Neue Helden für Augsburg
„Heroes“ kämpfen gegen falsche Vorstellungen von Ehre
Von Frank Heindl
Ist Held sein ein Beruf? Kann man Heldentum lernen? Und wie viel verdient man dabei? Fragen, die Erwin Schletterer, Geschäftsführer der Augsburger „Brücke e.V.“, relativ eindeutig beantworten kann: Beruf? – Eher nicht. Verdienst? – Eher schlecht. Erlernbar? – Auf jeden Fall. Die „Brücke“, eigentlich zuständig für Prävention und straffällige Jugendliche, bietet nämlich eine Ausbildung zum Helden an. Wer sie auf sich nimmt, kann sich allerdings nicht einfach in Super- oder Spiderman verwandeln – er nimmt stattdessen teil an einem „Gleichberechtigungsprojekt gegen Unterdrückung im Namen der Ehre“.
Gruppengespräch am Tisch der „Helden“: Das Heroes-Projekt hat eigene Räume in der Ballonfabrik. Rechts am Tisch Brigitte Schürmann, Projektleiterin und einzige Frau im Team. Zu den Adressaten der Diskussionen über den Ehrbegriff aber gehören selbstverständlich auch die Mädchen.
Ganz so pathetisch, wie der Titel „Heroes“ vermuten lässt, war die Veranstaltung nun doch nicht, in der Schletterer und seine Projektleiter die neue Initiative vorstellten. Kein Wunder, denn der „Ausbildungsgang“ ist durchaus fern von Heldentum und dafür nah an viel praktischer Arbeit, die ohne Bezahlung, also rein ehrenamtlich erfolgt. Zwei Gruppenleiter der „Brücke“ schulen dabei derzeit acht Freiwillige in der Kunst, ein Held zu sein. Doch worum geht es eigentlich?
Das Projekt mit dem Titel „Heroes“ kommt ursprünglich aus Schweden, wo es erfunden und – so berichten die Augsburger Initiatoren – mit großem Erfolg praktiziert wurde. Von dort gelangte es nach Berlin – im Problemstadtteil Neukölln sind mittlerweile viele „Heroes“ ausgebildet worden, und schließlich über München auch nach Augsburg. Vor allem unter Zuwanderern, haben Soziologen, Pädagogen, aber auch Kriminalisten festgestellt, grassieren Problem mit der „Ehre“. Das beginnt weit unterhalb der Schwelle so genannter „Ehrenmorde“. Mit einem falsch verstandenen und falsch überlieferten Ehrbegriff, erklärt Steve Malki, einer der beiden Gruppenleiter, würden allerlei Verhaltensweisen gerechtfertigt und beschönigt, die sich mit dem Leben im demokratischen Deutschland nicht vereinbaren lassen: Patriarchalismus (zu deutsch: die unangefochtene Autorität und Herrschaft der Männer in Familie und Gesellschaft), traditionelle, unverrückbare Rollenverteilung und die damit einhergehende Benachteiligung der Frauen, falsche Vorstellungen von Männlichkeit, der Kult um die Jungfräulichkeit vor der Ehe, eine Menge von Gefühlstabus, die es erschweren, die Probleme beim Namen zu nennen und zu diskutieren. Betroffen seien vor allem Migranten aus der Türkei, den arabischen Ländern, aber auch aus Albanien, Vietnam, der Ukraine und anderen Ländern.
Ausbildung und Job sind ehrenamtlich
Ein Grundproblem für Sozialarbeiter ist es dabei, mit den Betroffenen überhaupt ins Gespräch zu kommen, da diese sich oftmals nicht nur gegen Vertreter des Staates, sondern auch gegen deren Sprache und Argumente abschotten. Ziel des „Heroes“-Projektes ist es daher, jugendliche Migranten in der Kunst auszubilden, mit Gleichaltrigen über solche Themen zu sprechen und über deren „Ehrenkulturen“ zu diskutieren. Zwischen 16 und 18 Jahre alt sollen die Jugendlichen sein, Veränderungswille, Offenheit, Kommunikationsfähigkeit, Motivation braucht es – und die Bereitschaft, ohne Gehalt und neben Beruf oder Ausbildung einen Teil der Freizeit für die ehrenamtliche Tätigkeit zu opfern.
