„Gefährdet ist die Augsburger Kultur nicht aus statischen Gründen“
Interview mit Dr. Frank Mardaus über die Zukunft der Staats- und Stadtbibliothek
Dr. Frank Mardaus, Diplomvolkswirt und als Literaturwissenschaftler an der Universität Augsburg tätig, ist einer der klügsten Köpfe in der Augsburger SPD, deren kulturpolitischer Sprecher er ist. Mardaus ist Vorsitzender des SPD-Ortsvereins Ulrichsviertel. 2008 verpasste Mardaus knapp den Einzug in den Augsburger Stadtrat. In der Debatte um die Pläne der Stadtregierung zur Augsburger Staats- und Stadtbibliothek ist Mardaus die kompetenteste und aktivste Persönlichkeit in den Reihen der Opposition. Grund genug für ein DAZ-Interview im „Pow Wow“ am Moritzplatz.
DAZ: Herr Dr. Mardaus, Sie sind unseren Informationen zu Folge das Zentrum des Widerstandes gegen die Pläne der Stadtregierung, die Staats- und Stadtbibliothek zu „zerschlagen“, wie Sie sagen. Sie sollen die breite Gegen-Kampagne angezettelt und koordiniert haben. Stimmt das?
Mardaus: Da musste nicht viel koordiniert werden. Zunächst einmal sprach nach unseren Informationen die Verwaltung selbst von der „Zerschlagung“. Das Amt für Medien- und Öffentlichkeit wurde über die politisch nicht korrekte, aber zutreffende Benennung des politischen Vorhabens nicht informiert. Die drei beteiligten Stellen mutmaßten schon vor der großen Dienstbesprechung über diese Pläne und waren besorgt. Als sich dann schlimmste Befürchtungen bewahrheiteten, standen wir als verantwortliche Opposition bereit und haben schon am Tag darauf den Antrag für die nächste Kulturausschusssitzung formuliert. Den Protest ist zeitlich koordiniert, das war wichtig, um es nicht zu einem kurzzeitigen Aufreger von einigen Historikern werden zu lassen. Meine Erfahrung vom Infostand am Samstag zeigt, dass viele Bürger nun Bescheid wissen. Doch zum Protest selbst wurde von den betroffen Bürgern und Wissenschaftlern der Stadt aufgerufen. Dank Barbara und Matias Rajkay konnten sie ihren Protest auch auf der Webseite äußern.
„Jede bereits begonnene oder noch geplante Aktivität zur Veränderung soll sofort eingestellt werden“
DAZ: Der Kulturausschuss tagt heute, das heißt, dass der Antrag als Dringlichkeitsantrag akzeptiert werden müsste. Was steht denn drin?
Mardaus: Die SPD fordert den „den uneingeschränkten Fortbestand der Staats- und Stadtbibliothek“, spricht sich damit „nachhaltig gegen eine Aufspaltung in einen städtischen und einen staatlichen Teil aus.“ Deshalb ist „jede bereits begonne oder noch geplante Aktivität zur Veränderung und Umwandlung sofort einzustellen“. Vielmehr sind „die bereits beschlossenen Maßnahmen zur Sicherung und Förderung des bisherigen Standortes an der Schaezlerstraße ohne Abstriche umzusetzen.“ Soweit zum Antrag der SPD-Fraktion.
Immerhin ist die aktuelle Beschlusslage die, dass man mit gut vier Millionen für eine leichte Ertüchtigung des Gebäudes und insbesondere für den Dachausbau zu sorgen habe. Peter Grab befürwortete aus eigenem Antrieb die Erhöhung der Bausumme von ursprünglich etwa drei auf vier Millionen Euro. Wer etwas nun etwas ganz anderes möchte, sollte eine Diskussion über ein Neukonzept ankündigen, aber nicht von einem staatlichen und einen städtischen Buchanteil sprechen, der aus Kostengründen zerschlagen werden muss.
DAZ: Lassen wir das mal so stehen. In einem Brief an OB Kurt Gribl setzen sich eine Reihe Kulturschaffende und Wissenschaftler dafür ein, „die Form der Bibliothek, deren wissenschaftliche Struktur und deren Ort zu erhalten“. Ich halte das für einen Witz, ehrlich gesagt. An diesem Ort wird ein Buchbestand zeitgenössischer Literatur vor der Öffentlichkeit „versteckt“, sagen wir mal von Paul Auster bis zu Kurt Tucholsky – mir fällt grad kein Schriftsteller mit „Z“ ein. – Auch die Verwaltung und Pflege der historischen wie wissenschaftlicher Bücher ist laut Gutachten aus dem Jahre 2003 in den bayerischen Regionalbibliotheken überholt. Die neueren Bücher gehörten mit der Stadtbücherei verzahnt, die wissenschaftlichen an der Uni verortet. Sehen Sie das anders?
