DAZ - Unabhängige Internetzeitung für Politik und Kultur
Samstag, 20.04.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

„Ich werde nicht in Berufung gehen“

Augsburgs Ordnungsreferent Volker Ullrich im DAZ-Interview

Seit einem Jahr Ordnungsreferent der Stadt Augsburg: Dr. Volker Ullrich

Seit einem Jahr Ordnungsreferent der Stadt Augsburg: Dr. Volker Ullrich


Dr. Volker Ullrich, Jahrgang 75, hat Mitte der Neunziger in Augsburg Jura und BWL studiert und war viele Jahre Vorsitzender der Jungen Union in Augsburg. Seit 2002 sitzt Ullrich für die CSU im Augsburger Stadtrat. Anfang 2009 stand er vor dem Rauswurf aus der CSU-Fraktion. Ullrich ging damals als einfacher Stadtrat und Vorsitzender der Jungen Union ungeachtet der Parteilinie gegen das so genannte „Dönerverbot“ und den damaligen CSU-Ordnungsreferenten Walter Böhm vor. Seit April 2011 ist Ullrich selbst Ordnungsreferent und gehört heute zu den führenden und einflussreichen Köpfen der Augsburger CSU. Ullrich hat in seinem bisherigen Wirken als Ordnungsreferent einen sehr kompetenten Eindruck hinterlassen. Dabei liegt er nach Auffassung der DAZ in Sachen Sperrzeitverlängerung falsch. Ullrich würde sich wohl eher die Haut abziehen lassen, als eine Sperrzeitverlängerung in Augsburg einzuführen. Dies könne in einer modernen Großstadt nur die Ultima Ratio sein, so Ullrich im DAZ-Interview. Seit Anfang Mai muss sich Dr. Volker Ullrich mit einem Urteil des Augsburger Verwaltungsgerichtes herumschlagen, das der Stadt die Erwägung einer Sperrzeitverlängerung nahelegt.

DAZ: Herr Ullrich, im Sinne der Maxstraßenanwohner hat am 25. Januar 2010 der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (VGH) eine städtische Verordnung gestoppt: das sogenannte „Dönerverbot“. „Unsere Maßnahmen werden vom VGH als zu schwach angesehen, um einen angemessenen Anliegerschutz zu erreichen”, so Kurt Gribls Kommentierung damals zu dem Urteil. Die Anlieger haben anschließend vor dem Verwaltungsgericht in Augsburg geklagt und Recht bekommen. Geist des Urteils: Die Stadt muss im Sinne der Anwohner handeln und soll dabei auf die Sperrzeitverlängerung zurückgreifen. Stimmen Sie mir bei der Auslegung des Urteils zu?

Ullrich: Nicht ganz. Das Verwaltungsgericht hat geurteilt, dass die Stadt weitere Maßnahmen des aktiven Schallschutzes einschließlich einer Sperrzeitverlängerung binnen sechs Monaten zu prüfen hat. Dies bedeutet nicht, dass es deswegen zwingend zu einer Sperrzeitverlängerung kommen wird. Im Gegenteil: Wenn die Stadt durch weitere Maßnahmen erreichen kann, dass diese zur Beruhigung der Situation beitragen, dann wird auch zukünftig eine Sperrzeit nicht in Frage kommen. Und glauben Sie mir: Ich bin optimistisch, dass es auch zukünftig keine Sperrzeit in Augsburg geben wird.

DAZ: Warum wollen Sie dann in Berufung gehen?

Ullrich: Zunächst ist mir wichtig, deutlich zu machen, dass ich dieses Urteil ernst nehme und unabhängig von der Berufung sehr zeitnah in Abstimmung mit den im Stadtrat vertretenen Fraktionen, der Gastronomie und den Anwohnern weitere Maßnahmen vorschlagen werde.

DAZ: Welche?

Maximilianstraße bei Nacht – Foto: Kleeblatt-Film

Ullrich: Ich werde eine Arbeitsgruppe mit Vertretern der Fraktionen einberufen und noch einmal in Form eines Runden Tisches Anwohner, Gastronomen, Gäste der Straße und Polizei um ihre Meinungen und Lösungsansätze bitten. Schon im Juli, also nach 2 Monaten, möchte ich ein weiteres Maßnahmenpaket dem Stadtrat zur Abstimmung vorlegen. Ich kann mir gut vorstellen, ohne den Beratungen vorweg zu greifen, dass wir städtischerseits die Überwachung noch einmal intensivieren, über verkehrliche Maßnahmen, insbesondere im Parkbereich nachdenken und noch einmal das Thema Verschmutzung stärker angehen.

