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Dienstag, 29.04.2025 - Jahrgang 17 - www.daz-augsburg.de

Eine Stadtregierung gibt es nicht mehr

Warum OB Kurt Gribl und die CSU vor einem Scherbenhaufen stehen

Von Siegfried Zagler

Der politische Prozess gegen Tobias Schley ist noch nicht zu Ende und der daraus folgende politische Schaden ist in seinem ganzen Ausmaß noch lange nicht abzuschätzen. Eine Momentaufnahme aus Sicht der ehemaligen Stadtregierung lässt sich allerdings relativ einfach darstellen: Es handelt sich um eine Katastrophe. Nachdem sich der Pulverdampf nach dem ersten Schley-Prozess zumindest vorübergehend verzogen hat, treten einige Sachverhalte, die vor dem Prozess nur schemenhaft durch das Rathaus geisterten, für jedermann sichtbar als in Zahlen gegossene Fakten zutage.

Der Prozess und seine politische Wirkung

Man kann nicht mehr davon sprechen, dass es in Augsburg eine „Stadtregierung“ gibt. Das ist die erste Einsicht, die nach dem ersten Schley-Prozess gestochen scharf ins Auge sticht: Die einst 32-köpfige Regierungskoalition – 25 CSU-Stadträte, 6 Pro Augsburg-Stadträte plus OB Kurt Gribl – hat sich nach den Austritten von Karl Heinz Englet (raus aus Pro Augsburg) und Regina Stuber-Schneider (raus aus der CSU) und der Gründung der NCSM (sechs Austritte aus der CSU-Fraktion) und schließlich nach dem CSU-Austritt von Tobias Schley und seinem Verbleib im Stadtrat – auf 23 Köpfe reduziert.

Noch nicht aktualisiert: augsburg.de zeigt die Sitzverteilung im Stadtrat vor dem CSU-Austritt von Tobias Schley

Zur Erinnerung: Mit dem OB dürfen im Augsburger Stadtrat 61 Personen abstimmen. Durch Schleys Partei- und Fraktionsaustritt ist eine Neubesetzung der Ausschüsse notwendig geworden. Über Losverfahren wird in der Stadtratssitzung am 29. November bestimmt, ob und in welchen Ausschüssen die CSU den Linken einen Sitz abgeben muss. Falls es schlecht für die CSU laufen sollte, hat die „Stadtregierung“ in den wichtigen Ausschüssen (Finanz-, Bau-, Personal-, und Allgemeiner Ausschuss) keine Mehrheit mehr. Zählt man die NCSM dazu, sitzen im Stadtrat nach der Schley-Affäre bestenfalls noch 28 Ratsmitglieder, die, wenn es hart auf hart kommen sollte, aus politischen Gründen mit Oberbürgermeister Kurt Gribl stimmen werden.

Wer trägt dafür die Verantwortung?

„Schuld“ an diesem Machtverlust der ehemaligen Stadtregierung sind nicht nur die Kapriolen eines (zu) mächtig gewordenen Stadtrats namens Schley, nicht nur eine in persönliche Scharmützel verstrickte Partei namens CSU, nicht nur ein papierener Koalitionspartner namens Pro Augsburg. Verantwortung für diesen außergewöhnlichen Substanzverlust einer von Beginn an nicht einfach zu führenden Regierungskoalition trägt das Gesamtpaket „Stadtregierung“ selbst, also natürlicherweise auch Oberbürgermeister Kurt Gribl, der sich in Sachen Personalentscheidung auf der Referentenebene zu Beginn seiner Amtszeit haarsträubende Fehlentscheidungen vorwerfen lassen muss. Darüber, dass Andreas Bubmann (Wirtschaftsreferent) und Walter Böhm (Ordnungsreferent) heillos überfordert waren, gibt es keine zwei Meinungen. Beide hatten ihr Amt Kurt Gribl zu verdanken. Ihre Ablösung war ein quälend langer Vorgang, ein Prozess der besonderen Art, der die damalige Stadtregierung lähmte und ums Haar auch personell zu schwächen drohte.

Heillos überfordert: Ordnungsreferent Walter Böhm bei der nächtlichen Picknick-Demo gegen das "Döner-Verbot"

Auf verlorenem Posten: Ordnungsreferent Walter Böhm bei der nächtlichen Picknick-Demo gegen das "Döner-Verbot" im Jahr 2009


