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Dienstag, 23.07.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Container-Schauspiel: Dramaturgie hausgemacht

Im Oktober 2010 sollte er als Ersatz für die Komödie zur Verfügung stehen: der Schauspielcontainer beim Großen Haus. Inzwischen spricht man von Mai 2012 – im günstigsten Fall. Als “Tragikomödie mit grotesken Zügen” bezeichnet Schauspieldirektor Markus Trabusch die schlingernde Beschaffungsmaßnahme. Dabei trägt die Theaterleitung weit mehr Verantwortung, als deren jüngste Schuldzuweisungen an die Politik vermuten lassen.

Von Bruno Stubenrauch

Nicht beauftragt: Züblin-Planung 2009 als Mietmodell (Grafik: DAZ)

Nicht beauftragt: Züblin-Planung 2009 als Mietmodell (Grafik: DAZ)


Das Theater Augsburg ist ein selbständig agierender städtischer Eigenbetrieb. Das operative Geschäft liegt in Händen der zweiköpfigen Werkleitung, bestehend aus Intendantin Juliane Votteler und dem Kaufmännischen Direktor Steffen Rohr. In der Betriebssatzung des Theaters sind die weit reichenden Kompetenzen der Werkleitung klar abgesteckt: Sie ist für die Erfüllung des künstlerischen Auftrags und die wirtschaftliche Führung des Theaters verantwortlich, fällt die Entscheidungen über eigene Angelegenheiten und führt die laufenden Geschäfte. Der Stadtrat tritt nur bei größeren Investitionen auf den Plan. So muss er beispielsweise Beschaffungsmaßnahmen des Theaters beschließen, die eine Summe von 200.000 Euro übersteigen.

Städtische Fachdienststellen kommen nur am Rande ins Spiel, nämlich dann, wenn sie von der Werkleitung explizit “mit der Bearbeitung einschlägiger Geschäftsvorfälle” betraut werden. Auch der Kulturreferent hat laut Betriebssatzung lediglich eine Nebenrolle: Er nimmt an den Sitzungen des Werkausschusses “mit beratender Stimme” teil und hat ansonsten nur das Recht, informiert zu werden. Im Gegenzug hat die Werkleitung eine umfassende und rechtzeitige Berichtspflicht.

Intendanz auf Einkaufstour

In Sachen Container knüpfte die Theaterleitung bereits im Herbst 2009 erste Bande zur Münchner Niederlassung der Firma Züblin, wogegen – angesichts der umfassenden Zuständigkeiten der Werkleitung – nichts einzuwenden ist. Vater des Kontaktes: Jürgen Höfer, von September 2009 bis Juni 2010 Technischer Direktor des Stadttheaters Augsburg. Unter seiner Ägide als Künstlerischer Direktor bei Dieter Dorn am Bayerischen Staatsschauspiel hatte Züblin eine Probebühne für das Residenztheater München in Containerbauweise errichtet, als Mietmodell. Höfer, damals für das Staatsschauspiel federführend, beabsichtigte Gleiches nun für das Theater in Augsburg. Höfer war es auch, der Ende 2009 die im Werkausschuss sitzenden Stadträte durch die Anlage an der Schwere-Reiter-Straße in München führte und sie auf eine Stahlbaulösung “Marke Züblin” einstimmte.

Vom Start weg durch's Raster gefallen: konstruktive Alternativen wie der "MINI opera space" in München

Vom Start weg durchs Raster gefallen: konstruktive Alternativen wie der "MINI opera space" in München


Durch diese gedankliche Fixierung fielen allerdings alternative technische Lösungen vom Start weg durchs Raster. Lösungen, wie sie in Berlin mit der Temporären Kunsthalle, in Düsseldorf mit der temporären Spielstätte der Rheinoper und in München mit dem “MINI opera space” als Holzkonstruktionen für vergleichsweise kleines Geld realisiert wurden. Zum Vergleich: Das rund 300 Zuschauer fassende temporäre Opernhaus in München wurde für 2,1 Mio. Euro netto realisiert, die Kosten für den 260 Zuschauer fassenden Augsburger “Container” wurden vom Stadtrat auf 4,2 Mio. Euro brutto gedeckelt.

Die Ware war schon zurückgelegt

Die Verhandlungen zwischen Theater und Züblin waren Ende November 2009 so weit fortgeschritten, dass man von einem unterschriftsreifen Vertrag nur wenige Wochen entfernt war. So lagen bereits das Raumprogramm, Fachplanungen für die technische Gebäudeausrüstung und eine qualifizierte Kostenschätzung der Kalkulationsabteilung der Münchner Firma vor. Bei avisiertem Vertragsabschluss Ende 2009 hätte der Container laut Züblin in zehn Monaten, also bis zum Beginn der Spielzeit im Oktober 2010 stehen können.

