Kommentar
Heikle Nähe bei „Augsburg checkt’s“: Wie die Stadt Augsburg eine Faktencheck-Kampagne der Augsburger Allgemeinen unterstützt
Die Augsburger Allgemeine führt gemeinsam mit der hauseigenen Günter Holland Journalistenschule (GHJS) und der Deutschen Presse-Agentur (dpa) seit Anfang Oktober mit „Augsburg checkt’s“ eine Faktencheck-Kampagne durch mit dem Ziel, die „Bürgerinnen und Bürger faktenfit“ zu machen. Die Kampagne wird von der Stadt Augsburg offiziell unterstützt. Das wirft Fragen auf hinsichtlich des staatlichen Neutralitätsgebots und der Staatsfreiheit der Presse. Wird bei der Kampagne hinreichend professionelle Distanz zwischen den Akteuren gewährleistet? Oder droht stattdessen eine demokratiegefährdende Wahrheitsinstanz? Einwandfrei ist es nicht, wenn Stadt Augsburg und Augsburger Allgemeine gemeinsam „richtige“ und „falsche“ Informationen öffentlich markieren.
Kommentar von Bernhard Schiller
Grundgesetz: Staatsfreiheit der Presse gilt auch für Augsburg
Eine gut funktionierende Demokratie benötigt eine kritische Öffentlichkeit, wie Menschen die Luft zum Atmen. Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland soll diese Atemluft der Demokratie garantieren, indem es Meinungsfreiheit und Pressefreiheit unter besonderen Schutz stellt. Die freie Presse ist der Garant für kritische Öffentlichkeit. Zur verfassungsrechtlich garantierten Pressefreiheit zählt insbesondere der aus Artikel 5 und Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes abgeleitete Grundsatz von der Staatsfreiheit der individuellen und öffentlichen Meinungs-und Willensbildung – und damit der Staatsfreiheit der Presse. Als Teil der staatlichen Exekutive sind Kommunen wie die Stadt Augsburg diesem Grundsatz unterworfen.
Stadt Augsburg nimmt keinen Einfluss auf die Inhalte der Faktenchecks
Unter jedem Faktencheck veröffentlicht die Augsburger Allgemeine deshalb einen Transparenzhinweis, der versichern soll, dass „weder Stadt noch Stadtwerke Einfluss“ auf die Inhalte hätten. Man ist sich der verfassungsrechtlichen Problematik also anscheinend bewusst. Dementsprechend ist von einer hinreichenden rechtlichen Prüfung der Kampagne durch die Stadtverwaltung auszugehen.

„Dein täglicher Faktencheck“: Bürgerbüro Lechhausen
Auf Nachfrage der DAZ teilt die Stadt Augsburg am 6. November 2025 mit, dass es weder im Vorfeld der Aktion noch aktuell verfassungsrechtliche Bedenken auf Seiten der Stadt gebe. Die Initiative sei von der Augsburger Allgemeinen ausgegangen, die „mit dem Projektvorschlag auf die Stadt zugekommen“ sei. Die „inhaltliche Ausgestaltung“ obliege „ausschließlich“ der dpa, die redaktionelle Verarbeitung erfolge durch Volontäre der GHJS. Die Stadt Augsburg beteilige sich an der Aktion mit dem Ziel, „den verantwortungsvollen Umgang mit Information zu stärken“ und „die Augsburgerinnen und Augsburger für das Thema Desinformation zu sensibilisieren“. Zu diesem Zweck habe die Stadt Augsburg Plakate an Bürgerbüros, Schulen und anderen städtischen Einrichtungen angebracht.
Zweifel an der professionellen Distanz zur Augsburger Allgemeinen
Der Ausschluss einer inhaltlichen Mitbestimmung durch die Stadt Augsburg dürfte jedoch nur das unbedingt notwendige Mindestmaß an Zurückhaltung darstellen. Daneben können mehrere Aspekte der Kampagne Zweifel an der professionellen Distanz zwischen Stadt Augsburg und Augsburger Allgemeinen aufkommen lassen, weshalb es eines kritischen Einwands bedarf:
1. Fehlende Trennschärfe bei der Definition der Zielgruppe
Die erste Schwierigkeit steckt schon in der Definition der Zielgruppe. Während Adressat städtischer Kommunikation stets die Menge aller Bürgerinnen und Bürger der eigenen Verwaltungseinheit ist, zielt eine Zeitung auf eine ganz andere Gruppe, nämlich auf ihren Leserkreis. Beide Mengen sind nicht identisch. Weder besteht der Leserkreis der Augsburger Allgemeinen nur aus Bürgern der Stadt Augsburg, noch besteht er zwingend aus Wahlberechtigen oder Bürgern (Leser aus anderen Kommunen, Ausländer, Minderjährige). Augsburgs Oberbürgermeisterin Weber erklärt, dass die Initiative „die Augsburger und Augsburger widerstandsfähiger gegen Fake News“ mache, in der Presseinformation vom 13. Oktober 2025 werden als Zielgruppe ausdrücklich „Bürgerinnen und Bürger“ genannt. Erreicht werden aber zwangsläufig nur Leser der Augsburger Allgemeinen. Das passt nicht zusammen, lässt aber die Frage aufkommen, wer hier wen wie unterstützt. Die Stadt Augsburg die Augsburger Allgemeine – oder die Augsburger Allgemeine die Stadt Augsburg. Beide Varianten sind heikel.
