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Dienstag, 19.03.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Kommentar zum Gewaltakt am Königsplatz: Warum die sieben inhaftierten jungen Männer politische Gefangene sind

In Augsburg und Umgebung sitzen sieben junge Männer in Haft. Einige unter 18 Jahre alt, einige von ihnen waren bei einer Schlägerei beteiligt, bei der ein 49-jähriger Mann ums Leben kam. Das Geschehen wurde von verschiedenen Kameras aufgenommen. Das ist aus Sicht der mutmaßlichen Täter ein glücklicher Umstand. Wäre es anders, müsste man befürchten, dass ihnen ein politischer Prozess droht. Aktuell muss man davon ausgehen, dass die sieben jungen Männer politische Gefangene sind.

Kommentar von Siegfried Zagler

Am Augsburger Königsplatz ist bei einer Schlägerei ein Mann zu Tode gekommen. Sein Vorname lautet Roland, sein Beruf: Feuerwehrmann, Alter: 49, verheiratet, Vater einer Tochter. Ein anderer Mann, Rolands Freund, erlitt bei dieser Gewalteskalation einen Jochbeinbruch und andere Verletzungen im Gesicht. Von ihm wissen wir nur, dass er 50 Jahre alt ist und sein Name keinen Zweifel darüber aufkommen lässt, dass es sich um einen deutschen Staatsbürger handelt. Beide Männer waren zusammen mit ihren Frauen am Freitagabend des 6. Dezember 2019 in der Augsburger Innenstadt unterwegs und bereits auf dem Nachhauseweg. Als sie am Königsplatz Richtung Taxistand gingen, kam es zu einer gewalttätigen Auseinandersetzung mit einigen dieser jungen Männer, die keine deutschen Vornamen haben, aber in Deutschland geboren sind. Der Vorname des Hauptverdächtigen lautet Halid. Er soll den 49-jährigen Roland S. mit einem Schlag getötet haben. 

Alles an diesem tragischen Fall entwickelte sich in Windeseile zu einem grauenvollen Politikum, entwickelte sich zu einer rassistischen Monstrosität, wie man sie bisher nur aus den USA kannte und kennt, wenn es darum ging, schwarze Jugendliche dafür zu bestrafen, dass sie schwarz sind.

„Migrantengewalt“ twitterte Alice Weidel aus dem Bundestag. Ein rassistischer Mob organisierte sich im Netz, so dass man zur Meinung kommen könnte, das Volk spricht aus dem Urgrund seiner Seele. Die Feuerwehr hielt eine öffentliche Trauerandacht am Tatort ab – in Berufskleidung. Kaum waren die sieben jungen Männer verhaftet, gab es eine Pressekonferenz der Staatsanwalt und des „Blaulichtsektors“, auf der der schnelle Fahndungserfolg erklärt wurde. Der Feuerwehrmann habe sich nicht aggressiv verhalten, so der Kripochef. „Der Rechtsstaat funktioniert“, sagte Bayerns Ministerpräsident Söder, Innenminister Seehofer sagte etwas Kryptisches und Augsburgs Oberbürgermeister Kurt Gribl, früher Kommandant bei der freiwilligen Feuerwehr in Kriegshaber, sagte etwas Politisches: Man müsse über alles nachdenken, auch über Alkoholverbot im öffentlichen Raum und Gruppenverhalten. Sinngemäß sagte er auch, er sei tief betroffen, weil er einen „Kameraden“ verloren habe.

Tausende von Hassmails und Pöbeleien erreichten OB Gribl wenige Tage später, weil in einer städtischen Traueranzeige von einem „tragischen Vorfall“ die Rede war. Der Mob hätte die Tat lieber als „Mord“ oder „Totschlag“ bezeichnet gesehen. Der rechte Pöbel und die AfD, die sich davon nur marginal unterscheidet, versuchte, wie stets, wenn es einen muslimischen Hintergrund gibt, Gewaltakte politisch für nationalistische Politik zu instrumentalisieren. Das ist ekelerregend und auf gespenstische Weise menschenverachtend, und es ist das Abscheulichste, das es in der bundesrepublikanischen Politik gibt. Dass die AfD in Deutschland zu einer ernstzunehmenden politischen Kraft geworden ist, ist schwer zu ertragen und verlangt eine strikte demokratische Brandmauer. Nicht viel weniger besorgniserregend sind allerdings die Prozesse, die aus der Mitte der Gesellschaft kommen.