„Eine moderne Zugänglichkeit wäre wünschenswert“
Mardaus: Natürlich ist den Historikern in erster Linie die Arbeit mit den Beständen vor 1945 wichtig. Diese bilden den eigentlichen Schatz der Bibliothek. Was neuere Werke, insbesondere die Bestände der Pflichtexemplare aus dem Bezirk Schwaben betrifft, wäre eine moderne Zugänglichkeit, wie sie in der neuen Stadtbücherei nun möglich ist, wünschenswert. Ich hatte mich nach einem Berliner Modell für die Zusammenlegung von populärer und wissenschaftlicher Bibliothek dafür eingesetzt, aber weder bei den Leitern, Herrn Lutzenberger und Herrn Dr. Gier, noch bei den Stadträten der SPD dafür ein offenes Ohr gefunden. Nun haben wir ein anderes Konzept, nämlich ein offenes Haus mit großer Sozialkompetenz und das ist ja auch ein Fortschritt. Da wäre ich also mit Ihnen einer Meinung, auch wenn dann das Konzept der Neuen Bücherei damit verändert werden muss. Zur Uni: Die Bedingungen für das Arbeiten an den Inkunablen und Handschriften ist zumindest was die Öffnungszeiten betrifft, dort nicht besser.
DAZ: Dann wären die historischen Bücher an der Uni Ihrer Meinung nach nicht besser aufgehoben?
Mardaus: Was die Konservierungs- und Sicherheitsbedingungen betrifft, die wären an der Uni besser aufgehoben. Ausreichend Platz ist dort allerdings nicht, und auch die von den Historikern geschätzte Nähe zum Stadtarchiv ist überhaupt nicht gegeben und er Leiter der UB hat sich ja ausdrücklich gegen die Überlegung einer Eingliederung der alten Bestände gewandt. Mit anderen Worten: An Ihren Überlegungen ist viel Wahres, aber es braucht eine Abstimmung mit so vieles Seiten; das kann kein Finanzreferat leisten.
DAZ: Also, Herr Mardaus: Die Bestände des Stadtarchivs kommen doch eh in die Shed-Hallen des AKS-Geländes, eine räumliche Nähe können sie so oder so löschen, egal was mit den Beständen der Staats- und Stadtbibliothek geschieht.
Mardaus: Nein, die Uni, das heißt der frühere Flugplatz ist drei mal so weit entfernt wie das AKS-Gelände. Ein Historiker quert vom Alten Einlaß an die Grottenau zu der früheren Lotzbecker Tabakfabrik von Friedrich Freiherr von Lotzbeck eben den Augsburger Stadtraum, über den er vermutlich seine Arbeit verfasst.
DAZ: Sehr komisch, aber Sie wollen doch nicht tatsächlich darauf bestehen, dass die Staats- und Stadtbibliothek in der Schaezlerstraße bleibt? Das Haus ist doch bereits jetzt überfüllt. Im Frühjahr 2009 wurden bereits meines Wissens 50.000 Bücher nach Garching verfrachtet, weil die Statik des Hauses damit entlastet werden sollte. 50.000 historische Bücher nach München! Damals hat sich niemand von der SPD oder wer auch immer über die „Zerschlagung unserer „kulturellen Identität“ beklagt. Aufgrund eines Vertrages aus dem Jahre 1987 muss die Staats- und Stadtbibliothek alle schwäbischen Druckerzeugnisse von Relevanz – also auch Zeitungen – sammeln. Die Zukunft der Bibliothek an der Schaezlerstraße 25 ist doch aufgrund der täglich zunehmende Bestände sehr begrenzt. Über kurz oder lang muss doch wieder ausgelagert werden.
„Wenn ihr nicht mehr löhnt, könnt ihr euer altes Glump wieder haben“
Mardaus: Nein, wir von der SPD haben uns in der Presseerklärung vom 24.9.2009 ausdrücklich gegen die angeblich vorübergehende Auslagerung gewendet. Die Zunahme des Bestandes ist in der Tat ein Problem, allerdings kein unlösbares. Neben den Pflichtexemplaren hat die Stabi einen Ankaufsetat von weniger als 40.000 Euro. Das meiste geht schon für die Abonnements weg. Zum Vergleich: Die Universitätsbibliothek hat einen jährlichen Etat von etwa einer Million Euro. Die Platzprobleme dort sind größer.
