Leonce und Lena am Staatstheater: Schrille Pop-Art ohne Tiefsinn
Quietschbunt ist es auf der Bühne und die Protagonisten stecken alle in skurrilen Korsetts. Dabei bleiben die Nuancen des Lustspiels von Georg Büchner auf der Strecke.
Von Halrun Reinholz
Lena (Sarah Maria Grünig) und Leonce (Jannis Roth) kommen sich inkognito näher, im Hintergrund beobachtet von Valerio (Natalie Hünig)
Prinz Leonce (Jannis Roth) steckt in einem knallgelben Kugelbauch-Kostüm und sitzt auf einer Wattewolke. Sein Hofmeister (Thomas Prazak) hat eine rote Clownsnase und eine Mähne, die sein ganzes Gesicht bedeckt. Der Präsident (Michael Schrodt) trägt einen Frack mit überlangen Ärmeln. Der Hofprediger (Sebastian Müller-Stahl) steckt in einem sperrigen schwarzen Schulterpolster. Auf der Bühne stehen bekannte Kunstwerke herum. Valerio, der allgegenwärtige Gefährte des Prinzen (akrobatisch gespielt von Natalie Hünig) mäandert durch den Raum wie ein Gummimensch und singt irgendwann einen Italo-Schlager.
Ja, „Leonce und Lena“ ist ein Lustspiel – ungewöhnlich bei Büchner und deshalb auch nicht einfach ein lustiges Stück, sondern eine gesellschaftliche Satire, gespickt mit Anspielungen und Zitaten. André Bücker inszeniert das Stück als knallige Groteske. Das manierierte höfische Leben, dem die Akteure unterworfen sind, wird gnadenlos überzeichnet. So weit, so berechtigt. Doch was bleibt von Büchner?
Kunst und Künstlichkeit
Auf den ersten Blick fasziniert das Bühnenbild: Links hängt die Banane von Cattelan, rechts steht der Hummer von Jeff Koons, dazwischen noch einige andere Kunstwerke. Es geht dem Regisseur und seinem Bühnenbildner Daniel Angermayr wohl um die Rolle der Kunst – oder der Künstlichkeit?
Künstlich sind auf jeden Fall die Umgangsformen am Königshof: Verbeugungen, devote Zustimmung, sich winden, wenn nach einer Meinung gefragt wird. Auffällig ist, dass keine Figur durchgehend fließend spricht. Abgehackte, fast roboterhafte Konversation bestimmt das Geschehen. Das ist manchmal witzig, oft aber einfach nur anstrengend. Nicht immer ist der Effekt so gelungen wie bei dem absurden Dialog der beiden Polizisten (Thomas Prazak und Michael Schrodt).
Sperrige und skurille Kostüme
König Peter (Gerald Fiedler), der vor lauter Regieren nicht zum Nachdenken kommt, hat ein goldenes Unterhöschen an und eine Art Dreieckstuch, mit dem er seine Nacktheit leidlich kaschiert. Als absolutistischer Monarch hat er bestimmt, dass sein Sohn Leonce die Prinzessin Lena heiraten soll. Der, ein kunstsinniger, aber gelangweilter junger Mann, weigert sich und flüchtet nach Italien, den Sehnsuchtsort der Künstler. Vorher verabschiedet er noch seine Mätresse Rosetta (Julius Kuhn, in ein skurriles Korsett gehüllt), von der er genug hat, denn er liebt sie „wie seine Langeweile“. Ein verzogenes Luxuskind also, das nach Sinnfindung strebt.
Die beiden Grenzpolizisten (Thomas Prazak und Michael Schrodt) im Trachtenlook. Fotos: Jan-Pieter Fuhr
Auch Prinzessin Lena (Sarah Maria Grünig) hat keine Lust auf die verordnete Ehe mit dem Prinzen. Ihre höfischen Zwänge werden durch ihre sperrige Verkleidung als Matratze deutlich gemacht. Auch der bewährte Echtheitstest für Prinzessinnen anhand einer Erbse wird, das Märchen satirisch zitierend, demonstriert. Begleitet wird Lena von ihrer zeternden Gouvernante (Miljana Milosavljevic), mit ausladender Krinoline, einer beachtlich langen Nase, einem Frisurenberg auf dem Kopf und einer (beschützenden?) lila Hand im Hintergrund. Auch Lena zieht es nach Italien. Wie es der Zufall will, treffen sich die beiden Königskinder inkognito und verlieben sich ineinander. So will es Büchner. In der Augsburger Inszenierung ist von der befreienden Wirkung der Auszeit wenig zu merken, denn die hinderlichen, einengenden Kostüme bleiben auch im „Urlaub“ vom höfischen Leben bestehen. Was es den Zuschauern nicht leicht macht, die Zusammenhänge zu verstehen. Die Dialoge sind slapstickhaft und so gerät das Zueinanderfinden der zwei Hauptdarsteller leider zur Farce. Die Krönung – im wahrsten Sinne des Wortes – erfolgt durch das groteske Heiratszeremoniell, das den König von seinen Regierungspflichten befreit. Erleichtert setzt er Leonce die viel zu große Krone auf den Kopf, die prompt über die Augen rutscht.
Büchners anspielungsreiche Gesellschaftssatire bleibt bei all der bemühten Komik etwas auf der Strecke. Die Zuschauer kommen dennoch – und das ist das Erfreulichste an diesem Theaterabend – in den Genuss guter Schauspielkunst im Martinipark und honorieren diese mit reichlich Applaus.