Leise Fragen, vorläufige Antworten
Eine Ausstellung der Stadtparkasse beleuchtet das Verhältnis zwischen Israel und Deutschland
Von Frank Heindl
Diese Ausstellung stellt ihre Fragen leise – und das ist ihr größter Verdienst. „Israelis und Deutsche“, am Dienstagabend in der Kassenhalle der Stadtsparkasse Augsburg eröffnet, gibt auch keine lauten Antworten. Wer sich die Fotos aufmerksam ansieht, wer die Texte aufmerksam liest, der wird selbst Fragen stellen – und vielleicht ein paar persönliche Antworten finden. Pauschale Antworten will diese Ausstellung nicht geben, weil man sie nicht geben kann.
1948 wurde der Staat Israel offiziell gegründet, drei Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, der aus jüdischer Sicht weniger ein Krieg als vielmehr ein Vernichtungsfeldzug war. Kein Wunder also, dass es weitere 17 Jahre dauerte, bis der kleine Wüstenstaat diplomatische Beziehungen mit der Bundesrepublik Deutschland aufnahm. Ein Wunder eher, das betonten mehrere Redner bei der feierlichen Eröffnung, dass es überhaupt so weit kam. Bis es so weit kam, musste viel geschehen, vor allem mussten Menschen sich begegnen, mussten, vor allem, Juden es wagen, sich mit diesen Deutschen zu konfrontieren, die sich ihnen gegenüber als mörderische Ungeheuer bewiesen hatten. Oberbürgermeister Kurt Gribl wies in seiner Rede darauf hin, dass dies nicht nur im Großen gilt, zwischen den Ländern, den Regierungen, sondern auch im kleinen Augsburg: 1946 seien 25 jüdische Mitbürger nach Augsburg zurückgekommen – „welche mutiger Antritt!“ – und hätten die Jüdische Kulturgemeinde wieder gegründet. Auf solch kleinen Schritten baute sich die Wiederannäherung der beiden Staaten auf, auf solch kleinen Schritten, die für die Einzelnen ein immenses Wagnis gewesen sein mögen.
Der erste deutsche Botschafter – ein ehemaliger Wehrmachtsoffizier
Und ein Weg voller Rückschläge. Zu den Fragen, die die Ausstellung nicht stellt, gehört etwa die, wie es möglich gewesen sein kann, dass die Adenauer-Regierung unbedingt einen ehemaligen Wehrmachtsoffizier als ersten Botschafter nach Israel schicken musste. Und warum es nötig war, dass zu dessen von heftigen Gegendemonstrationen begleitetem Empfang israelische Polizei die deutsche Nationalhymne spielen musste. „Ohne das Eingreifen berittener Polizei … hätte meine Abfahrt in einem Chaos geendet“, erinnert sich Pauls später und lobt – er, der Deutsche! – den „vorzüglich funktionierenden Sicherheitsdienst, der die Wagen abschirmte.“ Die Ausstellung zeigt Fotos von diesem historischen Ereignis – zitiert aber auch Avi Primor, den ehemaligen Botschafter Israels in Deutschland, der rückwirkend feststellt, Pauls sei in Israel „mit Steinen empfangen und mit Rosen verabschiedet worden.“ Geschichte funktioniert nicht vorhersehbar, nicht linear, nicht logisch – sie schlägt überraschende Volten und unsere Antworten können daher allenfalls vorläufig sein.
Rabbiner Henry Brandt – von Anfang an dabei
„Ich war dabei, die ganze Zeit“ – in einer Geschichte, die von Individuen geprägt wurde, findet Augsburg imponierender Rabbiner Henry Brandt für sich einen selbstverständlichen Platz: 1938 sei er „mit Schimpf und Schande aus dem Lande gejagt“ worden und nach Palästina geflohen. In aller Deutlichkeit erinnert er sich an die Nacht jenes 29. November 1947, als die Vereinten Nationen den Teilungsplan für Palästina annahmen und man in Israel gebannt am Radio das Abstimmungsverhalten der Regierungen verfolgte, an den Jubel, der nach der Annahme ausbrach. „Unmöglich und unrealisierbar“, sei der Plan aus heutiger Sicht gewesen, stellt Brandt lapidar fest und wundert sich, „welche Traumtänzer haben das damals erfunden?“ Für ihn zeigt sich auch an diesem Beispiel, „was der Mensch kann, wenn er versucht und wenn er will“ – und wie er sich täuschen kann in seinem Streben. In den 80er Jahren kehrte Brandt nach Deutschland zurück, seit 2004 ist er Gemeinderabbiner in Augsburg.
Dass Geschichte nicht endet, macht Kuratorin Dr. Alexandra Nocke gleich in den ersten Sätzen deutlich: Ihren Vortrag widmet sie ihrem Mitarbeiter Dr. Michael Feige. Der Leiter der Israelischen Studien an der Ben-Gurion-Universität ist vor wenigen Tagen, am 8. Juni bei einem Terroranschlag in Tel Aviv getötet worden. In ihrer Rede will Nocke von den „kleinen Geschichten hinter der Diplomatie“ berichten, denen auch die Ausstellung viel Platz einräumt. Es gehe in der Geschichte der Beziehungen zwischen Israel und Deutschland um Momentaufnahmen, um einzelne Steinchen eines Mosaiks, „um Verständnis und Empathie, aber auch um Brüche und Grenzen“. Es geht zum Beispiel um diesen Felix Burian, 1924 geboren, der schon 1960 in Tel Aviv eine VW-Niederlassung eröffnet – von da an prägten deutsche Autos „ganz beiläufig das Straßenbild“, fand eine Wiederannäherung nahezu unbemerkt statt. Für Burian schließe sich mit dieser Ausstellung ein Kreis, sagt Nocke, seit er wisse, dass hier sein Foto zu sehen ist – als Kind in Lederhosen. Eine andere Geschichte ist die der Mimi Artzi, die, aus der Bukowina stammend, von Auschwitz in ein anderes KZ verlegt wurde. Vor einem Offizier rezitiert sie Rilke, der Deutsche sorgt dafür, dass sie überlebt – und sie bedauert noch heute, dass sie sich nie habe bei ihm bedanken können. Auch dies sind Erinnerungen, die weiterleben und -wirken – neben vielen der anderen Art, die sich nie verzeihen, nie relativieren lassen, die für unabsehbare Zeit ein „normales“, unbelastetes Verhältnis zwischen den beiden Ländern unmöglich erscheinen lassen.
Weil es der Ausstellung so sehr um das persönliche Erleben geht, schien der Kuratorin ein chronologischer Aufbau nicht sinnvoll – stattdessen ist sie nun in inhaltliche Blöcke gegliedert, die neben vielen – teilweise bisher unveröffentlichten – Texten auch beeindruckende Videos und Hörbeispiele bieten. Drei Jahre Vorbereitung waren für Planung und Realisierung nötig, nun ist die leise Ausstellung, die keine endgültigen Antworten geben will, bis zum 21. Juli in der Kundenhalle der Stadtsparkasse (Halderstraße 1-5) zu sehen. Der Eintritt ist kostenlos, die Besichtigung ist möglich zu den Kassenzeiten.