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Dienstag, 11.11.2025 - Jahrgang 17 - www.daz-augsburg.de

Kommentar

Heikle Nähe bei „Augsburg checkt’s“: Wie die Stadt Augsburg eine Faktencheck-Kampagne der Augsburger Allgemeinen unterstützt

Die Augsburger Allgemeine führt gemeinsam mit der hauseigenen Günter Holland Journalisten­schule (GHJS) und der Deutschen Presse-Agentur (dpa) seit Anfang Oktober mit „Augsburg checkt’s“ eine Faktencheck-Kampagne durch mit dem Ziel, die „Bürgerinnen und Bürger faktenfit“ zu machen. Die Kampagne wird von der Stadt Augsburg offiziell unterstützt. Das wirft Fragen auf hinsichtlich des staatlichen Neutralitäts­gebots und der Staats­freiheit der Presse. Wird bei der Kampagne hinreichend professio­nelle Distanz zwischen den Akteuren gewährleistet? Oder droht stattdessen eine demokratie­gefährdende Wahrheits­instanz? Einwandfrei ist es nicht, wenn Stadt Augsburg und Augsburger Allgemeine gemeinsam „richtige“ und „falsche“ Informa­tionen öffentlich markieren.

Kommentar von Bernhard Schiller

Grundgesetz: Staatsfreiheit der Presse gilt auch für Augsburg

Eine gut funktionierende Demokratie benötigt eine kritische Öffentlich­keit, wie Menschen die Luft zum Atmen. Das Grundgesetz der Bundes­republik Deutschland soll diese Atemluft der Demokratie garantieren, indem es Meinungs­freiheit und Presse­freiheit unter besonderen Schutz stellt. Die freie Presse ist der Garant für kritische Öffent­lich­keit. Zur verfassungs­rechtlich garantierten Presse­freiheit zählt insbe­sondere der aus Artikel 5 und Artikel 20 Absatz 3 des Grund­gesetzes abgeleitete Grundsatz von der Staats­freiheit der individu­ellen und öffent­lichen Meinungs-und Willens­bildung – und damit der Staats­freiheit der Presse. Als Teil der staatlichen Exekutive sind Kommunen wie die Stadt Augsburg diesem Grundsatz unterworfen.

Stadt Augsburg nimmt keinen Einfluss auf die Inhalte der Faktenchecks

Unter jedem Faktencheck veröffentlicht die Augsburger Allgemeine deshalb einen Trans­parenz­hinweis, der versichern soll, dass „weder Stadt noch Stadtwerke Einfluss“ auf die Inhalte hätten. Man ist sich der verfassungs­rechtlichen Proble­matik also anscheinend bewusst. Dement­sprechend ist von einer hinreichenden rechtlichen Prüfung der Kampagne durch die Stadt­verwaltung auszugehen.

„Dein täglicher Faktencheck“: Bürgerbüro Lechhausen

Auf Nachfrage der DAZ teilt die Stadt Augs­burg am 6. No­vember 2025 mit, dass es weder im Vor­feld der Aktion noch aktu­ell ver­fassungs­recht­liche Bedenken auf Seiten der Stadt gebe. Die Ini­tia­tive sei von der Augs­burger Allge­meinen aus­ge­gangen, die „mit dem Pro­jekt­vor­schlag auf die Stadt zu­ge­kommen“ sei. Die „inhalt­liche Aus­ge­stal­tung“ obliege „aus­schließ­lich“ der dpa, die redak­tio­nelle Ver­arbei­tung erfolge durch Volontäre der GHJS. Die Stadt Augsburg beteilige sich an der Aktion mit dem Ziel, „den verant­wortungs­vollen Umgang mit Information zu stärken“ und „die Augs­burgerinnen und Augsburger für das Thema Des­infor­mation zu sensi­bilisieren“. Zu diesem Zweck habe die Stadt Augsburg Plakate an Bürgerbüros, Schulen und anderen städtischen Ein­richtungen angebracht.

Zweifel an der professionellen Distanz zur Augsburger Allgemeinen

Der Ausschluss einer inhaltlichen Mit­bestimmung durch die Stadt Augsburg dürfte jedoch nur das unbedingt notwendige Mindestmaß an Zurück­haltung darstellen. Daneben können mehrere Aspekte der Kampagne Zweifel an der professio­nellen Distanz zwischen Stadt Augsburg und Augsburger Allgemeinen aufkommen lassen, weshalb es eines kritischen Einwands bedarf:

1. Fehlende Trennschärfe bei der Definition der Zielgruppe

Die erste Schwierigkeit steckt schon in der Definition der Zielgruppe. Während Adressat städtischer Kommuni­kation stets die Menge aller Bürgerinnen und Bürger der eigenen Verwaltungs­einheit ist, zielt eine Zeitung auf eine ganz andere Gruppe, nämlich auf ihren Leserkreis. Beide Mengen sind nicht identisch. Weder besteht der Leserkreis der Augsburger Allgemeinen nur aus Bürgern der Stadt Augsburg, noch besteht er zwingend aus Wahl­berechtigen oder Bürgern (Leser aus anderen Kommunen, Ausländer, Minder­jährige). Augsburgs Ober­bürger­meisterin Weber erklärt, dass die Initiative „die Augsburger und Augsburger wider­stands­fähiger gegen Fake News“ mache, in der Presse­information vom 13. Oktober 2025 werden als Zielgruppe ausdrücklich „Bürgerinnen und Bürger“ genannt. Erreicht werden aber zwangs­läufig nur Leser der Augsburger Allgemeinen. Das passt nicht zusammen, lässt aber die Frage aufkommen, wer hier wen wie unter­stützt. Die Stadt Augsburg die Augsburger Allgemeine – oder die Augsburger Allgemeine die Stadt Augsburg. Beide Varianten sind heikel.

2. Koordinierte Aktion unter Beteiligung der Stadtwerke

„Augsburg checkt’s“ kann und soll von der Öffent­lichkeit als gemeinsame, koordi­nierte Aktion wahr­genommen werden. Die Akteure bezeichnen sich in der Presse­mitteilung als „fünf starke Partner“. Neben den eingangs genannten Kooperations­partnern sind auch die Stadtwerke Augsburg (swa) mit von der Partie. Als hundert­prozentige Tochter­gesell­schaft der Stadt Augsburg sind die Stadtwerke Teil der öffent­lichen Hand.

„Kostenloses Profi-Wissen“: Werbung in der Straßenbahn

Die Werbung für „Augsburg checkt’s“ in den Bussen und Straßen­bahnen zeigt neben den Logos der Augs­burger Allge­meinen, der GHJS und der dpa die offi­zi­ellen Logos der swa und der Stadt Augsburg. Die Zeichen­sprache gibt dabei keinen Auf­schluss darüber, wer welche Rolle bei dem Projekt spielt, wer Initiator und wer „nur“ Unter­stützer sein könnte. Ganz im Gegen­teil: Das Logo der Stadt Augsburg steckt zwischen denen der Augs­burger Allge­meinen und der GHJS und lässt keinerlei Distanz erkennen.

Der QR-Code führt nicht nur zur Faktencheck-Serie, sondern zur Online-Ausgabe der Augsburger Allgemeinen. Den Trans­parenz­hinweis enthält die Werbe­anzeige nicht. Ein Variante der Bildschirm-Einblendung (siehe Bild) wirkt zusammen­hang­los und scheint mehr auf eine emotionale Reaktion zu zielen als auf einen vernünftigen Diskurs. Die erleuchtete Zirbelnuss-Glühbirne aktiviert hier nur noch ein Lebensgefühl: „Augsburg checkt’s.“ Die interaktive Erweiterung des Fahrgast-Info­tainments über den QR-Code bringt die Grenzen zwischen öffent­licher Hand und freier Presse zum Ver­schwinden. Zugleich vergrößern die Stadtwerke Augsburg mit der Anzeige die Reichweite der Augsburger Allgemeinen.

3. Faktenchecks dürfen keinen Wahrheitsanspruch erheben

In der Ankündigung der Aktion in der Online-Ausgabe der Augsburger Allgemeinen vom 7. Oktober 2025 heißt es wörtlich, dass man durch das Lesen der Fakten­checks „der Wahrheit auf die Spur“ komme. Der Gebrauch des Wortes Wahrheit im Singular ist leicht­fertig und suggeriert unfehl­bare Erkenntnis, wo unter­schied­liche Per­spektiven und Deutungs­muster wirken. Was als objektiver Wahrheits­findungs­prozess namens „Faktencheck“ verkauft wird, kann und wird Wertungen und Irrtümer der Fakten­checker enthalten. Auch Fakten­checker haben ein Weltbild, haben welt­anschau­liche Motive und politi­sche Präfe­renzen, sie leben und arbeiten in Zusammen­hängen.

Die redaktionelle Auswahl und Auf­bereitung von Themen ist Kernaufgabe des Journalismus und macht den hohen Grad an gesell­schaft­licher Ver­antwortung aus, den die freie Presse in einer funktio­nie­renden Demokratie innehat. Faktencheck-Redaktionen legen redaktionell fest, welche Themen sie checken und veröffent­lichen und – das ist der kritische Punkt – welche Themen oder Themen­details sie exklu­dieren, nicht checken und nicht veröffent­lichen. Diese Tatsache der Selek­tivität und Kuration macht Kritik an Faktenchecks grund­sätzlich notwendig.