2. Koordinierte Aktion unter Beteiligung der Stadtwerke
„Augsburg checkt’s“ kann und soll von der Öffentlichkeit als gemeinsame, koordinierte Aktion wahrgenommen werden. Die Akteure bezeichnen sich in der Pressemitteilung als „fünf starke Partner“. Neben den eingangs genannten Kooperationspartnern sind auch die Stadtwerke Augsburg (swa) mit von der Partie. Als hundertprozentige Tochtergesellschaft der Stadt Augsburg sind die Stadtwerke Teil der öffentlichen Hand.

„Kostenloses Profi-Wissen“: Werbung in der Straßenbahn
Die Werbung für „Augsburg checkt’s“ in den Bussen und Straßenbahnen zeigt neben den Logos der Augsburger Allgemeinen, der GHJS und der dpa die offiziellen Logos der swa und der Stadt Augsburg. Die Zeichensprache gibt dabei keinen Aufschluss darüber, wer welche Rolle bei dem Projekt spielt, wer Initiator und wer „nur“ Unterstützer sein könnte. Ganz im Gegenteil: Das Logo der Stadt Augsburg steckt zwischen denen der Augsburger Allgemeinen und der GHJS und lässt keinerlei Distanz erkennen.
Der QR-Code führt nicht nur zur Faktencheck-Serie, sondern zur Online-Ausgabe der Augsburger Allgemeinen. Den Transparenzhinweis enthält die Werbeanzeige nicht. Ein Variante der Bildschirm-Einblendung (siehe Bild) wirkt zusammenhanglos und scheint mehr auf eine emotionale Reaktion zu zielen als auf einen vernünftigen Diskurs. Die erleuchtete Zirbelnuss-Glühbirne aktiviert hier nur noch ein Lebensgefühl: „Augsburg checkt’s.“ Die interaktive Erweiterung des Fahrgast-Infotainments über den QR-Code bringt die Grenzen zwischen öffentlicher Hand und freier Presse zum Verschwinden. Zugleich vergrößern die Stadtwerke Augsburg mit der Anzeige die Reichweite der Augsburger Allgemeinen.
3. Faktenchecks dürfen keinen Wahrheitsanspruch erheben
In der Ankündigung der Aktion in der Online-Ausgabe der Augsburger Allgemeinen vom 7. Oktober 2025 heißt es wörtlich, dass man durch das Lesen der Faktenchecks „der Wahrheit auf die Spur“ komme. Der Gebrauch des Wortes Wahrheit im Singular ist leichtfertig und suggeriert unfehlbare Erkenntnis, wo unterschiedliche Perspektiven und Deutungsmuster wirken. Was als objektiver Wahrheitsfindungsprozess namens „Faktencheck“ verkauft wird, kann und wird Wertungen und Irrtümer der Faktenchecker enthalten. Auch Faktenchecker haben ein Weltbild, haben weltanschauliche Motive und politische Präferenzen, sie leben und arbeiten in Zusammenhängen.
Die redaktionelle Auswahl und Aufbereitung von Themen ist Kernaufgabe des Journalismus und macht den hohen Grad an gesellschaftlicher Verantwortung aus, den die freie Presse in einer funktionierenden Demokratie innehat. Faktencheck-Redaktionen legen redaktionell fest, welche Themen sie checken und veröffentlichen und – das ist der kritische Punkt – welche Themen oder Themendetails sie exkludieren, nicht checken und nicht veröffentlichen. Diese Tatsache der Selektivität und Kuration macht Kritik an Faktenchecks grundsätzlich notwendig.
