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Polit-Thriller auf der Brechtbühne

Mit der Uraufführung des Recherchestückes „Auf dem Paseo del Prado mittags Don Klaus“ bringt das Staatstheater Augsburg ein spannendes Stück Dokumentationstheater auf die Bühne

Von Halrun Reinholz

Auf dem Paseo del Prado mittags Don Klaus – Foto © Jan-Pieter Fuhr

Der Titel ist sperrig und macht zunächst nicht viel Lust, sich auf den (über drei Stunden dauernden) Theaterabend einzulassen. Doch bei näherem Hinsehen wird die Neugierde geweckt. Klaus Barbie, der berüchtigte „Schlächter von Lyon“, war, das ist manchen bekannt, nach dem Krieg für den amerikanischen Geheimdienst in Augsburg tätig. Danach gelangte er, auch unter aktiver Mitwirkung der katholischen Kirche, nach Bolivien, wo er aufgespürt und schließlich 1987 zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. In seinem Fall waren das gerade noch vier Jahre, die er vor seinem Tod absitzen musste. Soweit die dürren Fakten, die, wenn überhaupt, noch  im heutigen kollektiven Bewusstsein sind.

Dem Inszenierungsteam „Futur II Konjunktiv“ ist es ein Anliegen, den Einzelheiten solcher Fälle auf den Grund zu gehen. 2014 haben sich Mathias Naumann und Johannes Wenzel unter diesem Namen zusammengeschlossen, um das Ergebnis ihrer soliden Recherchen in eine theatrale Ausdrucksform zu bringen. Nun eben den Fall Klaus Barbie ins Augsburger Theater.

„Irgendwas stimmt hier nicht, also in größerem Zusammenhang“, ist die Prämisse, die eine Kette von unglaublichen Vorkommnissen wie einen Polit-Thriller vor den Zuschauern ausbreitet. Der Plot entwickelt sich anhand von drei zentralen Figuren: Klaus Barbie kann in Diensten des amerikanischen Geheimdienstes seine Kenntnissen und seine Vernetzung zunächst in Augsburg anwenden. Als seine NS-Vergangenheit den Amerikanern zu heiß wird, sorgen sie für seine Abschiebung nach Bolivien, wo er mit seiner Familie unter der neuen Identität die Geheimdienste der wechselnden Militärdiktaturen schult und gleichzeitig sein Netzwerk aus Nazi-Zeiten weiter pflegt. 

Eine weitere Protagonistin ist Monika Ertl, Tochter des NS-Kameramannes Hans Ertl, die ebenfalls in Bolivien aufwächst, wo ihr Vater Minenbesitzer ist. Barbie kennt sie als „Onkel Klaus“, einen Freund ihres Vaters. Die Auseinandersetzung mit ihrer Herkunft führt sie in den späten 1960er Jahren zu der einst von Che Guevara gegründeten linksrevolutionären Guerillaorganisation ELN. Als Rächerin von Che Guevara ermordet sie Roberto Quintanilla Pereira, der seinerzeit für dessen Ermordung verantwortlich war. 

Der Bolivianische Geheimdienst (unter maßgeblicher Mitwirkung von Klaus Barbie) sorgt dafür, dass sie mit nur 35 Jahren („das Durchschnittsalter eines Bergmanns in Bolivien“) liquidiert wird. Die dritte  Figur des Plots ist Michel Cojot-Goldberg, der in Lyon als Kind die Verhaftung und Deportation seines Vaters durch Klaus Barbie miterleben musste. Auch er gelangt beruflich nach Südamerika und wird mit der dort kaum verhohlenen Nazi-Szene konfrontiert („Mit der Zeit sieht man, Nazis sind überall“). Als er die wahre Identität von Klaus Altmann erfährt, will er Rache nehmen. Als Journalist getarnt sitzt er ihm gegenüber, zieht aber die Waffe nicht. Erst Serge und Beate Klarsfeld gelingt es, durch ihre hartnäckige Recherche die Auslieferung und den Prozess gegen Barbie zu erwirken, der schließlich zu seiner Verurteilung führt.

Naumann und Wenzel bringen diese Erzählstränge nicht linear, aber in schnellen Szenen schlüssig auf die Bühne. Da es sich um Dokumentartheater handelt, sprechen die Fakten, was den Zuschauern, aber vor allem dem Schauspielteam, ein Höchstmaß an Konzentration auf sehr viel Text abverlangt. Es handelt sich dabei jedoch nicht um philosophische Überlegungen (wie es die Grundfrage um Recht und Gerechtigkeit nahelegen könnte), vielmehr werden die Geschehnisse in fast comichaften (und durchaus manchmal auch komischen) Szenen rekonstruiert. 

Den Hauptakteuren sind zwar feste Rollen zugeordnet, doch stellen alle Darsteller wechselweise mit schneller Verkleidung auch andere Figuren dar. Thomas Prazak  gibt im Brustton der Überzeugung Klaus Barbie, Marlene Hoffmann verkörpert Monika Ertl, Roman Pertl und Sebastian Müller-Stahl teilen sich (auch, indem sie immer mal ihre Sakkos und Jacken tauschen) die Rolle von Michel Cojot-Goldberg, letzterer verkörpert aber auch  den fürsorglichen Ehemann Serge Klarsfeld, dessen Frau Beate (Karoline Stegemann) den Fall Barbie schließlich zum Gerichtsfall werden lässt.

Gerald Fiedler gibt generell (und nicht ohne Komik) den Typen im steifen Hut ab, Kurt Merk, aber auch Staatsanwälte und sonstige Beamte. Das Bühnenbild von Christina Nyffeler ist ein raffiniertes Arrangement in rosa, das sowohl an ein Schwimmbad (oder an einen Folterkeller), als auch im rechten Teil mit Säulen an einen Gerichtssaal erinnert. Unebenheiten erschweren die allzu glatte Spielweise. Trotz der hohen Textdichte und der langen Dauer wirkt die Aufführung nicht langatmig. Keine Fiktion hätte einen besseren Thriller-Effekt als die nackten Fakten, die einem um die Ohren fliegen – als hohe Theaterkunst. Der lange Applaus des Premierenpublikums zeigt, dass der Nerv getroffen wurde.