In einer Zeit ständiger Informations­verfüg­barkeit verschwimmt bisweilen die Grenze zwischen Denkprozess und Recherche­prozess. Die Fähigkeit, Informa­tionen zu finden und zu verifi­zieren wird verwechselt mit der Fähigkeit, die Informa­tionen zu verstehen und zu beurteilen. Durch diesen kognitiven Fehlschluss werden aus partikularen Informa­tionen „Fakten“ und aus „Fakten“ wird schluss­endlich „Wahrheit“. Um demo­kratie­tauglich zu sein, müssen stattdessen auch Faktenchecks überprüfbar und falsifi­zierbar sein. Sie müssen der Viel­deutig­keit und Wider­sprüch­lich­keit von „Tatsachen“ Rechnung tragen.

Die für „Augsburg checkt’s“ zitierte Aussage des Chef­redakteurs der Deutschen Presse-Agentur, Sven Gössmann, dass Fakten „für alle Menschen gleicher­maßen gelten“ müssten, ist in dieser Hinsicht hoch­proble­matisch. Die potentielle Umfunktio­nierung von Faktenchecks in ein Instrument zur Homo­geni­sierung öffent­licher Diskurse ist eine reale Gefahr für Demokratie und Freiheit. Eine solide Demokratie lebt wesentlich von der Auseinander­setzung mit dem Ziel, bessere Argumente zu finden, lebt von pluralen Perspek­tiven, personale Freiheit lebt wesentlich von Ver­ant­wortung, nicht von Einmütigkeit.

4. Verengtes Demokratieverständnis

Augsburgs Oberbürgermeisterin Weber lässt sich in der genannten Presse­mit­teilung der Presse­druck GmbH mit folgender Aussage zitieren: „Fakten sind das Fundament unserer Demo­kratie. Nur wenn wir Infor­ma­tionen kritisch hinter­fragen und verläss­lich ein­ordnen, können wir als Gesell­schaft gute Ent­schei­dungen treffen.“ Auch diese Aussage ist hoch­proble­matisch.

Richtig ist, dass Informationen stets kritisch zu hinter­fragen sind. Das gilt wie bereits gesagt für sogenannte Fakten­checks und es gilt für die apodik­tischen Fest­stellungen der Ober­bürger­meisterin. Was eine verläss­liche Ein­ordnung ist, wie diese zu erfolgen hat und vor allem: in welches Ordnungs­system die Infor­mation ein­sortiert wird, ist eine Frage, die gestellt werden muss. Schwer­wiegender aber ist die Quali­fikation von „Fakten“ als „Fundament der Demo­kratie“. Fakten sind zwar eine brauch­bare Basis für kon­struk­tive Dis­kussionen, aber keine hin­reichende Grundlage der Demokratie.

Faktenfetischismus kann sogar ins glatte Gegenteil führen. Das Beharren auf Fakten beinhaltet ein autoritäres Moment, das gegen Zweifel, Irrtümer und Kritik immuni­siert. Eine solche Immuni­sierung wäre das Ende der Freiheit, die neben der Demo­kratie das Fundament der Verfassung der Bundes­republik Deutsch­land ist. Fakten müssen stets frei diskutiert werden können.

Eine Gesellschaft besitzt keinen eigenen Willen, kann nicht bewusst handeln und trifft deshalb keine Ent­scheidungen. Zwar gerinnen die Ent­scheidungen der Wähler zu einem Ergebnis, das im parla­men­ta­rischen Prozess (oder in einem Stadtrat) die vielen Einzel­willen koordi­niert. Aber das, was dabei herauskommt, sind Mehr­heits­beschlüsse, keine Wahr­heiten. Deshalb sind diese auch revidier­bar, was bei Wahr­heiten nicht möglich wäre. Die Falsi­fi­zier­bar­keit und Revi­dier­bar­keit politi­scher Ent­scheidungen und Macht­konstella­tionen – nicht die vermeint­liche Güte oder Gutheit fakten­basierter Ent­scheidungen – ist das wesent­liche und damit schützens­werte Herz der Demokratie.

5. Autoritäten ersetzen das Denken und den Diskurs

Die Freiheit des Menschen integriert den Irrtum. Der Mensch darf sich täuschen, irren, revidieren. Unmündig­keit beginnt dort, wo das eigene Urteil durch fremde Wahr­heits­ansprüche ersetzt wird – wenn vermeint­liche Fakten von Autori­täten bestätigt werden, die das Denken und den Diskurs ersetzen. Niemand hat deshalb das Recht, einem Fakten­check Glauben zu schenken. Laut dem Chef­redakteur der Augs­burger Allge­meinen, Peter Müller, fördere „Augsburg checkt’s“ ein „kritisches, aufmerk­sames und selbst­bestimmtes Medien­ver­ständnis“. Sofern in den indiffe­renten Ziel­gruppen der frag­würdigen Kampagne diese Eigen­schaften nicht längst ent­wickelt sind, wäre dies ihr best­mögliches Ergebnis – das dann allerdings unweigerlich auf die Kampagne selbst und die „fünf starken Partner“ zurückwirkt.