Kurzfristig genügt bei der Stabi jedenfalls der beschlossene Dachgeschossausbau, mittelfristig ist über das unmittelbar angrenzende Gebäude der alten Stadtbücherei in der Gutenbergstraße nachzudenken. Es wird zwar bis in den ersten Stock vom Peutinger-Gymnasium derzeit genutzt, aber das ist ja auch nur eine mittelfristige Lösung, die für diese Schüler viel Lauferei bedeutet. Der zweite Stock steht im Übrigen leer. Langfristig müsste ein Denken hier ansetzen. Vermutlich ist aber der Wert beider Gebäude in bester Innenstadtlage Anlass für so manche stillschweigende Spekulation seitens der Kämmerei.
DAZ: Die Stadtregierung verhandelt derzeit mit dem Freistaat über eine höhere Beteiligung der Kosten – die Stadt bezahlt 1 Million, der Freistaat aufgrund eines uralten Vertrages knapp 20.000 Euro – Inzwischen, so ist zu hören, soll der Freistaat, sich bewegt haben und sein Angebot liege bei 120.000 Euro. Unterminieren Sie nicht mit ihrer „Zerschlagungspanik“ die Verhandlungsposition der Stadt, die versucht, vom Freistaat genau jenen Anteil der Kostenbegleichung zu bekommen, der dem Besitz seiner Bücher entspricht? Bücher, die höchstwahrscheinlich nach 1806 von den Bayern aus den Augsburger Klöstern gestohlen wurden, also im Grunde …
„Man nimmt Augsburger Kulturschätze nicht als politische Geisel für eigene Klammheit“
Mardaus: … sie wurden nicht gestohlen, sondern fielen mit der Mediatisierung 1810 an den Freistaat. Dieser hatte schon seit den Zeiten des Herzogtums München zu einer Hauptstadt der Kunst und Kultur gemacht. Was hätte da näher gelegen, als die Bücher nach dorthin zu verbringen? Wir haben also Glück gehabt, auch mit dem Vertrag von 1897, als wir den gesamten Bestand auf ewig behalten durften: Die Augsburger Bürger waren froh, gegen eine pauschale Abgabe ihre Kulturschätze am Ort sichern können. Heute aber kümmert sich der Finanzreferent nicht um das Kulturgut, sondern wirft eine finanzielle Bürde dem Freistaat in einer vermeintlich taktisch geschickten Geste vor die Füße. Nach dem Motto: „Hier, wenn ihr nicht mehr löhnt, könnts Euer altes Glump wieder ham!“ Ist das der Umgang, den eine CSU-regierte Führung ernsthaft mit einem Freistaat pflegt, zu dem man angeblich immer den besten Draht hat? Dem Freistaat geht es doch nicht um Geschacher, sondern um Kulturpolitik. Wenn Augsburg mit seinen Schätzen nicht pfleglich umgeht, dann wird der Freistaat diese Aufgabe sicher willig übernehmen. Aber glauben Sie mir, zu Münchens – und nicht zu Augsburgs Glanz und Gloria.
DAZ: Peter Grab hat am Samstag in der Augsburger Allgemeinen Ihnen und den anderen Kritikern eine gewisse Verantwortungslosigkeit unterstellt, und zwar bezüglich des Sicherheitsaspektes: „Wenn das Bibliothekshaus aus Gründen von Überlastung gefährdet ist und die Politik darauf hin nicht reagieren würde, wäre das ein Skandal“, so Grab und verweist auf Köln. Recht hat er, oder nicht?
Mardaus: Gefährdet ist die Augsburger Kultur nicht aus statischen Gründen, sondern aus politischen Gründen, die mit der Person des Kulturreferenten zu tun haben. Wenn das Gebäude vor dem Kollaps steht, dann muss er es räumen lassen und darf nicht mit dem Freistaat über die Erhöhung des jährlichen Unterhaltes feilschen. In diesem Interview tut Herr Grab so, als dürfte man nur noch auf eigene Gefahr das Gebäude betreten.
