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Dienstag, 23.07.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Staatstheater

Staatstheater: Depression ohne Schmäh im Wienerwald

Warum das Regiekonzept für das Stück von Ödön von Horvath nicht überzeugt

Von Halrun Reinholz

Geschichten aus dem Wienerwald – Foto: Jan-Pieter Fuhr

Ödön von Horvaths Stücke sind schonungslose Satire, Bosheit im idyllischen Schafspelz. Das macht sie so treffsicher und wirkungsvoll. Am Staatstheater Augsburg feierte nun eines der bekanntesten seiner Stücke Premiere, „Geschichten aus dem Wienerwald“. Ein Stück, dessen walzerseliger Titel dazu dient, die vermeintliche Idylle und Heurigen-Seligkeit des Wiener Kleinbürgertums der Zwischenkriegszeit vorzuführen. Gerade auch durch die Musik, der der Autor ganz bewusst und mit ausdrücklichen Regieanweisungen eine besondere Bedeutung zuweist.

Nun steht es einem Regisseur natürlich frei, sich den Hinweisen des Autors zu entziehen und selbst Ideen einzubringen. Sebastian Schug hat für das Stück eine eigene, gerade mal 90 Minuten lange Textfassung erstellt, Personen reduziert sowie aus unerfindlichen Gründen Valerie in Mathilde umbenannt und aus dem „Rittmeister“ einen „alten Mann“ (Kai Windhövel) gemacht. Die Handlung spielt sich hauptsächlich auf der Straße ab, wo die Metzgerei, die Puppenklinik und die Tabaktrafik der Hauptprotagonisten nebeneinander liegen. 

Musik nimmt auch in seiner Fassung eine zentrale Stelle ein: Links auf der Bühne sitzt der Musiker Jan Schöwer mit seiner Gitarre und auch die Darsteller setzen sich immer wieder an irgendwelche Instrumente: Gerald Fiedler, der „Zauberkönig“, bedient wie immer virtuos seine Gitarre, Natalie Hünig („Mathilde“) sitzt am Schlagzeug und auch Jenny Langner (Marianne) greift gelegentlich zur E-Gitarre. Gesungen wird auch immer wieder. Aber keine Geschichten aus dem Wienerwald, auch keine Verfremdung oder schräge Persiflage darauf. Es ist kein Bezug der Musik zur Handlung erkennbar, auch nicht, wenn die Musik mit (meist englischen) beliebigen Texten unterlegt wird.

Offenbar geht es Schurig dennoch nicht darum, das Stück aus dem vorgegebenen Raum und der fixierten Zeit der Handlung zu lösen. Im Gegenteil, Wien als Handlungsort wird erwähnt und die anbrechende Zeit des Nationalsozialismus markiert ganz explizit die korrekte Uniformierung des Neffen Erich (Patrick Rupar). Doch auf der Bühne findet kaum Interaktion statt. Die Figuren stehen seltsam beziehungslos nebeneinander, geben Statements ab, die sich nur selten zu echten Dialogen entwickeln. Wer das Stück nicht kennt, hat Mühe, den durch die Kürzung filmschnittartigen Szenen zu folgen. Die Drehbühne als Ergänzung lockert diese Statik zwar etwas auf, lässt aber nicht wirklich Bewegung aufkommen. Schnell fühlt man sich an die frühere Inszenierung Sebastian Schugs am Augsburger Theater erinnert – „Nacht ohne Sterne“. Die Statik und Isolation der Personen war damals, so dachte man, den Corona-Vorgaben geschuldet. Doch möglicherweise ist dieses beziehungslose Nicht-Agieren Schugs persönlicher Stil, auch ohne Pandemie-Zwänge.

Im Martinipark stehen die Darsteller vor der Herausforderung, Charaktere im Schnellschnitt und ohne die Möglichkeit der Ausgestaltung einigermaßen überzeugend darzustellen. So wird der (im Stück) als „grobschlächtig“ beschriebene Metzger Oskar (Thomas Prazak) zu einem sanft säuselnden, geduldig leidenden verlassenen Liebhaber. Dass sich Marianne (Jenny Langner) von ihm abwendet und mit dem „Hallodri“ Alfred durchbrennt, wird kaum verständlich und schon gar nicht, warum dieser ihrer dann wieder überdrüssig wird, zumal das Kind, das sie wollte und er nicht, praktisch nicht vorkommt. Ihr tragischer Weg ins Bordell, der Verlust ihres Kindes und die soziale Kälte in ihrem Umfeld, das alles wird nur angedeutet, so als ginge es sie (und auch das Publikum) nichts an. Die Verzweiflung, mit der sie schließlich (entgegen der Vorlage) den Metzger erschießt, erscheint in dieser Handlungskonstellation vollkommen inkonsequent.

„Mathilde“ (Natalie Hünig) im hautengen Leder-Look mit High-Heels als Vamp aufgemacht, lässt zwar bei jeder sich bietenden Gelegenheit gekonnt Erotik sprühen, endet dann jedoch völlig unmotiviert in der Rolle der moralischen Versöhnungs-Tante („jetzt wird sich entschuldigt“). Gerald Fiedler als „Zauberkönig“ und Vater Mariannes kann noch am überzeugendsten den Weg vom liebenden Papa zum entsetzt sich abwendenden und das Kind verstoßenden Scheusal vermitteln, der den ihm angedichteten Schlaganfall gekonnt dramatisch zelebriert. Patrick Rupar, der als Nazi Erich heftig herumballert, zeigt als Trans-„Conferencier“ viel Bein und Schminke. 

Überhaupt hat man den Eindruck, ein Übermaß an Glitzer und Show soll das triste Bühnengeschehen übertünchen. Die Doppelbödigkeit des Horvath-Stücks sucht man in dieser Inszenierung allerdings vergebens. Da die niedliche Walzer-Idylle fehlt, kann die Brutalität des Kleinbürger-Alltags ihr auch nicht kontrastierend gegenüberstehen. So bleibt nur die Trostlosigkeit, allein und ungeschminkt, abgehoben von Raum und Zeit. Zu wenig für einen Theaterabend. Der Premierenapplaus galt ganz eindeutig den Darstellern und nicht dem Regiekonzept.