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Dienstag, 23.07.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Konflikt-Kulmination in der Brechtbühne

Frontex-Rösler durfte nicht sprechen – und Theater war, was es sein soll

Von Frank Heindl

Gerade noch hatte man an diesem sonnigen Freitagnachmittag im „Weissen Lamm“ zusammengesessen und über Flüchtlingstheater gesprochen. Cornelia Lanz, Leiterin und Ideengeberin des Opernprojektes „Zaide“, das am kommenden Donnerstag in der Brechtbühne Premiere feiert, und der DAZ-Redakteur. Eine der Hauptdarstellerinnen, erfuhr man bei dieser Gelegenheit, ist seit Donnerstag ausgefallen – mitten in den Proben hatte sie erfahren, dass ihr Vater in Syrien erschossen worden war. Man redete darüber, wie Politik und Krieg sich erschreckend aktuell im Theater wiederfinden können, was Kunst tun kann, um Menschen zu helfen, zu sensibilisieren – und welche Strukturen es dafür braucht.

„Fuck Frontex“ – lautstarke Demonstranten haben in der Brechtbühne eine Diskussion mit Frontex-Chef Klaus Rösler verhindert.

„Fuck Frontex“ – lautstarke Demonstranten haben in der Brechtbühne eine Diskussion mit Frontex-Chef Klaus Rösler verhindert.


Die Unterhaltung war fesselnd, trotzdem brach man sie ab und eilte schnell nach drüben zur Brechtbühne, wo gerade auf Einladung des Augsburger Friedensbüros Klaus Rösler mit dem Publikum diskutieren sollte. Rösler ist operativer Direktor von Frontex – jener Organisation, die nicht nur Verbrecher, sondern auch Flüchtlinge von Europas Grenzen fernhalten soll. Jener Organisation, der viele Mitverantwortung geben am Tod von tausenden im Mittelmeer, jener Organisation, der Hans-Werner Kroesinger sein Doku-Theaterstück „FRONTex Security“ gewidmet hatte, das vor zwei Wochen im Großen Haus als Gastspiel gezeigt wurde.

Ein „Leichenberg“ vor der Brechtbühne

Wir kamen ein wenig zu spät: Eine große Gruppe von Aktivisten des Augsburger Kreativen-Netzwerks “Utopia Toolbox” hatte sich auf die Treppen zur Brechtbühne gelegt – wer hinein wollte zu Frontex/Rösler, musste, so schildern es Augenzeugen, über diesen Berg symbolischer „Leichen“ hinweg steigen. Ein provokativer Einfall mit einleuchtend theatralem Anteil: Der Weg zu Frontex führt nach Ansicht der Initiatoren über tote Migranten. Mit dem, was nun in der Brechtbühne los sei, erzählten einige Teilnehmer, könnten sie dagegen weniger anfangen.

SZ-Redakteur Tanjev Schulz und Frontex-Direktor Klaus Rösler mit besorgtem Security-Mann (Fotos: Frank Heindl).

SZ-Redakteur Tanjev Schulz und Frontex-Direktor Klaus Rösler mit besorgtem Security-Mann (Fotos: Frank Heindl).


Denn dort schrie gerade eine Gruppe um die Globalisierungskritiker vom autonomen Zentrum „Ganze Bäckerei“ nicht nur Rösler nieder, sondern auch die um Vermittlung und Redefreiheit bemühte Intendantin Juliane Votteler und die Leiterin des Friedensbüros Christiane Lembert-Dobler. Ein klein wenig Gespräch kam erst in Gang, als Rösler mit Moderator Tanjev Schulz von der Süddeutschen Zeitung hilflos hinter dem Bühnenvorhang verschwunden war. Man könne ja mit Rösler reden, riefen Demonstranten ins Publikum – aber nicht auf einem Friedensfest. Man wolle „staatstragendes Theater ausgerechnet in der Brechtbühne“ verhindern, meinten andere. Man habe damit gerechnet, dass es zu Protestaktionen kommen könne, entgegnete Lembert-Dobler. Rösler nicht reden zu lassen, sei „natürlich auch ein Statement.“ Das Angebot sei allerdings anders gemeint gewesen – „wir sind damit nicht durchgekommen.“ Aus dem Publikum ernteten die Protestierer harsche Kritik: „Ignorant und besserwisserisch“ führten sie sich auf. Die Antwort eines der Gemeinten: Wenn tausende von Menschen im Mittelmeer „ersaufen“, dann sei es „einfach lächerlich“ mit einer „Sozialpädagogen-Schmonzette“ wie der nun abgebrochenen Diskussion zu reagieren.

