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Karoline Linnert: Gestalten statt nur Verwalten – politische Gestaltungsspielräume in Zeiten knapper Kassen

Rede auf dem Grünen Neujahrsempfang 2012 am 22. Januar 2012 in Augsburg

 

Liebe Antje Seubert, lieber Reiner Erben, liebe grüne Freundinnen und Freunde, sehr geehrte Damen und Herren,

sehr herzlich bedanke ich mich bei den Augsburger Grünen für die Einladung. Ich finde es mutig, dass Ihr mich als amtierende Spaßbremse aus dem hohen Norden eingeladen habt. Vor kurzem hat der neue Bayerische Finanzminister Markus Söder Bremen mit Griechenland verglichen und nach Strafen verlangt. Ich kann Ihnen aber versichern: Ich komme als freie Frau hierher und nicht in Ketten!

Mutig ist auch der Titel, der mir für die Rede gestellt wurde: “Gestalten statt nur Verwalten – politische Gestaltungsspielräume in Zeiten knapper Kassen”. Wenn ich in Bremen erzähle, dass ich zu diesem Thema um Rat aus dem reichen Süden gefragt werde, glaubt mir das kein Mensch.

Bei meinem Amtsantritt erntete ich auch Mitleid dafür, dass ich ab sofort für die Finanzen eines höflich formuliert nicht sehr reichen Bundeslandes zuständig sein sollte. Mitleid finde ich aber überhaupt nicht angebracht. Im Gegenteil: Für mich als Grüne sind Finanzfragen genauso wichtig wie Artenschutz oder Klimaschutz. Auch Geld ist eine endliche Ressource und die Frage, wie wir heute mit unseren Finanzen umgehen, definiert die Lebensbedingungen der nachfolgenden Generationen.

Und ich halte Finanzpolitik für hochpolitisch: Mit Sparsamkeit, einer nachhaltigen Finanzpolitik, dem Achten auf Qualität und einem verantwortungsvollen Umgang mit unseren Ressourcen sind hochgradig gestalterische Aufgaben verbunden. Von einem reinen Verwalten kann keine Rede sein. Anders formuliert: Einfach nur immer mehr Geld ausgeben und sich vor unangenehmen Entscheidungen zu drücken, nenne ich Verantwortungslosigkeit. Eine Gestaltung im Angesicht der Realität ist dagegen eine anspruchsvolle, herausfordernde und verantwortliche Herangehensweise.

Meine Damen und Herren, in Augsburg, der Stadt der Fugger, brauche ich nicht weiter zu betonen, dass sich in Abhängigkeiten begibt, wer sich Geld leiht. Deshalb finde ich die Schuldenbremse richtig und fordere auch entsprechende Regelungen im europäischen Raum.

Aber: Große Kommunen in Deutschland sind unterfinanziert. Das pure Überleben mit Kassenkrediten und Sparkommissare wie fast im gesamten Ruhrgebiet sowie das Erfinden von Betten- oder Waffensteuern oder dem Schrauben an der Gewerbe- oder Hundesteuer bringen auf Dauer nicht weiter.

Diese Unterfinanzierung der Kommunen trifft die Menschen direkt, denn Städte und Gemeinden bilden die Basis des Zusammenlebens. Sie sind die Grundlage unseres Gemeinwesens. Die Kommunen tragen Bäder, Kindergärten, Straßen, Gebäude und hohe Sozialkosten. Überall fehlt das Geld, diese Aufgaben zu schultern – deshalb gibt es überall die gleiche Quälerei.

Gleichzeitig ist Deutschland z.B. bei der Vermögenssteuer ein Niedrigsteuerland. Und Bestrebungen, die Besteuerung gerechter zu machen, sind sehr schwierig. Ich möchte dies am Beispiel der Grundsteuer zeigen:

Bei der Ermittlung der Grundsteuer werden nach wie vor Werte aus den 1960er Jahren herangezogen. Dies entspricht nicht im Ansatz dem eigentlichen Wert, der zu besteuern ist. Dadurch werden Vermögende zu Unrecht mit zu niedrigen Steuern belegt. Deshalb haben wir als Bundesland Bremen beantragt, dass die Grundsteuer auf der Basis der reellen Verkehrswerte erhoben wird.

Was ist jetzt zu tun um wieder zu Gestaltungsmöglichkeiten zu kommen?

Das erste Gebot für eine zukunftsfähige Finanzpolitik ist Transparenz.

