GESELLSCHAFT
Ein neues Lesebuch für Städtebewohner
“Warum sehe ich den Radwechsel mit Ungeduld?”, so könnte das Motto eines neuen Talkformats heißen, das am vergangenen Sonntag Premiere hatte.
Wer differenziert und ohne eigene Interessen spricht, ist auf der Suche nach einer Erzählung, die der Wahrheit nahe kommt. Er schreibt mit seiner Stimme ein Lesebuch für die Unzufriedenen, die deshalb unzufrieden sind, weil sie den Mut haben ihren eigenen Verstand zu gebrauchen. Der Buchhändler Kurt Idrizovic hat zur Augsburger Kommunalwahl 2020 ein neues Format entwickelt, das über die Metaebenen der politischen Kommentatoren in die Themen einführen soll, die über die Parteien nur verkürzt zur Sprache kommen – und über den politisch eingeschlafenen Augsburger Presseclub gar nicht.
Einen ersten intellektuellen Blick in die Polit-Glaskugel wagten beim „Brecht-Brunch zur Kommunalwahl 2020“ in Brecht’s Bistro – es folgen noch zwei am 26. Januar und 1. März um 11 Uhr – die Topakteure der Medien-Szene: Nicole Prestle, Lokalchefin der Augsburger Allgemeinen, Wolfgang Bublies, Chefredakteur des Augsburg-Journals und der Neuen Sonntagspresse sowie Jürgen Kannler, Herausgeber von a3-kultur.
Wohl dem kulturaffinen Publikum geschuldet, drehten sich die ersten, von Andrea Horn (a.tv HD) und Kurt Idrizovic (Buchhandlung am Obstmarkt) moderierten Gesprächstakte um das Staatstheater am Kennedyplatz samt Außenstellen. OB-Kandidat Dirk Wurm (SPD) hatte in Anbetracht einer vermuteten Theater-Kostenexplosion für Diskussionsstoff gesorgt. „Das polarisiert jetzt“ meinte Prestle. Dass es in der Gerüchteküche überhaupt brodelt und wahrlich nicht alles „Friede, Freude, Eierkuchen“ ist, merkte Wolfgang Bublies an, und Jürgen Kannler beantwortete die Frage, wann denn die „heiße Wahlkampfphase“ beginne, mit traumwandlerischer Sicherheit: „nach Heiligdreikönig“.
Auf dem Podium ging’s aber schon vor der Ankunft der Könige ums Wahlkampfmanagement der vielen OB-Kandidaten und im Speziellen um die OB-Kandidatin Nr.1, um Eva Weber. Die müsse mit der Bürde „Finanzen“ zurechtkommen, was für Brecht-Interpretin Christel Peschke einen perfekten Übergang bildete. Sie trug Bert Brechts „Politische Betrachtungen“ und sein Gedicht „Auf der Kahnfahrt fahren“ vor. In dem sinnt Brecht nämlich nach über: „Kahnfahren, wenn man bis über den Hals verschuldet ist“.
Dass sich der oder die Neue an Augsburgs Stadtspitze, erst eine „Regierung basteln“ müsse, auf diese schwierige Aufgabe verwies Wolfgang Bublies und ebenso auf die Frage, ob denn im Fokus eher die Partei oder Persönlichkeiten wie WWW = Weber, Wurm, Wild stünden. Zurück zum Blick in die Glaskugel, denn nicht nur die Theatersanierung zeigt sich darin verschwommen, auch der Bahnhofsumbau, die Verkehrspolitik (Prestle), die Wohnungsnot, der Fachkräftemangel (Bublies) und vieles mehr.
Auf die Schlussfrage, wo sich denn die Diskutanten am wohlsten fühlten, antwortete Nicole Prestle „auf dem Yogatuch“, Wolfgang Bublies mit „in der Stadt und auf der Maximilianstraße“ während Jürgen Kannler sich hier zur „Kahnfahrt“ bekannte. sysch