Groove im Konzertsaal: Jazz und Beethoven im Dialog beim 6. Sinfoniekonzert
Unter der Überschrift „Jazz vs. Beethoven“ wurde das 6. Sinfoniekonzert der Augsburger Philharmoniker angekündigt. Das klingt nach Konfrontation, doch das Publikum weiß längst, dass die Konzertabende im Kongress am Park darauf angelegt sind, Hörgewohnheiten auf die Probe zu stellen und überraschende Kontraste neben Parallelen aufzuzeigen.
Von Halrun Reinholz
Das 6. Sinfoniekonzert startete mit einer Volte in die „Goldenen Zwanziger“, in Paris „Les Années Folles“ genannt. In der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg sehnten sich die Menschen nach Veränderung, nach Ausgelassenheit und Freude. Paris war neben Berlin und New York ein Zentrum der künstlerischen Erneuerung. Auch die Musik war neuen Einflüssen ausgesetzt, die Grenzen von E- und U-Musik wurden ausgelotet und spielerisch in Frage gestellt.
Der junge amerikanische Komponist George Gershwin hatte mit seiner „Rhapsody in Blue“ den sinfonischen Jazz eingeleitet. 1928 traf er mit seiner Familie in Paris ein und schrieb unter dem Eindruck der pulsierenden Metropole eine Komposition für Orchester, die er „An American in Paris“ nannte. Ein musikalischer Stadtspaziergang mit Autohupen, besinnlichen Momenten an der Seine, Impressionen vom Montmartre und der Sacré-Coeur. „Es ist meine Absicht, die Eindrücke eines amerikanischen Reisenden wiederzugeben, der durch Paris schlendert … und die französische Atmosphäre in sich aufnimmt.“
Ivan Demidov, erster Kapellmeister der Philharmoniker, führte das gut mit Blechbläsern und Schlagwerk verstärkte Orchester (u.a. auch drei Saxophone!) beschwingt und dennoch lyrisch ins jazzige Paris der Roaring Twenties.
Das war aber nur die Einstimmung auf das ungewöhnliche Solostück des Abends: ein Konzert für Saxophon und Orchester des zeitgenössischen französischen Komponisten (*1970) Guillaume Connesson – „A Kind of Trane“. Ein Werk, das der Komponist der Jazz-Legende John Coltrane gewidmet hat und das das Augsburger Konzertpublikum in deutscher Erstaufführung erleben durfte.
Solist Christian Segmehl, vor etlichen Jahren auch mal Dozent an der Augsburger Musikhochschule, betrat die Bühne mit zwei Instrumenten, einem Sopran- und einem Altsaxophon. „There is none another“ setzt als erster Teil mit dem Sopransaxophon als Solo-Instrument ein, gefolgt von einer lyrischen Ballade, in der das Altsaxophon zum Einsatz kommt. Im dritten Teil steigert sich das Stück zum jazzigen Groove „on the dancefloor“, wieder mit dem Sopransaxophon im Vordergrund. Was für ungewöhnliche Klänge im Konzertsaal! Der virtuose Solist kommunizierte bestens mit dem hoch motivierten und von Ungewöhnlichem herausgeforderten Orchester und das Publikum hatte sichtlich Spaß daran. Für die Zugabe entwarf Christian Segmehl das Szenario des „coolsten Jazz-Clubs von Augsburg“, wo Zigarrenrauch und Whiskydämpfe durch die Luft wabern. In diese Atmosphäre setzte er sein rhythmisches Solo, womit er gleichzeitig seine CD empfahl, die im Foyer zu erwerben war.
Beethovens 5. Sinfonie nach der Pause schien nach diesen Rhythmen recht altbacken auf dem Programm. Erstaunlich, mit welch kleinem Klangkörper Beethoven bei seinen monumentalen Sinfonien auskam! Das war das erste Aha-Erlebnis.
Erstaunlicherweise fügte sich das altbekannte Pochen des Schicksals an die Pforte ohne weiteres in die Reihe der jazzigen Vorgänger. Für Demidov ist das nicht ungewöhnlich. Er sieht bei den drei sehr unterschiedlichen Werken eine wichtige Gemeinsamkeit. Energie, Entfesselung, Freiheit und Fantasie würde sie alle kennzeichnen. Jedes sei Werk in seiner Zeit innovativ gewesen. Mit seinem begeisterten Schlussapplaus schien das Augsburger Konzertpublikum dem zuzustimmen.