Draußen erregte Diskussionen…

Draußen vorm Theater anschließend teils heftige Diskussionen zwischen Demonstranten, Publikum, Veranstaltern, Politikern – und dabei auch einiges Verständnis für die Verhinderungsstrategie der autonomen Gruppe. Rösler als Symbol einer in ihren Auswirkungen mörderischen Grenzsicherungsstrategie der EU, Rösler als einer der Verantwortlichen innerhalb einer undurchsichtigen Struktur, die Verantwortlichkeiten schwer fassbar macht und vertuscht, Rösler als administrativer Vertreter einer Gruppe von Machern, die sich darauf herausreden, sie erfüllten nur politische Vorgaben – viele Aspekte, die man aber doch besser eben jenem Rösler vorhalten hätte können, anstatt ihn zu verjagen und dann untereinander zu diskutieren. Reiner Erben von den Augsburger Grünen hätte „jetzt lieber da drinnen diskutiert“, schließlich repräsentiere Rösler einen Apparat, der von anderen politisch Verantwortlichen eingesetzt sei – „und diese Verantwortlichen sind gewählt worden.“

„FRONTex“-Regisseur Hans-Werner Kroesinger hatte in der monatelangen Recherche zu seinem Stück übrigens keinen Kontakt mit Klaus Rösler. „Unsere Anfragen sind vor zwei Jahren nie beantwortet worden“, berichtet er der DAZ später am Telefon. „Jetzt ist er plötzlich gesprächsbereit. Diese Diskussionsverhinderung war eine dumme Aktion – man hätte sehen können, wie er argumentiert, wie er reagiert, dafür wäre dieser Dialog nützlich gewesen.“

… und das Theater mittendrin

Ein anderer Aspekt, mitten im politischen Leben der Stadt: Nicht nur Kroesinger hebt hervor, dass die Gelegenheit für solche Auseinandersetzungen, selbst wenn sie scheitern, nur eine Institution optimal schaffen könne – „das Theater als geschützter Raum.“ Man durfte bass erstaunt sein, wie da an einem sonnig-harmlosen Nachmittag mitten in Augsburg ganz grundverschiedene Konflikte kulminierten und ihren Brennpunkt im Theater fanden. Eine freie Theatertruppe, die hier den Ort und die Strukturen findet, um mit Betroffenen ein brisantes Stück im Gewand traditioneller Oper auf die Beine zu stellen. Ein Friedensbüro, das eine höchst kontroverse und höchst politische Veranstaltung riskiert und damit auf die Nase fällt. Ein Publikum, das mitten auf der Straße erregt einen ungeplanten Theaterevent diskutiert. Ein Regisseur, der endlich auf einen Protagonisten seines Stücks trifft, aber nicht mit diesem diskutieren kann. Manchmal ist Theater am spannendsten, wenn die Realität und das Ungeplante unvermittelt hineinplatzen. Irgendwie doch gut, wenn man solch einen Ort hat, mitten drin in der Stadt.

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In einer früheren Version des Artikels wurde berichtet, eine große Gruppe um die Mitarbeiter des Flüchtlingsprojekts Grand Hotel Cosmopolis hätte sich auf die Treppen zur Brechtbühne gelegt. Tatsächlich war dies aber eine Aktion des Netzwerkprojekts “Utopia Toolbox”.

» Utopia Toolbox, nicht Grandhotel