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Freitag, 17.01.2025 - Jahrgang 17 - www.daz-augsburg.de

Die Kunst der Stadttheatersysteme muss hinterfragt werden

Warum das Bürgerbegehren der Sanierungskritiker eine notwendige Sache ist

Von Siegfried Zagler

I Die Software

Während sich die großen philharmonischen Orchester und Bühnen wie in Berlin, München, Stuttgart, Madrid, Paris, Wien, Mailand und Frankfurt als qualitiativ hochkarätige Kultureinrichtungen im Bewusstsein der europäischen Gesellschaften verfestigt haben – und somit den Status des Unverzichtbaren erreicht haben, befinden sich die bundesdeutschen Stadttheatersysteme in einem fortlaufenden Prozess der Hinterfragung. Für Letztgenanntes sind zwei Gründe anzuführen: Erstens leiden die Kommunen immer stärker an chronischen Finanzproblemen und zweitens befindet sich die Theaterkunst der Stadttheater in einer Relevanzfalle.

Als vom Theater noch Impulse ausgingen, die von der Bühne in die Gesellschaft hineinwirkten: Das Komödienhaus am Taschenberg in Dresden fasste 2000 Besucher und war eines der größten europäischen Theater seiner Zeit (Kupferstich von Johann Oswald Harms, 1678).


Auf der einen Seite müssen sie die kulinarischen Bedürfnisse des Abonnentenpublikums und der (in dieser Hinsicht) anspruchsvollen Umlandbevölkerung bedienen. Auf der anderen Seite sollen sie zum Zusammenhalt der Stadtgesellschaften beitragen und bei der Integration des Fremden mithelfen. Doch damit nicht genug: Selbstverständlich sollten sie auch die kritische Reflexion der real existierenden Gesellschaft betreiben – und dabei ästhetisch anspruchsvolle Geschichten erzählen. Die Stadttheater sollten für die Arbeiterklasse den Ausgang aus ihrer unverschuldeten Unmündigkeit finden und für die Klein- und Bildungsbürger die „weltfremden“ Versprechungen der Religionen ersetzen. Dabei sind sie – wen wundert’s? – in Bausch und Bogen gescheitert.

Die deutschen Stadttheater sind mit ihren kulinarischen Konzepten und mit ihren selbstformulierten Aufklärungsansprüchen aber nicht nur an der eigenen Selbsterhöhung gescheitert, sondern schlicht am „Lauf der Zeit“, da in zeitgenössischen Gesellschaften die staatlichen Bildungsanstalten längst keine Brücken mehr zu den Theatern bauen. Die selbstgefälligen Qualitätsbehauptungen der Stadttheatersysteme und der Glaube des kleinstädtischen Publikums an diese Qualitätsformulierungen sind im Zusammenspiel mit den lokalen Feuilletons eine Art Nibelungenschwur gegen die unbarmherzige Kraft der Gegenwart geworden. Eine Gegenwart, die sich längst nicht mehr an den ästhetischen Entwicklungen und an den Geschichten auf den Theaterbühnen reibt.

Die Bedeutungshoheit der subventionierten kleinstädtischen Repräsentationsbühnen hat sich in den vergangenen 20 Jahren pulverisiert. Mit einem Besuch in einem herkömmlichen Stadttheater ist längst nicht viel mehr als ein bescheidener Unterhaltungsanspruch verbunden. Popkonzerte, Filmkunst und andere Kunstformate sind für 95 Prozent der deutschen Stadtbewohner längst nicht mehr niederschwelliger als die Darbietungen in einem ortsansässigen Stadttheater. Das war in den achtziger und sogar noch in den neunziger Jahren anders. Ein Theaterabend war einmal etwas Besonderes, ein Bühnenschauspieler ein Star und ein Intendant ein funkenspeiender Götterbote, der die Nöte des Alltags milderte, indem er den Menschen die Wahrheit der Welt erklärte. Die Kritiker der Feuilletons stellten in diesem Hochglanzkunstsystem die Vertreter der Menschheit dar, und selbstverständlich waren darunter zahlreiche Päpste anzutreffen.