Nahezu jeder, der sich zu diesem Fall öffentlich äußerte, bediente, ob gewollt oder ungewollt, das archaische „Gut-Böse-Muster“. Die Staatsanwaltschaft, die Kripo, die Polizei, die Politik, die Feuerwehr: Hier der tadellose Feuerwehrmann, der sein Leben für Lebensrettung und Brandbekämpfung einsetzt, dort die kriminellen Schläger mit muslimischen Vornamen. Das sind vorurteilsbehaftete Klischees, die zu rassistischen Weltanschauungen führen, die in einer freien und offenen Gesellschaft nichts verloren haben.

Die Richter der Jugendkammer des Landgerichts pulverisierten zum Beispiel die Auslegung „Totschlag“ der Staatsanwaltschaft und des Augsburger Amtsgerichts und setzten sechs der sieben jungen Männer wieder auf freien Fuß. Die Richter der Jugendkammer hatten sich tagelang mit dem Fall beschäftigt „und nehmen auch aufgrund der Auswertungen des vorliegenden Videomaterials folgendes Geschehen an“, wie die Augsburger Allgemeine schrieb: „Einer aus der Gruppe habe das spätere Opfer nach einer Zigarette gefragt. Die knappe Antwort des 49-Jährigen habe „Schnauze“ gelautet. Auf die Frage des Jugendlichen „Wieso Schnauze?“ sei der Feuerwehrmann umgekehrt, auf die Gruppe zugegangen und habe sinngemäß gefragt, ob er ihn anpöbeln wolle. Als beide Kopf an Kopf standen, habe der Heranwachsende einen „Ausweichschritt“ gemacht. Dann soll der 49-Jährige den Jüngeren mit beiden Händen weggestoßen haben. Etwa eine Sekunde später soll Halid S. zugeschlagen haben. Der Feuerwehrmann ging zu Boden. Durch den Schlag war laut Obduktion eine Schlagader eingerissen.“ So die Augsburger Allgemeine kurz vor Weihnachten.

Wenige Tage später kassierte das Oberlandesgericht die Entscheidung des Landgerichts. Begründung: Verdunkelungs- und Fluchtgefahr. Seitdem befinden sich die sieben jungen Männer wieder in Haft. Einige von ihnen waren laut ihren Anwälten an der Gewaltaktion nicht beteiligt. Videokameras lügen nicht. Die Ausführungen des Landgerichts plausibilisieren die Vermutung, dass es sich bei dem tragischen Vorfall am Königsplatz um eine Schlägerei gehandelt hat, wie sie sich in dieser Form in Deutschland an den Wochenenden tausendfach ereignen. Der Vorwurf des Totschlags lässt sich nach Studium des Dashcam-Videos, das der DAZ vorliegt, wohl kaum halten. Dass die Staatsanwaltschaft zu hoch eingestiegen ist, ist eine Handlungsweise, die den Rechtsstaat unterläuft, ist der schwer zu reparierende Skandal in dem bisherigen Verfahren.

Die provokative Vermutung, die sich aufdrängt, lautet demnach: Die jungen Männer sitzen im Gefängnis, um den Rassisten und Nationalisten kein Futter zu geben, um dem scheinbaren gesellschaftlichen Druck nachzugeben. Sie sitzen im Gefängnis, weil es im Bundestag und in den Landtagen eine Partei gibt, die das gut findet. Anwalt Felix Dimpfl ist jedenfalls zu wünschen, dass sein Anliegen, das Bundesverfassungsgericht mit dem Fall zu beauftragen, erfolgreich ist.