In einer Zeit ständiger Informationsverfügbarkeit verschwimmt bisweilen die Grenze zwischen Denkprozess und Rechercheprozess. Die Fähigkeit, Informationen zu finden und zu verifizieren wird verwechselt mit der Fähigkeit, die Informationen zu verstehen und zu beurteilen. Durch diesen kognitiven Fehlschluss werden aus partikularen Informationen „Fakten“ und aus „Fakten“ wird schlussendlich „Wahrheit“. Um demokratietauglich zu sein, müssen stattdessen auch Faktenchecks überprüfbar und falsifizierbar sein. Sie müssen der Vieldeutigkeit und Widersprüchlichkeit von „Tatsachen“ Rechnung tragen.
Die für „Augsburg checkt’s“ zitierte Aussage des Chefredakteurs der Deutschen Presse-Agentur, Sven Gössmann, dass Fakten „für alle Menschen gleichermaßen gelten“ müssten, ist in dieser Hinsicht hochproblematisch. Die potentielle Umfunktionierung von Faktenchecks in ein Instrument zur Homogenisierung öffentlicher Diskurse ist eine reale Gefahr für Demokratie und Freiheit. Eine solide Demokratie lebt wesentlich von der Auseinandersetzung mit dem Ziel, bessere Argumente zu finden, lebt von pluralen Perspektiven, personale Freiheit lebt wesentlich von Verantwortung, nicht von Einmütigkeit.
4. Verengtes Demokratieverständnis
Augsburgs Oberbürgermeisterin Weber lässt sich in der genannten Pressemitteilung der Pressedruck GmbH mit folgender Aussage zitieren: „Fakten sind das Fundament unserer Demokratie. Nur wenn wir Informationen kritisch hinterfragen und verlässlich einordnen, können wir als Gesellschaft gute Entscheidungen treffen.“ Auch diese Aussage ist hochproblematisch.
Richtig ist, dass Informationen stets kritisch zu hinterfragen sind. Das gilt wie bereits gesagt für sogenannte Faktenchecks und es gilt für die apodiktischen Feststellungen der Oberbürgermeisterin. Was eine verlässliche Einordnung ist, wie diese zu erfolgen hat und vor allem: in welches Ordnungssystem die Information einsortiert wird, ist eine Frage, die gestellt werden muss. Schwerwiegender aber ist die Qualifikation von „Fakten“ als „Fundament der Demokratie“. Fakten sind zwar eine brauchbare Basis für konstruktive Diskussionen, aber keine hinreichende Grundlage der Demokratie.
Faktenfetischismus kann sogar ins glatte Gegenteil führen. Das Beharren auf Fakten beinhaltet ein autoritäres Moment, das gegen Zweifel, Irrtümer und Kritik immunisiert. Eine solche Immunisierung wäre das Ende der Freiheit, die neben der Demokratie das Fundament der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland ist. Fakten müssen stets frei diskutiert werden können.
Eine Gesellschaft besitzt keinen eigenen Willen, kann nicht bewusst handeln und trifft deshalb keine Entscheidungen. Zwar gerinnen die Entscheidungen der Wähler zu einem Ergebnis, das im parlamentarischen Prozess (oder in einem Stadtrat) die vielen Einzelwillen koordiniert. Aber das, was dabei herauskommt, sind Mehrheitsbeschlüsse, keine Wahrheiten. Deshalb sind diese auch revidierbar, was bei Wahrheiten nicht möglich wäre. Die Falsifizierbarkeit und Revidierbarkeit politischer Entscheidungen und Machtkonstellationen – nicht die vermeintliche Güte oder Gutheit faktenbasierter Entscheidungen – ist das wesentliche und damit schützenswerte Herz der Demokratie.
5. Autoritäten ersetzen das Denken und den Diskurs
Die Freiheit des Menschen integriert den Irrtum. Der Mensch darf sich täuschen, irren, revidieren. Unmündigkeit beginnt dort, wo das eigene Urteil durch fremde Wahrheitsansprüche ersetzt wird – wenn vermeintliche Fakten von Autoritäten bestätigt werden, die das Denken und den Diskurs ersetzen. Niemand hat deshalb das Recht, einem Faktencheck Glauben zu schenken. Laut dem Chefredakteur der Augsburger Allgemeinen, Peter Müller, fördere „Augsburg checkt’s“ ein „kritisches, aufmerksames und selbstbestimmtes Medienverständnis“. Sofern in den indifferenten Zielgruppen der fragwürdigen Kampagne diese Eigenschaften nicht längst entwickelt sind, wäre dies ihr bestmögliches Ergebnis – das dann allerdings unweigerlich auf die Kampagne selbst und die „fünf starken Partner“ zurückwirkt.