Wir können die Menschen nur von der Notwendigkeit einer sparsamen Haushaltsführung überzeugen, wenn alle Bescheid darüber wissen können, was mit den Geldern passiert. Die Zeiten, in der einige griesgrämige ältere Herren das in Nebenzimmern unter sich ausgemacht haben, sind endgültig vorbei. Deshalb stellen wir den Haushalt und Controllingberichte ins Netz oder veröffentlichen die Gehälter der Geschäftsführer/-innen der Öffentlichen Betriebe. Und ich bin dabei, alle Schattenhaushalte zu beenden. Wir brauchen eine öffentliche und politische Diskussion, wo die Schwerpunkte gesetzt werden. Dafür müssen aber alle wissen, was mit dem Geld geschieht.

Ein zweites wichtiges Feld ist die Verwaltungsmodernisierung.

Wir verwenden derzeit über 30% unserer Personalausgaben für die eigene Verwaltung. Das ist zu viel! Ich finde nun nicht, dass wir in allem der Privatwirtschaft nacheifern sollten, aber an der Stelle können wir schon etwas lernen, wie wir uns effizienter selber verwalten können. Ich denke an die Bereiche Zuwendungen, Beschaffungswesen, Personalabrechnungen und Service. Durch den demographischen Wandel werden in den nächsten Jahren viele Mitarbeiter/-innen der Verwaltung in den verdienten Ruhestand gehen, so dass Spielräume entstehen, die Strukturen zu verschlanken.

Drittens müssen wir auf Nachhaltigkeit achten.

Vor einigen Jahren war es in Mode, Tätigkeiten von Nicht-Akademiker/-innen auszugliedern und zu privatisieren. Das hatte den Effekt, dass die Qualität litt und dass wir innerhalb der Verwaltung einen größeren Steuerungsbedarf hatten. So haben wir im Ergebnis nichts gespart. Ein unschöner Nebeneffekt: Die Kommunen können nach solchen Entscheidungen nicht mehr allen Bevölkerungsschichten Arbeitsplätze anbieten. Das entspricht nicht meinem Verständnis.

Ebenfalls gängig war die Diskussion um die Veräußerung von staatlichem Besitz. Diese hat das Ergebnis, dass in der Folgezeit der Staat weniger Einnahmen hat. Und damit gehen auch demokratische Gestaltungsmöglichkeiten verloren. Deshalb ist auch das kein Königsweg.

Wichtiger erscheint mir, dass wir unseren Bestand danach ausrichten, dass wir zu dauerhaften und sinnvollen Einsparungen kommen. Zum Beispiel, in dem wir durch Gebäudesanierungen den Energieverbrauch und damit die Energiekosten senken.

Im gesamten Steuerrecht brauchen wir mehr Gerechtigkeit. Wir müssen den Spitzensteuersatz wieder erhöhen und viele unsinnige und ungerechte Steuerermäßigungen streichen, die sich über Jahrzehnte in unser Steuersystem eingeschlichen haben.

Ein paar besonders unglaubliche Beispiele:

“Sieben Prozent oder 19 Prozent Mehrwertsteuer? Das ist nicht immer ohne Weiteres zu entscheiden. Seit 1968 gilt in Deutschland für einen Teil der Waren und Leistungen ein reduzierter Mehrwertsteuersatz. Ursprünglich war es das Ziel, “bestimmte Güter des lebensnotwendigen Bedarfs” aus sozialpolitischen Gründen zu verbilligen. In erster Linie ging es um subventionierte Produkte, die dem Gemeinwohl dienen – wie Lebensmittel, Bücher oder Zeitungen, aber auch Leistungen im öffentlichen Nahverkehr oder Kulturangebote.

Über Jahrzehnte lag der ermäßigte Mehrwertsteuersatz genau halb so hoch wie der reguläre Satz. Bei der Einführung 1968 galten Sätze von fünf und zehn Prozent. Es folgten zahlreiche Erhöhungen. Seit 1983 liegt der ermäßigte Mehrwertsteuersatz bei sieben Prozent. Der reguläre Satz wurde danach aber noch drei Mal erhöht und erreichte 2007 die bis heute gültige Marke von 19 Prozent.

Seltsame Vergünstigungen

Seltsame und aus Sicht von Kritikern sehr fragwürdige Vergünstigungen wurden nach und nach in das Umsatzsteuergesetz eingefügt. So ist Esel nicht gleich Esel: Denn nicht nur für Hengste, Wallache, Stuten und Fohlen gilt der ermäßigte Steuersatz von sieben Prozent, sondern auch für Kreuzungen zwischen Eselhengst und Pferdestute (Maultier) sowie Pferdehengst und Eselstute (Maulesel). Der ermäßigte Satz ist auch für reinrassige Esel fällig, aber nur für geschlachtete. Denn auch das “Fleisch von Pferden, Eseln, Maultieren oder Mauleseln, frisch, gekühlt oder gefroren” wird begünstigt. Für lebende “Hausesel und alle anderen Esel” gilt der volle Mehrwertsteuersatz von 19 Prozent.