Volker Ullrich stand im Frühjahr 2009 kurz vor einem Rauswurf aus der CSU-Fraktion, was damit zu hatte, dass der ehrgeizige Ullrich, damals „nur“ Stadtrat und Vorsitzender der Jungen Union, nicht abzuhalten war, Böhm zu beinahe jeder passenden Gelegenheit öffentlich zu attackieren. Finanzreferent und 2. Bürgermeister Hermann Weber setzte sich an die Spitze einer Gruppe, die „Stänkerer“ Ullrich aus der CSU-Fraktion ausschließen wollte. Kurt Gribl, Johannes Hintersberger und Bernd Kränzle haben damals im Fraktionsvorstand für den Ausschluss Ullrichs gestimmt, Tobias Schley dagegen. Da Beschlüsse dieser Art im CSU-Fraktionsvorstand laut Satzung einstimmig ausfallen müssen, ist festzuhalten, dass Schley seinerzeit Ullrich vor einem schweren Karriereknick bewahren konnte. Fraktionschef Bernd Kränzle entwickelte daraufhin eine abgestimmte Lösung. Ullrich wurde „nur“ mit einem Maulkorberlass und einem demütigenden Wechsel bestraft. Er musste vom Wirtschaftsausschuss in den Stiftungsausschuss wechseln und seinen Platz im Aufsichtsrat der Augsburg AG räumen. Das Ende der Geschichte ist bekannt. Ullrich blieb in der Fraktion, ersetzte Böhm als Ordnungsreferent und setzte dabei in kürzester Zeit Akzente wie kein anderer vor ihm.

Stuber-Schneiders CSU-Austritt hatte nichts mit Tobias Schley zu tun

Kurt Gribls Absicht, das Bildungsreferat mit einer weiblichen Doppelspitze (Claudia Eberle und Alexandra Brumann) zu besetzen, wurde vom Stadtrat korrigiert, der mit Stimmen aus dem CSU-Lager Hermann Köhler zum Bildungsreferenten wählte. Halten wir also fest, dass bereits wenige Wochen nach Kurt Gribls Amtsantritt einige CSU-Stadträte OB Gribls Gestaltungswillen als unverbindlichen Vorschlag bewerteten. Sie taten gut daran. Dies geschah bereits im Juni 2008, als Kurt Gribl noch keine zwei Monate im Amt war. Hermann Köhler wurde von der SPD vorgeschlagen und gilt heute als ein Referent ohne Fehl und Tadel.

Schulreferent ohne Fehl und Tadel: Hermann Köhler, hier mit Sechstklässlern der Martinschule

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Der CSU-Austritt Regina Stuber-Schneiders hat, soviel steht zumindest fest, nichts mit Tobias Schley zu tun. Wenn man wissen will, warum sich Regina Stuber-Schneider von Kurt Gribl und der CSU entfernt und bei den Freien Wählern eine neue politische Heimat gefunden hat, muss man ebenfalls weit zurückblättern. In der letzten Stadtratssitzung der Regenbogenära im April 2008 – Gribl war bereits als Oberbürgermeister gewählt, aber noch nicht im Amt, zeichnete sich eine Mehrheit für die von Gribl favorisierte „kleine Messe“ ab. In einer Sitzungsunterbrechung nahm sich Kurt Gribl die beiden CSU-Stadträte Regina Stuber-Schneider und Volker Ullrich, die sich den „großen“ Messeplänen verpflichtet fühlten, mit der durchschlagenden Autorität eines frisch gewählten Stadtoberhauptes zur Brust. Beide stimmten anschließend im Sinne Kurt Gribls ab. Regina Stuber-Schneider war tief verletzt.

Schley schlug zurück

Wenige Monate später dachte Kurt Gribl laut darüber nach, ob Tobias Schley als Messemitarbeiter überhaupt Mitglied des Stadtrates sein dürfe. Die Regierung von Schwaben beantwortete diese Frage mit einem eindeutigen „Ja“. Im Sommer 2011 machten sich Kurt Gribl und der damalige CSU-Vorsitzende Christian Ruck dafür stark, dass Tobias Schley als Vorsitzender des Kreisverbandes West vom Pferseer Ortsverbandvorsitzenden Max Becker abgelöst werden soll. Die Absicht, Tobias Schley samt seinem Netzwerk zu schwächen, schlug ins Gegenteil um. Schley und Hohenhau sorgten am 8. Juni 2011 in der Versammlung des Kreisverbandes West dafür, dass auf der späteren CSU-Bezirksversammlung die Delegierten aus dem „Schley-Lager“ die Mehrheit bildeten. Johannes Hintersberger wurde zum neuen CSU-Chef gewählt und im ebenfalls neu gewählten Vorstand befanden sich kaum noch Vertraute Kurt Gribls. Die tagelangen Vermittlungsbemühungen von Ministerpräsident Horst Seehofer liefen ins Leere. Kurt Gribl stand auf der Seite der Verlierer.