Die Zeiten, als von Sophokles, Shakespeare und Brecht Impulse ausgingen, die von der Bühne in die Gesellschaft hineinwirkten, sind vergangen. Die Fortsetzung der Antike ist vorbei, die gesellschaftliche Relevanz der Theater ist Geschichte. Die Gesellschaften der Kleinstädte sind für Impulse dieser Art ohnehin relativ immun gewesen, weshalb die kleinen Stadttheater heute stärker denn je dazu tendieren, frei nach Büchner, die Pflege der Langeweile zu perfektionieren. Dabei handelt es sich um eine systemrelevante Funktion, deren Mechanik darin besteht, dem Publikum zu zeigen, dass alles in Ordnung ist, dass die Welt nicht außer Rand und Band ist, solange es in „sein“ Theater gehen kann.

Diese unausgesprochene Vereinbarung wird von den Theatern und ihrem Publikum verteidigt, als fände auf den Bühnen dieser Einrichtungen etwas Elementares, etwas für die Fortführung der Gesellschaft Wichtiges statt. Die Pflege der Theaterkunst ist ein kleinbürgerlicher Fetisch geworden. Wer diesen Fetisch fundamental in Frage stellt, muss mit starken Mob-Allianzen rechnen, deren Instrumente innerhalb der kleinbürgerlichen Kaste sehr wirksam sind: Verächtlichmachung, Verbannung und sogar lebensbedrohliche Angriffe auf die wirtschaftliche Existenz, wie es der Sprecher der Augsburger Sanierungskritiker erfahren musste: Buchhändler Kurt Idrizovic schien nach einer Woche Laufzeit „seines“ Bürgerbegehrens, das sich gegen eine Neuverschuldung für die Theatersanierung richtet, dergestalt sturmreif geschossen, dass er in einem Interview mit der Augsburger Allgemeinen bei einer geringeren Neuverschuldung Verhandlungsbereitschaft signalisierte.

Jenseits dieser geschlossenen Kreisläufe sieht die Welt anders aus. In den vergangenen 15 Jahren hat das Augsburger Stadttheater für die Fortführung der Stadt Augsburg nicht viel mehr geleistet als ein Kino, ein Museum oder ein Zoo. Hat keine Spuren, kein geistiges Muster in die Stadt gelegt, dem es zu folgen lohnt, hat weder einen moralischen Imperativ gesetzt noch eine humanistische Matrix gelegt, an der sich eine von der Globalisierung vereinahmte Stadtgesellschaft hätte orientieren oder distanzieren können. Während der Ära Votteler war das Theater mehr mit sich selbst beschäftigt als mit allem anderen. Irreparable Verwerfungen und Streitexzesse standen lange Zeit auf der Tagesordnung. Nicht wenige Künstler der obersten Etage verließen fluchtartig das Haus oder mussten es verlassen.

Dass weder von den Ensembles und den Stücken noch von dem Wissen und der Kunstfertigkeiten der Regisseure und Theaterleiter Impulse ausgehen, die eine Stadt und ihre Gesellschaft fortführen könnten, hat in der Welt der Wissenschaften und der Künste zu einer gewissen Gleichgültigkeit und Skepsis gegenüber der Theaterkunst geführt. Der Skepsis folgt die Politik, wenn sie sich aus der Gleichgültigkeit zu lösen versteht, insbesondere die Kommunalpolitik, die den laufenden Theaterbetrieben immer mehr Sparmaßnahmen abringt oder dem Freistaat vorwirft, dass er „ihr“ Theater nicht angemessen fördert, wie zum Beispiel einer der beiden Augsburger SPD-Abgeordneten im Bayerischen Landtag. Harald Güller will herausgefunden haben, dass dem Augsburger Stadttheater mehr Fördergelder (vier Millionen Euro) für den laufenden Betrieb zustehen würden. Dem Augsburger Stadttheater mit seinen 371 Beschäftigen reichen nämlich zirka 24 Millionen Euro „Subventionszulage“, davon zirka 15 Millionen aus dem Augsburger Stadtsäckel, nicht zum Leben, nicht zum Sterben, während die Stadt Augsburg sich diese Beträge für den normalen Betriebsunterhalt ihres Stadttheaters jedes Jahr aufs Neue unter großen Schmerzen aus dem mageren Fleisch ihres Haushaltes schneidet.