DAZ: Die Frage bleibt. Warum wollen Sie in Berufung gehen?

Ullrich: Ich werde nicht in Berufung gehen. Das ist das Ergebnis des Abstimmungsprozesses mit den Fraktionen. Ich habe die Fraktionen in den Entscheidungsfindungsprozess einbezogen, weil es mir wichtig war, die Frage der Berufung nicht allein juristisch, sondern auch politisch zu beurteilen. Als Ergebnis des Stimmungsbildes aus den Fraktionen werde ich von einer möglichen Berufung Abstand nehmen.

„Von welcher Maxstraße sprechen Sie?“

DAZ: Unabhängig davon, dass Ihnen der Stadtrat auch ohne „Abstimmung“, wie Sie sagen, nicht folgen würde, muss ich Ihnen vorhalten – und allen anderen Parteien im Stadtrat – dass ich keinen ernsthaften politischen Willen erkennen kann, die vorrangig niederschwellige Maxstraßen-Gastronomie, die das armselige Partygedöns und den enthemmten Alkoholkonsum professionell vorantreibt, zu zerschlagen. Darum geht es doch. Sie hätten als Ordnungsreferent jede Menge Werkzeuge in der Hand, um die Maxstraße von ihrem Partymob zu befreien. Warum geschieht das nicht, zumal die Maxstraße städtebaulich und verkehrlich in einem Sanierungsprozess steckt?

Ullrich: Von welcher Maxstraße sprechen Sie? Die Straße steht schon länger nicht mehr nur für eine enthemmte Partyszene oder Alkoholexzesse wie Sie sie beschreiben. Im Gegenteil: In den letzten Jahren hat sich die gehobene Gastronomie in der Straße deutlich entwickelt und die Stadt unterstützt diesen Prozess durch den städtebaulichen Umbau der Straße, den Stopp für neue Vergnügungsstätten und einer intensiven Kontrolltätigkeit, zu der in jüngster Zeit auch noch Fußstreifen der Polizei gehören. Zudem sei darauf hingewiesen, dass sich die große Anzahl der Gäste gesittet und friedlich benimmt. Eine Sippenhaft aller für das Fehlverhalten einzelner ist nicht angebracht. Das gilt für Gastronomen wie auch für Besucher.

DAZ: Ich mache das aber, und zwar deshalb, weil ich selbst manchmal dort unterwegs bin und es grauenvoll finde. Sie müssen nur mal Samstag nachts so ab 22 Uhr mit einem Regionalzug von wo auch immer kommend nach Augsburg fahren. Die Züge sind voll mit jugendlichen Erwachsenen, mit Schnapsflaschen in Händen, um vorzuglühen. Das Bermuda-Dreieck in der Maxstraße ist deren Ziel und morgens geht es mit dem ersten Zug wieder nach Hause. Mit einer gelenkten Sperrzeitregelung könnte man diesen irrwitzigen Amüsier- und Alkohol-Tourismus abstellen. Wenn man es denn nur wollte. Sie wollen aber offensichtlich nicht!

„Das Vorglühen ist ein großes Problem“

"Wer in Augsburg friedlich feiern möchte, ist herzlich willkommen, egal ob jung oder alt."

"Wer in Augsburg friedlich feiern möchte, ist herzlich willkommen, egal ob jung oder alt."


