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Donnerstag, 01.05.2025 - Jahrgang 17 - www.daz-augsburg.de

Verführung zur Kunst

Sybille Schiller las im Schaezlerpalais Emile Zola

Von Frank Heindl

Lesungen im Rahmen der Ausstellung „Irdische Paradiese“ – eine gute Idee. Die Augsburger Literaturkennerin und Journalistin Sybille Schiller las am Dienstagabend im Festsaal des Schaezlerpalais aus Emile Zolas Roman „Das Werk“ – eine passende Idee. Denn Zolas Geschichte spielt im Milieu der Pariser Impressionisten des 19. Jahrhunderts – von denen einige in den angrenzenden Räumen ausgestellt sind.

Doch „Das Werk“ ist nicht nur eine der für Zola so typischen Milieustudien, sondern gar nicht so ganz nebenbei auch die großartige Beschreibung der Erotik der Kunst – und deren Bezug zur „echten“ Erotik. Ganz unprätentiös liest Sybille Schiller die Beschreibung der ersten Nacht, die der Maler Claude Lantier mit Christine verbringt, einer jungen Frau, die er durchnässt und heimatlos vor seiner Tür aufgegabelt hat. Fasziniert betrachtet der Maler am Morgen heimlich den nackten Mädchenkörper und interessiert sich doch – vorgeblich – nur für dessen Malbarkeit, sieht in der Frau nur das Modell. Doch wie Zola nun in die Gedanken des Künstlers hinterrücks den Wortschatz der Erotik einfließen lässt, darin offenbart sich literarische Meisterschaft und ein großartiges psychologisches Einfühlungsvermögen lange vor Freuds Theorie des Unbewussten. Während der Künstler sein Modell mit den Augen geradezu frisst, „erregt von seinem starken Verlangen, dem Verlangen des Künstlers“, bewegt er, nun ja: „seinen Bleistift.“ Die Theorie von der Sublimierung des Eros in der Kunst kann man kaum prägnanter in Worte fassen! Und als Christine sich – Monate später – noch einmal für Claude entkleidet, beschreibt Zola dessen Berührtheit mit den Worten „er fand sie wieder“, was sich an dieser Stelle fast wie das biblische „und er erkannte sie“ anhört.

Aus der still-erotischen Liebesgeschichte wird schnell das dramatisch-verzweifelte Künstlerschicksal: Lantier weicht trotz verheerender Kritiken nicht von seinem künstlerischen Weg ab, endet erfolglos und verzweifelt und weist schließlich sogar Christine ab, die ihn noch einmal in ein Leben jenseits der Kunst zurückholen möchte. Ein Moment, in dem sich Sybille Schillers Lesetechnik auszahlt: Dem ganz großen dramatischen Moment leiht sie glücklicherweise nicht die ganz große dramatische Stimme, sondern lässt im moderaten Sprachduktus auch das ganz Jämmerliche dieser bewegenden Schlusssequenz aufscheinen, bemüht sich nicht, ein klägliches Scheitern mit überflüssigem Pathos zu überhöhen.

Wer auf dem Weg hinaus noch ein paar Blicke auf die Werke der „Paradiese“-Ausstellung geworfen hat, mag das unter Umständen mit anderen Augen getan haben als zuvor: Man hat sich möglicherweise den Künstler und sein Modell nicht unbedingt als glückliche Menschen vorzustellen.