André Bückers erstes Statement: eine klassische Themaverfehlung
Warum André Bückers erstes Statement ein Reinfall war
Kommentar von Siegfried Zagler
Welches Theater kann man vom künftigen Augsburger Theaterintendanten André Bücker erwarten? Das ist eine spannende wie offene Frage, der man wohl frühestens im Kulturausschuss im März nähertreten wird. Gestern ließ Bücker jedenfalls im Rahmen der wissenschaftlichen Vortragsreihe “Studium generale” (ein Gemeinschaftsprojekt von Universität und Volkshochschule) eine große Gelegenheit aus, seine Visionen und Vorstellungen zur Entwicklung des Augsburger Stadttheaters darzulegen.
Statt sich dem Thema “Widerstand” mit der gebotenen Tiefe zu widmen, erzählte Bücker den Besuchern des gut gefüllten Filmsaals im Augsburger Zeughaus Geschichten aus Halberstadt und Dessau. Die eigentliche Fragestellung umschiffte der kommende Augsburger Theaterchef jedoch mit den üblichen Schablonen der Beredsamkeit: Theater solle ein Ort der Kunst sein, aber auch ein Ort der Diskurse. “Ein Ort zwischen Rotary und Subkultur”, so André Bücker, der die “Kraft des Theaters” beschwor, ohne näher darauf einzugehen, wie und womit diese in Augsburg greifen könnte. Ein Theater müsse, so das nächste Klischee, für eine “Vielfalt ohne Beliebigkeit” stehen.
Bei Bückers Erzählungen ging es weniger um “Widerstand” im Sinne der Vortragsreihe, sondern um natürliche Reflexe der Identitätsbehauptung, die bei den Theatern merkwürdigerweise immer dann hochfahren, wenn der Souverän, also die klammen Städte und Länder, Kürzungen vornehmen. Die Gefechte zum Erhalt der Anhaltischen Theaterlandschaft, deren Zuschüsse von 36 Millionen auf 29 Millionen Euro gekürzt wurden, sollten das Thema des Abends werden. Drei Millionen Euro weniger waren für das Landestheater Dessau vorgesehen, dort stand Bücker damals als Generalintendant unter Vertrag. Zusammen mit Dessaus Bürgermeistermeister Klemens Koschig widersetzten sich Stadt und Theater diesen Plänen – “kreativ”, wie Bücker sagte, aber ohne Erfolg: Koschig wurde von den Dessauern als Bürgermeister abgewählt, Bückers Intendanten-Vertrag wurde nicht verlängert und das Budget des Dessauer Theaters wurde wie geplant um drei Millionen Euro gekürzt. Die Folge: Personalabbau und Gehaltskürzungen der Theatermitarbeiter. Unabhänigig davon ging es in Dessau “normal weiter”. Wie man am aktuellen Spielplan ablesen kann, existiert das Vierspartentheater noch, wenn auch unter dem Status “gefährdet”.
Was hätte man bei einem Vortrag dieser Art nicht alles wagen können, was nicht alles sagen, wenn es um Widerstand in der Kunst geht? Um ein Phänomen also, das jedem schöpferischen Akt innewohnt und zur Selbstverständlichkeit jeder Kunst gehören sollte, wie die Versuchung zum Paradies. Widerstand entsteht unter der Prämisse der Not und der Einsicht, dass die Welt besser werden muss. Die Ästhetik des Widerstands ist “mit Visionen von Alternativen verbunden und auf eine Neuausrichtung von Denken und Handeln ausgerichtet”, wie es die Veranstalter der Vortragsreihe formulierten.
Ein Theater, das von einer gesellschaftlichen Vision getrieben ist, muss sich hinsichtlich seiner gesellschaftlichen Notwendigkeit nicht hinterfragen lassen. Ein Theater, das kaum noch über die Eigentümlichkeit seiner Selbstreferenz hinauskommt, dagegen sehr. Bückers Vortrag kam nie über das Niveau der Selbstreferenz hinaus. Die Behauptung des Gemeinwohls, das mit der Notwendigkeit von speziellen Interessen in Verbindung steht, stand bei Bücker an erster Stelle. Eine klassische Themaverfehlung und ein weiteres Indiz dafür, dass die Bedeutungslosigkeit des Augsburger Theaters mit Händen zu greifen ist. Ein Blick ins Publikum genügte, um die Theaterkrise in Augsburg nicht weiter erklären zu müssen. Wenn man von Max Weinkamm absieht, war kein Stadtrat zugegen. Die Kulturbürgermeisterin a.D. Eva Leipprand sowie Ex-Stadtrat Siggi Schramm saßen im Publikum. Das war es schon mit der politischen Aufmerksamkeit.
Als es darum gehen sollte, mit dem künftigen Intendanten über die politische wie gesamtgesellschaftliche Wirksamkeit eines Augsburger Stadttheaters zu sprechen, fehlten diejenigen Politiker, die ein Stadttheater dieser Größenordnung als Notwendigkeit proklamierten, indem sie im Stadtrat eine viel zu aufwändige Sanierung beschlossen. Diese Form des Desinteresses dokumentiert die politische Apathie der Stadt, von der André Bücker offenbar inspiriert wurde, als er an seinem Vortrag schrieb.