Ullrich: Das Vorglühen ist in der Tat ein großes Problem, welches aber nicht mit einer Sperrzeit zu lösen ist. Die Ansätze liegen hier größtenteils außerhalb des Ordnungsrechts, wenngleich wir durch flankierende Maßnahmen wie ein Abverkaufsverbot von harten Alkoholika ab 20 Uhr an Tankstellen unseren Beitrag zur Bekämpfung von Vorglüh- oder Nachglüheffekten leisten. Es ist auch nicht Aufgabe des Ordnungsrechts, Gäste aus Augsburg fernzuhalten. Die Devise gilt: Wer in Augsburg friedlich feiern möchte, ist herzlich willkommen, egal ob jung oder alt. Im Übrigen ist es mir bei dieser Gelegenheit wichtig, darauf hinzuweisen, dass die Stadt das bestehende gaststättenrechtliche Instrumentarium konsequent anwendet und ausschöpft, um Gastronomen, die sich nicht an die Regeln halten, in die Schranken zu weisen. Dazu gehört die Kontrolle der Personenbeschränkungen in den Lokalen, der Abverkauf von Alkohol an erkennbar Angetrunkene oder auch die Kontrolle von Jugendschutzbestimmungen. Zudem kontrollieren wir die Abverkaufsbeschränkungen von Alkohol nachts an Tankstellen sowie den Außerhausverkauf von Alkohol in der Gastronomie. Wir setzen also schon jetzt deutliche Akzente gegen Komasaufen. Das Gaststättenrecht gibt uns aber keine Handhabe, um den Gastronomen bestimmte Betriebskonzepte vorzuschreiben. Wer sich als Gastronom an die Regeln hält, der kann selbst entscheiden, ob er eine gediegene Jazzbar oder eine Studentenkneipe, einen Nobel-Italiener oder einen Imbiss betreiben möchte. Das regelt der Markt durch die Gäste selbst.

DAZ: Herr Ullrich, mit Verlaub. Würden Sie den Ausschank an erkennbar Betrunkene konsequent kontrollieren, wären in der Maxstraße im Handumdrehen fünf Kneipen dicht. Die Stadt Augsburg hat sich, wie ich finde, nicht jedem Jugendwahn und Markt-Trend zu unterwerfen. Jetzt gibt es ein Urteil, das die Stadt zum Handeln auffordert und der zuständige Referent will, pardon: wollte, in Berufung gehen. Das wäre politisch ein verheerendes Signal. So ähnlich hat das am Mittwoch Regina Stuber-Schneider (FW) im Allgemeinen Ausschuss gesagt, als Sie noch in Berufung gehen wollten. Ich stimme dem mit voller Überzeugung zu und gehe sogar noch einen Schritt weiter: Wenn die Stadtregierung dieses Problem nicht zu lösen in der Lage ist und meint, sie müsste nach einem „Interessenausgleich“ suchen, wie es politisch gerne dargestellt wird, dann sollte der Wähler reagieren. Über die Maxstraße verliert und gewinnt man Wahlen und nicht über das Postulat, dass eine Sperrzeitverlängerung nicht zum Lebensgefühl dieser Stadt gehört. Zum Lebensgefühl dieser Stadt sollte es gehören, dass man sich zum Beispiel ab 1 Uhr auf der Maxstraße aufhalten kann, ohne ständig in volltrunkene Fratzen blicken zu müssen und zusehen muss, dass man nicht in Erbrochenes oder Urin-Pfützen tritt. Sagen Sie uns, was Sie konkret dagegen unternehmen wollen!

„Die große Masse der Feiernden verhält sich friedlich“

Ullrich: Die Abgabe von Alkohol an erkennbar Betrunkene wird schon jetzt durch die Ordnungsbehörde kontrolliert und Verstöße dagegen werden konsequent geahndet. Diese Kontrollen müssen wir aber mit dem bestehenden Personal bewerkstelligen, welches verständlicherweise nicht überall sein kann. Die Kontrollen können intensiviert werden, wenn der Stadtrat die entsprechenden Stellen und Mittel befürwortet, was sicherlich Teil des zukünftigen Maßnahmenkataloges sein kann. Ihre Zustandsbeschreibung halte ich für schlichtweg übertrieben. Die Debatte kann nicht sachlich geführt werden, wenn der Eindruck erweckt wird, die Straße sei ständig übersät von Urin-Pfützen, Erbrochenem oder es herrschten hier gar „bürgerkriegsähnliche Zustände“. Es gibt Entwicklungen, die uns Sorge bereiten, das ist keine Frage, aber die große Masse der Feiernden verhält sich friedlich.

DAZ: Von „bürgerkriegsähnlichen Zuständen“ war jetzt nicht die Rede. Mich halten bereits nicht-agressive volltrunkene Menschen davon ab, die Maxstraße am späten Abend genießen zu können. Meines Wissens liegen auch Zahlen vor, Statistiken der Polizei, die besagen, dass Gewaltdelikte und Gesetzesverstöße in der Innenstadt nicht abnehmen und in der Häufigkeit ein Problem darstellen. Stimmt das so nicht?