Für den Menschen genießbare getrocknete Schweineohren unterliegen dem ermäßigten Steuersatz von sieben Prozent, auch wenn sie als Tierfutter verwendet werden. Getrocknete Schweineohren, die nicht für den menschlichen Verzehr geeignet sind, werden mit dem vollen Satz belegt. Nach Angaben der Zolltechnischen Prüf- und Lehranstalt entscheidet der Trocknungsgrad der Schweineohren darüber, ob sie für den Menschen genießbar sind oder nicht.

Unterscheidung zwischen Ketchup und Tomatenmark

Auch viele andere Kuriositäten sind zu finden: Für Hausschweine gilt der ermäßigte, für Wildschweine der normale Satz. Bei Tomatenmark wird der ermäßigte Satz fällig, bei Ketchup der Regelsatz. Auf Pilze und Trüffel, die ohne Essig haltbar gemacht wurden, werden nur sieben Prozent Umsatzsteuer aufgeschlagen, bei Pilzen und Trüffel, die mit Essig haltbar gemacht wurden, sind es 19 Prozent.

Kompliziert wird es, wenn Islandmoos (Cladonia rangiferina, silvatica und alpestris) begünstigt wird, nicht aber Isländisches Moos (Cetravia islandica). Der Bundesrechnungshof nennt ein weiteres kurioses Beispiel: Wenn ein Adventskranz aus frischen Materialen geflochten wird, fällt der ermäßigte Steuersatz an. Wenn der Kranz aus Trockenpflanzen hergestellt wird, sind es 19 Prozent. In diesem Zusammenhang sah sich das Bundesfinanzministerium zur Klarstellung genötigt, dass Trockenmoos durch Anfeuchten nicht wieder zu frischem Moos wird.

Quelle:

http://tagesschau.de/wirtschaft/mehrwertsteuer142.html

So einen Quark können wir uns auf Dauer nicht leisten!

Mein vierter größerer Ansatzpunkt ist die Sparsamkeit. Dabei plädiere ich dafür, nicht immer an den gleichen und eher symbolischen Einsparprojekten herumzudoktern. Wir haben in Bremen Bäder, deren Schließung schon mehrfach beschlossen wurde. Nach jeweils heftigen Protesten musste das wieder zurückgenommen werden. Und ich denke, dass Politik das irgendwann auch akzeptieren muss. Wir müssen Wege finden, die auch von den Bürger/-innen akzeptiert werden.

Und wir müssen mehr die Punkte anschauen, wo die großen Kosten oder Einnahmeausfälle entstehen. Zum Beispiel sind die ständig steigenden Beamtenpensionen eine zunehmend große Belastung aller Haushalte aber vor allem der der Länder. Und es ist nicht gerecht, die Rentenniveaus langfristig zu kürzen und die Lebensarbeitszeit zu verlängern, dies aber nicht auf die Beamten anzuwenden. Da müssen wir ran, auch wenn das noch schwerer durchzusetzen ist, als die Schließung eines Bades.

Wenn ich schon mal in Bayern rede, möchte ich zum Abschluss meiner Rede auf die bundespolitischen Debatten eingehen. Wir haben ja grundsätzlich immer folgende Arbeitsverteilung: Für Erfolge sind wir jeweils selber zuständig, für Misserfolge immer irgendwelche anderen und Arme sind immer selber schuld an ihrem Schicksal.

Für Bremen kann ich aber sagen: Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, dass Bremen ohne Schuld in seine jetzt schwierige Lage gekommen ist. Wir haben zwar das zweitgrößte Bruttoinlandsprodukt aller Bundesländer pro Kopf aber ein hohes Staatsdefizit.

Mir ist wichtig, den Blick nach vorne zu richten und nicht zu ermitteln, wer jetzt an dieser Lage die Schuld hat. Wichtig ist, dass wir einen Länderfinanzausgleich haben, dem auch Bayern zugestimmt hat. Außerdem haben 5 Sanierungsländer sich auf den Weg gemacht, bis 2020 das Defizit auf Null zu senken – das geht nur, wenn nicht ständig die Rahmenbedingungen verändert werden. Deshalb habe ich kein Verständnis dafür, dass jetzt von Herrn Söder mit einer Klage gedroht wird. Wir verlangen Vertragstreue!

Das Zeitalter der Entsolidarisierung und des Neoliberalismus ist vorbei. Wir brauchen klare Spielregeln, die konsequent eingehalten werden. Das ist für Länder wie Bremen schon hart genug. Alle Ebenen der Politik und in besonderer Weise die Kommunen dienen dem Gemeinwohl. Deshalb brauchen wir dringend Solidarität als verlässliche Größe der Politik.

Für 2012 wünsche ich Ihnen, dass es ein fröhliches, buntes, erfolgreiches und friedliches Jahr werden möge. Nochmal herzlichen Dank für die Einladung und vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.