Der Container im Wandel: Von der geradlinigen und schlanken Züblin-Kiste aus dem Grundsatzbeschluss …

Dass parallel dazu die vom Kulturreferat initiierte, seit Mitte 2008 laufende Grundlagenermittlung zum Theaterstandort Augsburg am 11. Dezember 2009 exakt diesen Containerentwurf als beste Lösung auswies, scheint Formsache gewesen zu sein. Im Zug dieser Grundlagenermittlung hatte das auf Theaterbau spezialisierte Hamburger Architekturbüro PFP sechs Alternativen für die zweite Theaterspielstätte zu vergleichen, darunter Objekte wie die Kälberhalle, das Gaswerk und das Offiziers-Casino auf dem Sheridangelände. Ergebnis: Der Container war die kostengünstigste Lösung und in der Bewertungsmatrix makelloser Sieger. Selbst den Züblin-Fertigstellungstermin Oktober 2010 hatte PFP in einen ehrgeizigen Bauzeitplan gegossen, um nachzuweisen, dass der Container terminlich die gesamte Konkurrenz schlägt. Er könne sich des Eindrucks nicht erwehren, “dass es sich um ein Gefälligkeitsgutachten handelt”, kommentierte Unternehmer Ignaz Walter – mit seiner Augustapassage im Rennen um die Gunst des Theaters unterlegen – das Ergebnis.

Einkaufsbummel gestoppt

Sieg zu makellos? Nur grüne Punkte für den Container (Bewertungsmatrix aus dem PFP-Gutachten)

Sieg zu makellos? Nur grüne Punkte für den Container (Bewertungsmatrix aus dem PFP-Gutachten)


Aus dem schnellen Vertragsschluss mit Züblin zum Jahreswechsel 2009/10 wurde allerdings nichts. Hinweise aus dem – vom Theater nicht eingeschalteten – Baureferat hatten inzwischen klargestellt, dass der Container ausgeschrieben werden muss. Mit einer Direktvergabe an Züblin “in dieser Form” stehe man “mit einem Bein im Gefängnis”, wird Baureferent Gerd Merkle zitiert. Am 20. Januar 2010 wurde deshalb das Theater vom Stadtrat mit einem Investitionszuschuss von 162.000 Euro ausgestattet und ermächtigt, in Bauherrenfunktion das Architekturbüro PFP und drei weitere Fachbüros mit der Entwurfsplanung und Funktionalausschreibung für den Container zu beauftragen.

Wie unrealistisch das von PFP in Zeitbalken gegossene Termin-Wunschkonzert der Theaterleitung war, zeigte sich wenig später. Die ersten sechs Wochen ließ das Theater selbst ungenutzt verstreichen: Der Auftrag an die Hamburger Theaterspezialisten wurde erst im März 2010 erteilt. Bei der Planung und Ausschreibung kam es zu weiteren Verzögerungen: In enger Abstimmung zwischen dem Theater als Bauherr und seinem willfährigen Dienstleister PFP als Planer wurde der Container zusehends unförmig. Seine Grundrissfläche begann um 40 Prozent zu wachsen – ähnlich wie später auch der Preis. Vor allem die Bereiche “hinter den Kulissen” blähten sich auf, während die Publikumsinteressen im Wortsinn ins “Hintertreffen” gerieten: Waren Eingang und Foyer ursprünglich sinnvoll an der Kasernstraße platziert, so streckte der Container in Version Zwei jetzt nur noch sein Hinterteil in Form der Probebühne dorthin. Der Zugang wanderte rund um den Block und soll jetzt umständlich über einen Häuserdurchgang vom Ottmarsgäßchen aus erfolgen. Rampe inbegriffen, denn die Nullebene des Containers wurde um über einen Meter angehoben. Der direkte Weg über den Hof wurde durch weitere steile Rampen verbaut.

Dass es in dieser Phase massiver Umplanungen nicht – wie beim Curt-Frenzel-Stadion – zum Aufschrei des Oberbürgermeisters “Wir haben keinen Rampencontainer bestellt” kam, zeigt deutlich die Lücken im Informationsfluss von der Werkleitung in Richtung Politik.

… zum mäandernden Moloch mit Hintereingang

(Grafiken: DAZ – zum Vergrößern anklicken)

Pannenausschreibung setzt Züblin-Konkurrenz matt

Trotz aller Umplanungen hielt das Gespann Theater/PFP offensichtlich weiter an den technischen Spezifikationen der ersten Züblin-Lösung fest und fixierte im Leistungsverzeichnis einen Stahlbau. Eine Funktionalausschreibung sollte eigentlich anders aussehen, wie später die Regierung von Schwaben monierte. Ausschreibungen dieser Art legen gewöhnlich nur die Funktion fest und ermöglichen einen Wettbewerb verschiedener Bauweisen. Mit der Festlegung auf Stahl blieben die Holzbauer erneut außen vor.