Ullrich: Zugegeben ist, dass Anwohner und Ordnungskräfte mit unschönen Szenen und Hinterlassenschaften zu kämpfen haben. Besorgniserregender ist jedoch: Die Anzahl der Gewaltdelikte ist gestiegen und der Respekt vor der Polizei und dem Ordnungsdienst ist rapide gesunken. Da gibt es nichts zu beschönigen. Das ist auch für mich sehr alarmierend. Gegen diese Exzesse, insbesondere die verheerenden Auswirkungen von Alkohol, kämpfen wir insbesondere durch die verstärkte Präsenz der Polizei. Dennoch ist die Maxstraße mehr als eine Ansammlung “volltrunkener Fratzen”. Gegen diese Verallgemeinerung wehre ich mich. Die Maxstraße ist urbanes Zentrum einer aufstrebenden Studentenstadt. Als solche soll sie Lebensraum für eine moderne und lebendige Stadtgesellschaft sein.

DAZ: Sorry, da muss ich dazwischen: Von welcher Maximilianstraße sprechen Sie jetzt? Ich spreche von der ab Mitternacht.

„Wir wollen keine Stadt bleiben, in der alle Studenten heim zur Mutti fahren“

Ullrich: Ich spreche vom Kern einer Großstadt mit über 270.000 Einwohnern. Ordnungspolitik in einer Großstadt erfordert nach meiner Auffassung einen Balanceakt zwischen großstädtischem Lebensgefühl und notwendigen restriktiven Maßnahmen. Für mich bedeutet das, eine attraktive Innenstadt dadurch zu fördern, dass wir diejenigen bestrafen und ausgrenzen, die sich nicht an die Regeln halten. Neben den oben beschriebenen Maßnahmen gehört dazu noch das Hausverbot für Störer, Betretungsverbote nach dem LStVG für den Bereich der Maximilian- und Ludwigstraße, verstärkte Präsenz von Polizei und Ordnungsdienst sowie möglicherweise konzertierte Aktionen der Gastwirte, nicht nur die Straße, sondern auch Hauseingänge von unschönen Hinterlassenschaften zu säubern. Im Gegenzug gilt es aber auch zu akzeptieren, dass eine Stadt wie Augsburg keine Sperrzeit von 1 Uhr oder 2 Uhr nachts im gesamten Innenstadtbereich einführen kann.

DAZ: Tut mir leid, dem kann ich nicht folgen. Regensburg kann es. Bamberg und Erlangen, alles Studentenstädte mit „richtigen“ Studenten, während die Augsburger Jura- und BWL-Studenten in großer Zahl am Wochenende heim zur Mutti fahren. Nochmal: Warum kann man in Augsburg keine Sperrzeitregelung wie in Regensburg einführen?

Ullrich: Weil wir keine Stadt bleiben wollen, in der die Studenten alle heim zu Mutti fahren. Und richtige Studenten gibt es in Augsburg mittlerweile auch! Im Übrigen sollten bedeutend kleinere Städte nicht der Maßstab für Augsburg sein. Wir wollen eine Stadt, welche für junge Menschen attraktiv ist und ein großstädtisches, qualitativ hochwertiges Angebot bietet und damit Ausstrahlungswirkung hat. Eine Sperrzeit kann nur Ultima Ratio sein, wenn es aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung unabänderlich nicht mehr anders geht. Die Sperrzeit ist kein taugliches Mittel, um Menschen umzuerziehen oder ihnen ein bestimmtes Fortgehverhalten aufzuzwingen. Der bayerische Gesetzgeber hat geregelt, dass es grundsätzlich keine Sperrzeit gibt. Eine Sperrzeit ist als Eingriff nur dann zulässig, wenn mildere Mittel nicht ersichtlich sind. Ich bin aber überzeugt, dass wir mit dem begonnen Weg und weiteren Maßnahmen keine Sperrzeit brauchen, um die Situation insgesamt gut in den Griff zu bekommen.

DAZ: Ein Wort, das wir schon öfters gehört haben, weshalb sich die DAZ schwer tut, daran zu glauben. Wir wünschen Ihnen dabei ein gutes Gelingen. Herr Ullrich, vielen Dank für das Gespräch.

—————

Fragen: Siegfried Zagler