An Bewerbern herrscht kein Mangel. Karim Abdul Ghanyi beispielsweise kennt Gleichberechtigungskonflikte auch aus der eigenen Familie. Sein Vater stammt aus Ägypten. Auch der türkischstämmige Sefa Tiryaki nennt zunächst Beispiele aus der Familie, wenn er nach seinen Erfahrungen mit Ehre und traditionellem Denken befragt wird. Beide fangen demnächst mit ihrer „Ausbildung“ bei der „Brücke“ an und scheinen noch wenig konkrete Vorstellungen mitzubringen – beim Thema Gleichberechtigung denkt Sefa zunächst mal daran, seiner Mutter gelegentlich beim Staubsaugen zu helfen. Aber Sefa berichtet, einige Freunde hätten angefragt, ob sie auch mitmachen könnten. Dafür aber reicht der Etat nicht – mehr als acht „Ausbildungsplätze“ sind derzeit nicht drin.
Ziel: Die Heroes geben Workshops für Gleichaltrige
Reichlich Arbeit also zunächst für die Gruppenleiter, die den Jungs neben theoretischem Rüstzeug vor allem in Diskussionen und Rollenspielen die Bandbreite der Themen und deren gesellschaftliche Auswirkungen nahebringen wollen. Zur Ausbildung gehören auch erlebnis- und theaterpädagogische Ansätze, es wird gemeinsame Wochenenden in den Bergen und auf der Hütte geben, die dem Kennenlernen ebenso dienen sollen wie der Erarbeitung von Methoden, um später in Workshops das Erlernte weiterzugeben.
Denn das eigentliche Ziel des Projektes sind natürlich nicht die „Heroes“ selbst, sondern deren Mitschüler, Freunde, Gleichaltrige. „Peer-to-peer-Ansatz“ nennen Soziologen diese Herangehensweise: Am besten nämlich lernen Jugendliche von anderen Jugendlichen, und vor allem dann, wenn diese aus der gleichen Gesellschaftsschicht, Bevölkerungsgruppe oder gar Clique stammen. Den Kids aus der Nachbarschaft glaubt man eben eher, als den Mitarbeitern des Jugend- oder Sozialamtes, von der Polizei ganz zu schweigen. Das weiß auch Ordnungsreferent Volker Ullrich, der bei der Vorstellung des Projektes große Hoffnungen auf dessen Erfolg äußerte – Erwin Schletterer betont, bei der Stadt habe es keinerlei Überzeugungsarbeit bedurft, was den Wert der „Heroes“ anbelangt. Man wolle, so Ullrich, das Projekt zunächst „ausprobieren“, hoffe aber, dass es sich nach Ablauf von drei Jahren auch „institutionalisieren“ lasse. Gegen Etatkürzungen sei man nicht gefeit, so Ullrich, jedoch halte er eine solche Politik gerade, wenn es um Präventionsmaßnahmen gehe, für „sehr kurzsichtig“.
Sozialministerium und Staatsregierung stehen hinter dem Projekt
Bei dieser Argumentation assistiert ihm auch das bayerischen Sozialministerium, dessen Vertreter Paul Hansel betonte, „Heroes“ passe „wunderbar“ zur Integrationspolitik der Staatsregierung: Es gehe um Prävention durch „rechtzeitige Integration“, das Projekt sei „nachhaltig“, „nah vor Ort und am Menschen“, stärke die Demokratie und die Gleichberechtigung der Frauen und resultiere in einer „win-win-Situation für Einheimische wie Zugewanderte.“
Bis es soweit ist, wird noch eine gewisse Zeit vergehen: Neun Monate dauert die Ausbildung der Helden, die Bewährungsprobe für sie und das Projekt beginnt, wenn sie das Gelernte an Gleichaltrige weitergeben sollen. Die Erfahrungen aus Berlin, darin sind sich die Veranstalter einig, rechtfertigten große Hoffnungen. Acht Jungs mit türkischen, ägyptischen, vietnamesischen und ukrainischen Eltern nehmen in Augsburg bisher teil, und wenn sie im Beisein ihrer Eltern ihr Zertifikat erhalten haben, eine Urkunde also, die ihnen die erfolgreiche Ausbildung zum „Heroe“ bescheinigt, dann beginnt erst ihre eigentliche Arbeit. Unter genauer Beobachtung übrigens, denn das Projekt wird wissenschaftlich begleitet, ausgewertet und evaluiert.