Als gravierendste Fehlentscheidung von Theater und PFP entpuppte sich allerdings das Festhalten an der 10-Monats-Vorgabe der ersten Containervariante. Schlimmer noch: Während die Firma Züblin seinerzeit die zehn Monate als reine Bauzeit angesetzt hatte, zweigte PFP vier Monate davon für Planung und Ausschreibung ab; den Firmen blieben für Angebotsbearbeitung und Bau nur noch 5,5 Monate übrig. Als besonders fatal erwies sich die Festlegung einer nur einmonatigen Kalkulationszeit für die acht Bewerber, die als Generalunternehmer ihrerseits auf Angebote von Nachunternehmern angewiesen waren. Und zu allem Übel lag nun, nach den hausgemachten Verzögerungen, die Angebotsfrist mit dem Abgabetermin 3. September 2010 genau in der Haupturlaubszeit, statt wie geplant im Mai.

Das Eingreifen der Bauverwaltung nach dem Hilferuf einiger Bieter kam zu spät. Zwar wurde der Termin um vier Wochen verlängert, die Bekanntgabe erfolgte aber erst eine Woche vor Ablauf der ursprünglichen Frist. Die meisten Firmen hatten da längst aufgegeben. Auch Architekt Eberhard Wunderle, der zusammen mit einem Stahlbauer ein Angebot vorlegen wollte, musste abwinken: “Wir haben uns trotz Urlaubszeit der Firmen und Kalkulationsabteilungen redlich bemüht, einen Preis zu finden – dies war jedoch trotz Terminverlängerung nicht möglich”.

… und Züblin ein weiteres Mal ganz vorn

Für die Konkurrenz nicht kalkulierbar: der ausgeschriebene Container

Für die Konkurrenz nicht kalkulierbar: der ausgeschriebene Container


Bezeichnenderweise hatte sich die Firma Züblin, die letztlich als einzige angeboten hat, nicht über den knappen Termin beschwert. Begünstigt durch die Vorgeschichte konnte man dort auf die ursprüngliche Kalkulation aus 2009 zurückgreifen, auch weil die Ausschreibung auf das eigene Produkt-Portfolio zugeschnitten war. “Züblin hat geboten, weil man das Projekt kannte”, so Jürgen Höfers Einschätzung gegenüber der DAZ. Ein Mitbewerber begründete dagegen seine Absage mit “Kalkulationsschwierigkeiten aufgrund der vorgegebenen sehr spezifischen Planung”.

Ob Züblin angesichts seines Wettbewerbsvorteils gepokert oder einfach realistisch angeboten hat, kann dahingestellt bleiben. Sicher ist aber, dass das Züblin-Angebot mit 5,9 Mio. den Kostendeckel von 4,2 Mio. und mit seinen – schon 2009 avisierten – zehn Monaten Bauzeit die extrem kurze Vorgabe der Ausschreibung von 13 Wochen um Längen sprengte. Dies hat das bislang im Theatersinn gut funktionierende Architekturbüro bereits früh erkannt und gewarnt, während die Theaterleitung schon Abstimmungsgespräche mit Züblin führte und noch im Februar 2011 auf die Vergabe und damit auf eine Eröffnung des Containers im November 2011 hoffte. “Gefühlt hatten wir den Schlüssel schon in der Hand”, äußerte sich Steffen Rohr Mitte Februar vor der Presse.

Theater gibt die Opferrolle

In den davor liegenden Monaten hatte es die Theaterleitung geschickt verstanden, Theaterfreunde und das eigene Ensemble zu mobilisieren und Druck in den politischen Gremien aufzubauen. Den Stadtrat hatte man medial wirksam als Schadensverursacher in künstlerischer und wirtschaftlicher Hinsicht ausgemacht, sollte der Vergabebeschluss misslingen. Eine in Teilen erfolgreiche Strategie: In “Spitzengesprächen” gelang es der solchermaßen mit dem Rücken an die Wand gestellten Stadtregierung, durch die Akquise einer Großspende der Stadtsparkasse im Dezember 2010 wenigstens das Kostenproblem des dicker gewordenen Containers zu lösen.

Auf das Stadttheater in der Opferrolle fiel nicht nur die Stadtregierung herein, sondern auch die Opposition. So analysierten die Grünen in der vergangenen Woche zwar messerscharf, dass es “an keiner Stelle durch den Stadtrat oder seine Ausschüsse eine Verzögerung oder gar Ablehnung des Containerprojekts” gegeben habe und der “Dauerzustand des Unzuverlässigen”, den das Theater beklage, “keineswegs vom Stadtrat herbeigeführt” worden sei. Trotzdem sucht die Grüne Fraktion bis dato die Verantwortlichen nicht im Theater, sondern im Kulturreferat.

Zur Lösung der vergaberechtlichen Probleme reichte es für die in Sack und Asche gehende – und in Sachen Container mittlerweile zu allem bereite – Stadtregierung allerdings nicht: Mental unbelastet stoppte die Regierung von Schwaben das Projekt – letztlich nur, weil die Baufirma eine realistische Bauzeit in ihr Angebot eingesetzt hatte. Eine conditio sine qua non, die der Theaterleitung seit Ende 2009 bekannt war und deren Nichtbeachtung – im Zusammenspiel mit räumlichen Begehrlichkeiten und frühen technischen Festlegungen – dazu führte, dass aus einer guten, schnellen und günstigen Lösung eine schlechte wurde: die zweitteuerste und langsamste.

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