Der Streit ums Friedensfest birgt eine große Chance
Das Referat der Augsburger Oberbürgermeisterin hat eine Beschlussvorlage erstellt und veröffentlicht, der zufolge eine „partizipative konzeptionelle Weiterentwicklung“ des Augsburger Friedensfestes angestrebt wird. Der Geist ist damit aus der Flasche und manche Personen sind davon nicht begeistert. Es ist selbstverständlich auch schwierig, von Worten inspiriert zu werden, die in vollkommener Ermangelung von Wertschätzung daherkommen und das städtische Friedensbüro „weiterentwickeln“ wollen, ohne es an dieser Stelle für vergangene Leistungen angemessen zu würdigen. Dennoch kann ein Überdenken des Konzepts „Friedensfest“ als Chance begriffen werden.
Kommentar von Bernhard Schiller
Damit die in der Beschlussvorlage so bezeichnete „Weiterentwicklung“ des Friedensfestes als Chance wahrgenommen werden kann, sind freilich hinreichende Bedingungen zu schaffen. Das soll hier in drei Punkten geschehen, die die selbsternannte „Friedensstadt“ in ein anderes Licht rücken:
Der Religionsfrieden ist ein Frieden der beiden großen Konfessionen – nicht der Religionen
Erstens: Der Religionsfrieden war nach heutiger Sprechweise kein Frieden der Religionen, sondern der beiden großen Konfessionen. Der Reichsabschied mit der Formel „cuius regio, eius religio“ („wessen Land, dessen Religion“) aus dem Augsburger Reichsabschied von 1555 atmet noch den Geist des katholischen Kaisers Karl V., der die protestantische Konfession des Augsburger Bekenntnisses gerne zugunsten der katholischen Religion zurückgedrängt hätte, sich jedoch den realpolitischen Umständen seiner Zeit anpassen und dem Protestantismus Zugeständnisse machen musste. Die durch die Formel zum Ausdruck gebrachte Parität bedeutete de facto keinen Frieden für alle anderen Konfessionen und Religionen, die – weder katholisch noch protestantisch – davon ausgeschlossen und neuer Diskriminierung ausgesetzt waren.
Der Ursprung des Religionsfriedens liegt nicht in Augsburg
Zweitens haben der sogenannte Augsburger Religionsfrieden und die Augsburger Parität ihre Ursprünge nicht in Augsburg. Tatsächlich wurde der Grundstein für den Augsburger Religionsfrieden von 1555 bereits drei Jahre vorher in Passau gelegt, als sich die protestantischen und katholischen Konfliktparteien zur Beendigung des Fürstenaufstandes im Passauer Vertrag auf den Kompromiss „cuius regio, eius religio“ einigten, der dann auf dem Augsburger Reichstag von Karl V. nur noch reichsrechtlich bestätigt wurde. Bekanntermaßen folgte auf den Augsburger Reichs- und Religionsfrieden der Dreißigjährige Krieg und das Ende der relativen Religionsfreiheit zum Nachteil der Protestanten. Erst mit dem Friedensschluss im Jahr 1648, der den Dreißigjährigen Krieg beendete, wurde die Parität zwischen Protestanten und Katholiken wiederhergestellt, was die evangelischen Augsburger am 08. August 1650 erstmals mit einem mono-konfessionellen „Friedensfest“ feierten. Allerdings wurde der Frieden von 1648 nicht hier, sondern in den beiden westfälischen Städten Münster und Osnabrück geschlossen. Augsburg war zwar wiederkehrender prominenter Austragungsort von Konflikten und Reichstagen, die bahnbrechenden Entscheidungen jedoch kamen nicht zwischen Lech und Wertach, sondern an Hase, Donau und Inn zustande. Die Rathäuser von Münster und Osnabrück tragen deshalb seit 2015 auch das Europäische Kulturerbe-Siegel der EU-Kommission. Das Augsburger Rathaus nicht.