DAZ: Ohne eine angemessene Beteiligung des Freistaates und ohne eine Sanierung, die 4,4 Millionen Euro koste, müsse das Haus über kurz oder lang geschlossen werden, so Kulturreferent Peter Grab weiter im Text. „Wer für die Beibehaltung des jetzigen Zustands kämpft, riskiert aber die sanierungsbedingte Schließung des Hauses“. Genau das wolle Grab verhindern, indem er für die Kostenbeteiligung des Freistaats kämpft. Mich erinnert diese Argumentation …
Mardaus: … an das Theater um das Alte Stadtbad, da hieß es, man müsse sonst noch mehr Bäder in Frage stellen. Zunächst wurde auf ausdrücklichen Wunsch von Peter Grab, der sich wortreich seit seinem Antrittsprogramm für den Erhalt der Kulturschätze einsetzte, für 4,4 Millionen die Sanierung beschlossen. Da hieß es nicht, das ginge nur, wenn sich der Freistaat einsetzt. Wahrscheinlich dachte man, die Steuern würden immer so sprudeln wie im Jahr vor der Finanzkrise. Und nun, in einem Jahr, das genau durchschnittlich gut war, bricht alles zusammen? Vorausschauend – und da spricht der „Finanzler“ in mir – ist das nicht. Aber es geht ja gar nicht um Grab: Weber möchte zurückgeben, was nichts einbringt. Alois Knoller hat das in der Augsburger Allgemeinen auf den Punkt gebracht: Man nimmt Augsburger Kulturschätze nicht als politische Geisel für eigene Klammheit …
„Es haben sich Abgründe an kultureller Denkart aufgetan“
DAZ: … die sich in absehbarer Zeit nicht sehr verändern dürfte, was mit dem Berliner Wirtschaftsförderungsgesetzgebung zu tun hat. Weder fürs Verkehrliche noch für die Kultur werden für die Kommunen in absehbarer Zeit die Fördermittel ähnlich üppig vorhanden sein, wie in der Vergangenheit. Für die Klammheit, wie Sie sagen, kann weder Weber noch Grab etwas. Wenn Sie meinen, dass man kommunalpolitisch so fortfahren könne wie in der Vergangenheit, müssten Sie auch sagen, woher das Geld kommen soll!
Mardaus: Die finanzielle Grundlage für die Bewahrung und Nutzung unserer kulturellen Aufgaben und Schätze muss in der Tat verbreitert werden. Ich vermisse mutige Lösungsansätze dazu. Für den kulturellen Bereich – aber nicht nur für diesen – ist eine landesweite Gebietsreform notwendig, die es Städten wie Augsburg ermöglicht, ihren Aufgaben für einen großen, wirtschaftlich starken Umlandbereich gerecht zu werden. Im Falle Augsburgs betrifft dies das Gebiet Mittelschwabens. Denkbar wäre eine gewählte Regierung für Mittelschwaben nach dem Vorbild französischer Metropolregionen. Darüber hinaus sind Landes- und Bundesmittel für solche Kulturschätze notwendig, die eine herausragende Bedeutung für ein Bundesland- oder für die Deutsche Nation haben. Augsburg war Reichsstadt und kann als nun mittelgroße Kommune den Erhalt des eigenen Erbes kaum finanzieren. Alle Parteien sind aufgefordert, entsprechende Gesetzentwürfe in die Parlamente einzubringen.
DAZ: Ein wenig weit hergeholt und irgendwie auch unrealistisch, damit können Sie bei mir nicht – und vermutlich noch weniger in der real-existierenden Augsburger Lokalpolitik – punkten. – „Es wäre schön, wenn wir in Augsburg wieder zu einer ordentlichen Diskussionskultur in der Politik kommen würden“, sagt Peter Grab. Ein frommer Wunsch?
Mardaus: Weit her geholt ist jede neue Idee nur an ihrem Anfang. Zunächst werden Widerstände wach, denen aber mit der Zeit vernünftig begegnet werden kann. Jede gute Idee und auch Diskussion beginnt natürlich ruhig: Da werden Beobachtungen und Erfahrungen, die in der Luft liegen, aufgegriffen. Gebietskörperschaften oder wie hier einen Amtsleiter mit 25 jähriger wertvoller Diensterfahrung bezieht man kollegial ein. Herr Gier erfuhr von der Zerschlagung als er aus seinem Urlaub zurückkehrte. Dann wird eine interessierte Öffentlichkeit geschaffen, in Vorträgen diskutiert man mit Fachleuten. Vielleicht sagt man der ein oder anderen politischen Partei, zumindest seiner eigenen, Bescheid. Sicher kommt einmal der Punkt, an dem eine Entscheidung gefällt werden muss. Aber diese ist – war die Diskussionskultur wirklich gut – keine Überraschung mehr. Die Nachricht von der Zerschlagung der Stabi dagegen war ein Schlag ins Gesicht des Augsburger Bürgers, der seine Kultur liebt. Es tut mir leid, dass sagen zu müssen: Aber für mich haben sich da Abgründe an politischem Geschick und kultureller Denkart aufgetan.
DAZ: Herr Mardaus, vielen Dank für das Gespräch.
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Fragen: Siegfried Zagler