Mehr Provinz als Heimat
Die Idee, dass eine Stadt in einer Nacht eine Reihe weniger bekannte Orte öffnet und dort Veranstaltungen anbietet, ist eine gute Idee. Angestrengt und aufgesetzt dagegen stets das Motto: Die Lange Nacht des Lichts, des Wassers und dieses Jahr nun die Krönung mit der „Langen Nacht der Heimat“.
Kommentar von Siegfried Zagler
Der Begriff „Heimat“ ist belastet. Immer noch negativ belastet, muss man sagen, sonst könnte man sich eine Bewegung wie „Pegida“ nicht erklären. Max Frisch war der erste Schriftsteller, der das Heimat-Thema literarisch bearbeitete – durchgehend mit seinem Werk. Und es war erstaunlich, dass Frisch als Schweizer Weltbürger mit „Territorium“ arbeitete, worauf viele deutsche Autoren verzichteten, da sie aus strategischen Gründen in Sachen Vergangenheitsbewältigung einen Heimatbegriff pflegten, der die Eliminierung einer Verortung vorantrieb: Heimat in der Sprache, im Dialekt, in der Verfassung und der Musik. Heimat, so der intellektuelle deutsche Nachkriegskanon, darf alles sein, nur nicht ein durch Grenzen definiertes „Vaterland“, für das es lohnt zu sterben und zu morden.
Wichtige Erkenntnisarbeit wurde geleistet und ein wertvoller Gegenentwurf zur deutschen „Blut- und Bodenmentalität“ herausgearbeitet. Nirgendwo wurde mehr über Heimat nachgedacht als im deutschen Sprachraum nach 1945, als das Eigene und das Individuelle noch mit Schlagbäumen und Zöllen geschützt wurde. Auch wenn Ernst Bloch mit seiner philosophischen Untersuchung zur Erklärung der Heimat die Welt als realen Ort noch mitnimmt, indem er mit dem Subjekt-Objekt-Konzept immerhin davon ausgeht, dass „was jedem in die Kindheit scheint und wo noch niemand war“ zeitlich und räumlich erfahrbar ist, ist Heimat in Blochs „Prinzip Hoffnung“ ein sich ständig verändernder Prozess. Ein Gestaltungsprozess, den Menschen schaffen und in Bewegung halten. Menschen, die sich begegnen und kennenlernen, sich verbinden oder von einander abgrenzen. Dazu braucht es Orte und Ordnungen und natürlich Interessen. Heimat kann überall dort sein, wo man sich in Prozesse der Weltgestaltung und Weltaneignung einklinkt und dabei etwas mitgestaltet, das einer Gruppe dient und dem Gemeinwohl verpflichtet ist. Dabei kommt es nicht darauf an, wo diese Prozesse stattfinden. Deggendorf, Celle, Gersthofen, Königsbrunn können großartige Orte sein, während in Paris, Rom, London tiefe Schattenräume in die Gefängnisse der Provinz führen können, also dorthin, wo für alle das Gleiche wichtig ist und eine allmächtige Leitkultur jedes Anderssein als etwas Verrücktes und Minderwertiges markiert.
Es ist nicht zutreffend, dass man nur dann etwas versteht, wenn man das Gegenteil davon kennt, aber es ist manchmal hilfreich, wenn man das Gefühl der Heimat mit einem Gegenkonzept zu verstehen versucht, nämlich mit dem Begriff der „Provinz“, also mit einem Begriff, der das Fremde als etwas Unerwünschtes und Feindliches spiegelt. Provinz ist Anti-Heimat, weil sich dort das Eigene nicht mit dem Fremden reibt. Und somit das Eigene nicht als etwas angeeignet Eigenes, sondern als etwas Gegebenes und Unverrückbares, als etwas Universales begriffen wird. Provinz verweist auf nichts anderes als auf sich selbst. Der Begriff der Provinz ist das Gegenkonzept von Fortschritt, und somit eine Welt, wo am besten alles so bleibt wie es immer war.
„Provinz hat Charme“, wie man gerne sagt, weil sich die Provinz als Ort auch Teufeleien wie Globalisierung oder Kriminalität vom Leib hält. Provinz ist verlässlich und berechenbar und keine Trendmaschine, weshalb der Charme der Provinz als konservatives Lebenskonzept verstanden werden muss. In der Provinz und in seinem Denken ist nur Platz für Migration, wenn sie moderat und gesittet stattfindet. Provinz ist Schutzraum und Rückzugsgebiet für Wohlhabende und Reiche, für Menschen, die ihre Ruhe wollen. „Provinzler“ sind „Inselmenschen“, stille Luxuswesen, die sich am Geschaffenen erfreuen und kein Interesse an Veränderungen zeigen. In Augsburg gibt es, wie in jeder anderen Stadt auch, Orte der Provinz. Und in diesem Zusammenhang soll gesagt sein, dass sich Augsburg in den vergangenen 20 Jahren von einem überwiegend provinziellen Ort in einen Ort verwandelt hat, in dem sich in vielerlei Hinsicht ein progressiver und somit fortschrittlicher Prozess in Sachen „Heimatbildung“ etablieren konnte.
In der von der Stadt veranstalteten Themenreihe, (Lange Nacht ….) gab es als Genitiv heuer den Begriff „Heimat“: „Die Lange Nacht der Heimat entführt mit über 200 Programmpunkten an 50 Spielorten in fremde Welten, Zeiten oder geistige Heimaten. Die Augsburger Prachtsäle, Museen, Kirchen, Kunst- und Kulturorte, die Augsburger Stadtgeschichte und die aktuelle Kulturszene werden in einer facettenreichen Genre übergreifenden Stadtinszenierung zum Thema Heimat erlebbar gemacht. Die Künstlerinnen und Künstler – von nah und fern – präsentieren und interpretieren an diesem Abend ihre (Wahl-) Heimat, ihren Heimatbegriff oder musikalische und künstlerische Schätze ihrer Herkunftsländer.“
So der offizielle Text der Stadt zu ihrem Programm, das über Selbstreferenz sowie über die Darstellungsarbeit der Medien im Vorfeld wie in der Nachbereitung die Stadt zurück in ihr überwunden geglaubtes folkloristisches Geschichtsverständnis führte: Provinz triumphierte eine Nacht über Heimat.