderen Kindern. Es ist nicht die übliche Ausländer/Inländer-Problematik, die das Foto beschreibt.
Gegenüber von Ögüts Werken hängen drei weitaus provokativere Fotos. „In der Community wird darüber diskutiert“, sagt Timo Köster und verweist damit auf eine gewachsene Offenheit in der muslimisch geprägten Bevölkerung gegenüber künstlerisch-kritischen Stellungnahmen zum Islam und dessen Ausprägungen. Im türkischen Trabzon hat die Künstlerin Nilbar Güres gearbeitet – sie stellt ihre Fotos nun unter dem „TrabZONE“ aus. Trabzon hat traurige Berühmtheit erlangt, weil der Mörder des Journalisten Hrant Dink hier gelebt und Rückhalt für seine Tat gefunden hat. In der „für den religiösen Fanatismus ihrer Einwohner und deren Festhalten an nationalen Werten“ bekannten Kleinstadt hat Güres in einer Moschee zwei Frauen in kniender Gebetshaltung fotografiert – dabei steckt der Kopf der zweiten Frau unter dem Rock der ersten. Eine weitere Arbeit zeigt zwei Frauen in der ausschließlich Männern vorbehaltenen Abteilung einer Moschee. Kuratorin Ilina Koralova berichtet, die Arbeiten seien unter Gefahr für Leib und Leben der Künstlerin entstanden – Arbeiten, die so provokativ wie entschieden sind. Als Aufruf zur Toleranz gegenüber anders (und das heißt liberaler) Denkenden mögen sie wohl aufgefasst werden. Sie sind aber auch wütender Protest und die Aufkündigung von Toleranz gegenüber konservativen „Religiösen“, die anderen Menschen – in Trabzon vor allem Frauen – ihre Sicht der Dinge aufzwingen wollen.
Religion oder Nationalismus?
Welche kuriosen Blüten auch christliche Religiosität mitunter treibt, zeigen Luise Schröder und Anna Baranowski mit ihrem 16minütigen Kurzfilm „Facing the Scene“. Die Bilder wurden aufgenommen bei der die Einweihung der weltgrößten Jesusstatue in der polnischen Kleinstadt Swiebodzin. Doch die Regisseurinnen zeigen kein einziges Mal diese Statue – und solange der Zuschauer nicht weiß, worum es geht, wirken Szenerie und gebannte Blicke mal wie bei einer Sportveranstaltung, mal, wenn Fahnen ins Bild kommen, wie bei einer nationalistischen, wenn nicht rechtsradikalen Kundgebung.
Einen ebenso subtilen Blick auf religiöse Gebräuche wirft ein zweiter Kurzfilm. Helmut und Johanna Kandl zeigen in einer Doppelprojektion zum Einen Aufnahmen aus einer Manufaktur im Wallfahrtsort Lourdes, wo Madonnenstatuen in tausendfacher Massenproduktion hergestellt werden; zum Anderen auch diese Figuren „im Einsatz“, wie sie von Betenden auf Knien umrundet, wie sie tausendfach gestreichelt und dabei poliert und geglättet werden. „Wo und in welchen Moment“, fragen die Künstler, „geschieht die Wandlung von der Handelsware zum angebeteten Gnadenbild?“
Ästhetik der Zerstörung
Als sehr provokativ kann man auch den Beitrag von Olaf Nicolai empfinden – seine Arbeit hat in den Augen der Kuratorin „mit Religion gar nichts zu tun.“ „Jedem Ende wohnt ein Anfang inne“ ist ein im Wortsinne explosives Video. Nicolai hat dazu die Schlusssequenz eines der aufregendsten Filme der Geschichte verwendet: Am Ende von Michelangelo Antonionis „Zabriskie Point“ fliegt eine riesige Villa in die Luft – es bleibt ungeklärt, ob es sich dabei um die Realität oder den Wunschtraum der Protagonistin handelt. Unterlegt ist die Zeitlupensequenz mit Musik von Pink Floyd. Nach der Explosion sieht man Symbole von Luxus und Zivilisation durch die Luft fliegen. Nicolais einzige substanzielle Veränderung: Er hat die Szene aus dem Kontext gelöst und die Pink-Floyd-Musik gegen einen geloopten Ausschnitt aus dem vierten Satz (Adagietto. Sehr langsam) von Gustav Mahlers 5. Sinfonie ausgetauscht.
Die ohnehin berauschende und ästhetisierende Szene von Antonioni erhält so eine weitere Konnotation von Schönheit und gar Poesie – und weckt außerdem Assoziationen an den Einsturz der New Yorker Zwillingstürme am 11.9. 2001 (der Anschlag jährt sich während der Ausstellungsdauer zum zehnten Mal). Was will Nicolai damit sagen? Weshalb haben die Kuratoren für das Thema Toleranz Antonionis Zerstörungsorgie ausgewählt, die schon 1970 auch als antiamerikanistisch verstanden wurde und genau aus diesem Grund exakt in die Konnotation der „nine eleven“-Anschläge passt? Es gehe in Antonionis Film um den „Mythos Amerika und die Symptome seines Zerfalls“, erklärt der Ausstellungskatalog. Nicolai fahnde in seinen Arbeiten nach „emanzipativen Potenzialen innerhalb kapitalistisch geprägter Gesellschaften“, er prüfe Utopien und Ordnungssysteme „auf eine – befreiende – Neuinterpretation der Welt hin“, seine Arbeiten könnten „affirmativ und konsumkritisch gelesen werden.“ Man kann aus Nicolais Arbeit auf jeden Fall den Wunsch nach Zerstörung herauslesen – der Künstler diskutiert einmal mehr den ästhetischen Wert von Gewalt und Revolution, interpretiert die Welt und den Überdruss an ihr aus der Zerstörung – auch dies ein gewagter Ansatz, mit dem die Kuratoren nochmals ihren Mut zur Provokation unterstreichen.
„Tolerabilis“ dauert bis zum 4. Oktober, die Ausstellung ist von dienstags bis sonntags jeweils von 11 bis 18h geöffnet. Der Ausstellungskatalog kostet 8 Euro und enthält einen Text von Ilija Trojanow mit dem Titel „Bewaffnete Zungen“.