Das interne Strukturproblem der „Software Theaterbetrieb“ ist nicht weniger gravierend: Zirka 90 Prozent der Zuschüsse werden von den „nichtkünstlerischen Angestellten“ des Stadttheatersystems aufgebraucht, weil sie nach Tarif des öffentlichen Dienstes bezahlt werden. Das System frisst die Kunst, statt sie zu fördern. Ein weiteres Strukturproblem stellen die Gehaltsdifferenzen auf der Künstlerebene dar, die weder mit Lohnabstandsgeboten noch mit üblichen Gehaltsdifferenzen beruflicher Standards zu rechtfertigen sind. Es gibt wohl kaum eine andere „Staatsfirma“, die ihre Existenz mit einem gesellschaftlichen Auftrag rechtfertigt, aber zugleich Gehaltsscheren abbildet, die an feudalistische Strukturen erinnern – wie das bei den deutschen Stadttheatern der Fall ist. Schauspieler bekommen im Schnitt in etwa 2.500 Euro brutto im Monat. Intendanten verdienen nicht selten das zehnfache. Hospitanten und Praktikanten, ohne die die Theater nach eigener Einschätzung schließen müssten, arbeiten in der Regel ohne Bezahlung, was nichts daran ändert, dass das personalintensive Theaterbetriebswesen kostensenkend nicht geführt werden kann.

Während also die Kosten für den normalen Theaterbetrieb jährlich zunehmen, nimmt die Relevanz der Stadttheaterkunst ab – und somit auch die Akzeptanz der Schmerzen, die die Kosten bereiten. Die Stadttheater stehen vor einer grundlegenden Neustrukturierung. Drückt sich die Politik davor, implodiert mittelfristig das gesamte System. Ein System, das Subventionen zu 90 Prozent zum Systemerhalt verwendet, verliert dauerhaft Anspruch auf Förderung. Von Theaterleitern, die wie Fürsten agieren, ist keine Reformhilfe zu erwarten. Vom Theaterpublikum und den lokalen Feuilletons noch viel weniger. Weshalb es sich um einen mächtigen Fehler der Stadt Augsburg handelt, wenn sie bei der anstehenden Generalsanierung auf die vermeintliche Durchsetzungskompetenz der Theaterleitung und auf deren Schwurgemeinschaften baut. Die Stadt und deren Kulturpolitiker inklusive Kulturreferent Thomas Weitzel haben sich noch kein Jota damit auseinandergesetzt, wie sich die „Software Theaterbetrieb“ programmieren lassen könnte, sodass die Kostenentwicklung überschaubar bleibt und das Stadttheater einen Ausweg aus seiner Relevanzfalle findet. Wäre es anders, hätte man eine Vorentwurfsplanung mit geschätzten Kosten von 235 Millionen Euro einfach zurückgegeben. Besser: Hätte die Augsburger Politik und die städtische Verwaltung ein kritisches Bewusstsein bezüglich der künstlerischen Möglichkeiten ihres „Eigenbetriebs Stadttheater“ entwickelt, wäre es zu einer dergestalt kostenintensiven Planung nie gekommen. Eine Planung übrigens, die sich täglich gravierenden Änderungsvorschlägen seitens der Stadtratsfraktionen ausgesetzt sieht. Welche Planung nun im Juli in einen Projektbeschluss des Stadtrats gegossen wird, ist derzeit noch völlig offen. Offen ist auch noch die Frage, welche Planungsänderungsvorschläge der dieses Wochenende zu Ende gegangene Bürgerbeteiligungsprozess vorsieht. Das Gleiche gilt für die Kostenfrage, da alle Planungsänderungsvorschläge der Fraktionen zu Kostenminderungen führen sollen.

Nach Informationen der DAZ hatte sich in der vergangenen Woche die Finanzverwaltung sogar mit einem Prüfauftrag der CSU auseinander zu setzen, ob es nicht sinnvoller sei, die Finanzierung über geschlossene Immobilienfonds zu gestalten. Sei es nicht, beantwortete die Verwaltung lapidar und begründete dies mit den Förderregularien des Freistaats. Ob diese Idee damit abgewehrt ist, wird sich zeigen.

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Teil II der großen DAZ-Serie zur Theatersanierung wird sich der Hardware, also der Sanierung des Großen Hauses und den Neubauten widmen. Teil III wird sich mit der Finanzierung des Großprojektes und dem damit im Zusammenhang stehenden Bürgerbegehren beschäftigen. Teil IV beleuchtet die politischen Fehler, die in dieser Angelegenheit gemacht wurden und zu diesem so scheinbar irritierenden Bürgerbegehren geführt haben.