Rechtsstaatlichkeit statt Religionsfrieden
Drittens: Zwar dienten die eben genannten Vertragswerke zunächst zur Befriedung konfessioneller Konflikte. Tatsächlich wurde der Religionsfrieden nun aber an die implizite Idee eines Landfriedens geknüpft und religiöse Konflikte wurden demzufolge der weltlichen Obrigkeit unterworfen. Auch führte die neue Regelung zur (vorübergehenden) Verdrängung der Idee des universalen christlichen Kaisertums und der Reichsidee. Womit abgeleitet werden kann, dass die wesentliche Auswirkung des Augsburger Religionsfriedens gar nicht so sehr in seiner religiösen, sondern vielmehr in seiner rechtsstaatlichen Dimension zu finden ist, die so viel pragmatischer ist als das hohe Ideal vom gerechten Frieden. Da die Konfessionen keinen Frieden herstellen konnte, fiel und fällt diese Aufgabe der staatlichen Gewalt zu.
Der Versuch, für Augsburg ein Alleinstellungsmerkmal zu konstruieren, führt zu Zwietracht
Die Stadt Augsburg meint nicht erst seit ein paar Jahren, sondern seit Jahrzehnten, sie sei eine Stadt des Friedens und habe damit ein Aushängeschild höchster Güte gepachtet. Dass das Unsinn ist, dürfte nun klar sein. Die Bedeutung der Stadt als Bestandteil eines in sich verflochtenen Systems, das Rom und Wittenberg, Passau und Osnabrück, Memmingen und Philadelphia und eben auch die Schwabenmetropole über die zeitlichen, politischen und weltanschaulichen Grenzen hinweg verbindet, braucht deshalb nicht vernachlässigt zu werden. Die Jahre unter dem Label „Friedensstadt“, haben jedoch gezeigt, dass der Versuch, ein Alleinstellungsmerkmal zu konstruieren wiederholt zu Zwietracht vor allem zwischen denjenigen führt, die die Deutungshoheit über das Gefeierte beanspruchen. Ob nun von Amts wegen, aus Gründen der Konfession, der Tradition, der Parteizugehörigkeit, des Kulturverständnisses oder auch der sozialpolitischen Aktion, das ist ganz gleich. Nichts bringt so sehr gegeneinander auf, wie der Versuch, beim Frieden eine einheitliche Sprache zu sprechen. Der Angriff auf den Intellekt, wie er aus der Beschlussvorlage aus dem OB-Referat interpretiert werden kann, ist deshalb brandgefährlich. Der Text aus dem Hause Weber ist aber vor allem kryptisch. Wer sind denn die „bestimmten Gruppierungen“, die sich angeblich im Friedensfest nicht wiederfinden? Was soll es denn heißen, dass Friedensarbeit in der Stadtgesellschaft „auf intellektuellem Niveau allein nicht zu gewährleisten ist“? Ja, wie denn sonst? Soll hier etwa ein breiter Konsens zum Friedensfest erzielt werden durch den Verzicht auf Geist? Will man also das Friedenfest mit den Sommernächten verschmelzen? Cuius marketing, eius religio?
Das Friedensfest wird von Kulturkämpfen und antiintellektuellen Märchenerzählungen durchzogen
Der Verfasserin der Beschlussvorlage darf unterstellt werden, dass solches nicht gemeint ist und es sich vielmehr um eine Vorlage der reinen Andeutungen handelt, die nicht den Geist an sich zum Angriffsziel nehmen, sondern ganz bestimmte intellektuelle Ausrichtungen. Womit – der Kreis schließt sich – erneut gezeigt wäre, dass das Friedensfest unterirdisch nach wie vor von Kulturkämpfen durchzogen wird. Statt nach einer Auflösung dieser Konflikte zu streben, sollten selbige als fruchtbares Rhizom verstanden werden, welches wachsen und gedeihen könnte zugunsten eines Selbstverständnisses der Stadt in einem Netzwerk von Friedensstädten, das ohne kritikwürdige Marketingkampagnen und anti-intellektuelle Märchenerzählungen auskommt. Die partizipative Revision des Friedensfestes und der „Friedensstadt“ kann dafür ein Anfang sein.