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Dienstag, 23.07.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Lokalkolorit zum Abschluss

Brechtfestival, Nachtrag 1: „Augsburger Kreidekreis“ und „Misuk“

Von Frank Heindl

Zum Ausklang am Sonntagabend holte das Brechtfestival seinen Namensgeber noch einmal ganz nah heran. Zwar hatte die Inszenierung der frühen Erzählung vom „Augsburger Kreidekreis“ überhaupt nichts mit dem Festivalthema „Brecht und die Politik“ zu tun, dafür umso mehr mit der Heimholung des Autors in die Stadt, die, so die These von Festivalleiter Joachim Lang, lange Zeit von ihrem „berühmten Sohn“ nichts wissen wollte.

Regisseur Benjamin Brückel (links), Festivalleiter Joachim Lang (Mitte) und wissenschaftlicher Berater Jan Knopf (rechts) beim Publikumsgespräch im Anschluss an den „Augsburger Kreidekreis“. Foto: Nina Hortig / Brechtfestival.

Regisseur Benjamin Brückel (links), Festivalleiter Joachim Lang (Mitte) und wissenschaftlicher Berater Jan Knopf (rechts) beim Publikumsgespräch im Anschluss an den „Augsburger Kreidekreis“. Foto: Nina Hortig / Brechtfestival.


Der „Augsburger Kreidekreis“ handelt im 30jährigen Krieg, lang ist’s her, und hat auch gar nicht viel Lokalkolorit zu bieten – mit Ausnahmen einiger Ortsnamen, bei denen der Augsburger aufhört: In der Stadt selbst beginnt die Geschichte, sie setzt sich fort in Großaitingen und Mering und endet schließlich wieder in der, naja, Brechtstadt. Die 1948 im Rahmen der „Kalendergeschichten“ erstmals erschienene Erzählung hatte Brecht allerdings schon 1944 in das Drama „Der kaukasische Kreidekreis“ umgearbeitet und ihr damit den historischen und geografischen Bezug wieder genommen.

Regisseur David Brückel (von ihm stammt auch die Inszenierung der „Maßnahme“ von 2011, die in diesem Jahr wiederholt wurde) hat den Goldenen Saal als Veranstaltungsort sinnig in seine Konzept einbezogen, nutzt vor allem gekonnt die Lichtverhältnisse im anfangs fast völlig dunklen Saal. Auch mit Musik aus der Zeit des 30jährigen Krieges illustriert er die Geschichte der katholischen Magd Anna, die in den Wirren der Religionskriege ein protestantisches Kind vor katholischen Soldaten rettet. Später fordert die protestantische Mutter das Kind zurück – sie braucht es, um ihr Erbe durchzusetzen. Der schlitzohrige Richter inszeniert nun den berühmten, aus der Bibel bekannten Test mit dem Kreidekreis – allerdings mit neuer Anwendung: Nicht die Mutter bekommt das Kind, die stärker an ihm zieht, sondern diejenige darf es behalten, die nachgibt, um es nicht zu verletzen.

Zum endgültigen Ausklang Musik von Misuk

Die Rolle des Kindes stellt die Schauspielertruppe, der für die Probenarbeit nur eine Woche zur Verfügung stand, mit einem kleinen Akkordeon dar – das Instrument kann atmen, quietschen, man kann daran ziehen, und doch ist es ein Brechtscher Verfremdungseffekt, steht nicht für ein bestimmtes, sondern für jedes Kind. Brückel verwendet wörtliche Rede nur dann, wenn sie in der Erzählung vorkommt, sodass die Personen von sich selbst meist in der dritten Person reden – auch dies eine Methode aus Brechts Werkzeugkoffer. Die politische Forderung allerdings, die Brückel ans Ende der Erzählung gestellt hat, stammt nicht aus dem Augsburger, sondern aus dem kaukasischen Kreidekreis: „dass da gehören soll, was da ist, denen, die für es gut sind.“ Man hörte die Botschaft allerdings auch in Augsburg gerne – starker Applaus für eine fast zu sinnlich-gefühlvolle, aber mit einfachen Mitteln relativ viel erreichende Inszenierung.

Am späten Sonntagabend gab es dann im Unteren Fletz noch die allerletzte Veranstaltung des Brechtfestival 2012: Die Band „Misuk“ um die Sängerin Eva Gold stellte ihr Album „Misuk“ vor. Die Stimmung war gut, wenngleich die Band sich wohl mehr Publikum gewünscht hätte. Zu hören waren vor allem Stücke, die die Band bereits in den vergangenen Jahren im Rahmen von Brechtfestival und City of Peace präsentiert hatte: Neue Kompositionen für alte Brechtsongs, rhythmisch klar, durchsichtig arrangiert und instrumentiert. Nun liegen sie als CD vor – eine gesonderte Besprechung dazu folgt demnächst in der DAZ.