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Wenn man mit Hermann Weber (NCSM) spricht, dann sieht er die Ursachen der Gründung der NCSM darin, dass es ihm nicht gelang, die Konsequenzen des 8. Juni rückgängig zu machen. Eine extra bestellter CSU-Landesjustiziar bewertete die Delegiertenaufstellung des Kreisverbandes West als „satzungskonform“. Man kann also durchaus auf den Gedanken kommen, dass der Angriff von Ruck und Gribl auf Tobias Schley der Auslöser für die NCSM-Abspaltung gewesen sein könnte. Kurt Gribl hat Tobias Schley dazu gezwungen, sich „warm anzuziehen“. Schleys „Rache“ war als Reaktion zu verstehen. Wenig später unterschrieb Kurt Gribl zusammen mit 11 CSU-Stadträten und Hermann Weber ein so genanntes „Misstrauensvotum“ gegen Bernd Kränzle. Kränzle solle als Fraktionsvorsitzender zurücktreten. Das Ergebnis ist bekannt. Erneut hatte sich Augsburgs Oberbürgermeister deutlich auf die Seite eines CSU-Lagers geschlagen und wieder stand er am Ende des Tages mit leeren Händen da. Diese Vorgänge hatten kaum etwas mit politischen Inhalten zu tun. Man kann es nicht oft genug betonen: Es ging um persönliche Verwerfungen und Kurt Gribl war bei diesem Gezänk stets Partei, also aktiv beteiligt. Im letzten Hurra gegen Tobias Schley hielt sich Kurt Gribl lange Zeit zurück. Man könnte auch sagen, er hielt Dr. Rudolf Holzapfel (Pro Augsburg) nicht zurück, als dieser im März dieses Jahres gegen Schley Anzeige wegen Beleidigung erstattete. Diese Sache aus der Welt zu schaffen sei Aufgabe der Fraktionsvorsitzenden, so Gribl, der Holzapfel rennen ließ und dabei in Kauf nahm, dass das Verfahren Holzapfel vs. Schley das Image des gesamten Stadtrates beschädigte.

Gribls Fanfare im Duett mit Seehofer

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Der Prozess gegen Tobias Schley, so der allgemeine Eindruck, kam Kurt Gribl gerade recht. Nach dem Urteil forderte Augsburgs Oberbürgermeister im Gleichklang mit Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer den Rücktritt von Schley. Diese Aufforderung ging Richtung CSU-Vorstand. Gemeint war damit, dass Schley sein Stadtratsmandat niederlegen solle. Mit dieser verzweifelten Fanfare im Duett mit Seehofer hat Kurt Gribl einer breiten Öffentlichkeit gezeigt, wie gering sein Einfluss in der Augsburger CSU geworden ist. Das Ergebnis ist bekannt. Die CSU und ihr Oberbürgermeister stehen vor einem Scherbenhaufen. Eine Stadtregierung gibt es nicht mehr.

In den Ausschüssen, in denen die CSU einen Sitz an die Linken abgeben muss, könnte die Opposition (SPD, Grüne, Linke) zusammen mit Rainer Schönberg (FW) jeden Antrag der „Stadtregierung“ abschmettern, selbst dann, wenn sich in den 12er Ausschüssen ein Bürgermeister als 13. Stimme hinzugesellen sollte. Selbst wenn die „Stadtregierung“ in den Ausschüssen etwas durchsetzen sollte, ist nicht gesichert, dass diese Empfehlung im Stadtrat angenommen wird.

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Falls in den kommenden Tagen, Wochen und Monaten OB Kurt Gribl und die zerschlissene Schar einer ehemaligen Stadtregierung nicht radikal von ihrem bisherigen Lagerdenken abrücken sollten, könnten sie peinliche Überraschungen erleben. Um es nur in einem Beispiel konkret zu benennen: Kurt Gribl und Peter Grab müssen sich nach Richard Goerlichs Rücktritt eine Neubesetzung seiner ehemaligen Stelle abschminken. Für einen Popkulturbeauftragten gibt es im Stadtrat keine Mehrheit mehr. Der neue Popkulturbeauftragte hätte zwar für die „Stadtregierung“ einen hohen Symbolwert, ist aber unterm Strich genauso bedeutungslos wie die längst verschwundene Kulturkoordinatorin. Richtig grausam – aus Sicht der „Stadtregierung“ – könnte es bei den kommenden Haushaltsberatungen im Januar 2013 werden. Mit nur noch 29 Stimmen auf ihrer Seite muss die „Stadtregierung“ für „ihren“ Haushalt um Zustimmung bei der Opposition werben. Von den Freien Wählern ist in dieser Hinsicht nicht viel zu erwarten. Wer immer von der Opposition den Haushalt 2013 mittragen soll, er wird ihn mitgestalten. Im Augsburger Stadtrat ist von nun an alles denkbar. Für die politische Stadt hat eine andere Zeitrechnung begonnen: die Zeit nach dem Schley-Prozess.

Nachtrag: In Sachen „Fraktionsrauswurf Volker Ullrich“ wurden der DAZ heute Vormittag zusätzliche Informationen zugetragen. Die daraufhin unternommenen Recherchen bestätigten diese Informationen. Der Text wurde an der entsprechenden Stelle nachträglich verändert.