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Donnerstag, 16.01.2025 - Jahrgang 17 - www.daz-augsburg.de

Gysi: Superstar auf dem Rathausplatz

Keine einzige Zeile war der Augsburger Allgemeinen der Auftritt Gregor Gysis im Vorfeld der Berichterstattung wert, während die Galaauftritte der Konkurrenz mit Ankündigungsfahrplänen flankiert werden. Am Montag wurde zumindest erwähnt, dass er da war. Ein bisschen mehr Aufmerksamkeit hätte Gysis einstündiger Auftritt auf dem Augsburger Rathausplatz allemal verdient: schließlich ist der kleine Glatzkopf mit dem Ostberliner Zungenschlag einer der wenigen, wenn nicht der einzige Berliner Politiker, dem man schon allein aufgrund seiner geistreichen Rhetorik länger als eine Zapp-Einheit zuhören mag.

Gregor Gysi in Augsburg (Bild: ta)

Gregor Gysi in Augsburg (Bild: ta)


14. September, 17 Uhr: Während die lokalen Landtagskandidaten der LINKEN ihre Warm-Up- Wahlkampfreden halten, wird der Politrhetoriker ausführlich vom ZDF interviewt. Das BKA und der Verfassungsschutz mischen sich unter die Schar der knapp 400 Zuhörer. Es ist kalt und Gysi legt los wie die Feuerwehr: Außenpolitik Steuerpolitik, Renten- und Sozialpolitik und alles auf die Bildung setzen: „Bildung ist das einzige Kapital des Industriestandortes Deutschland! – Nicht finanzierbar? Ha, da müsste man nur die Körperschaftssteuer und die Einkommenssteuer dem Durchschnitt der alten 16 EU-Länder angleichen, und schon hätte man 100 Milliarden Euro zur Verfügung, mit denen man viel davon umsetzen könnte, was wir seit Jahren fordern! Man muss es nur politisch wollen!“ Gysi rudert mit den Armen und begeistert die Leute mit seinen hämischen Spitzen über die Sozialdemokraten. Er plädiert für eine Steuerpolitik à la USA für die Privilegierten, die „halbtags in Steueroasen übernachten“ und für eine deutliche Erhöhung der Erbschaftssteuer. Er übersetzt das Unwort „Hartz IV“ gerne mit „Grundversorgung“ und zelebriert händeringend die fortlaufende Verarmung der Deutschen wie der Billige Jakob auf der Dult: „Schätzen Sie mal, wieviel Haushalten in Deutschland in den letzten zehn Monaten der Strom abgeschalten wurde? Nicht 20tausend, nicht 80tausend – nein 800tausend Haushalte müssen diesen Winter ohne Strom klarkommen. 800tausend! Wie die den Winter überstehen wollen weiß ich beim besten Willen nicht.“

Gysi fordert auch beim Strom eine garantierte Grundversorgung. Ebenso bei der Kultur, wie das in Berlin, wo die LINKEN mitregieren, der Fall ist: „Jedes Theaterticket, das eine Stunde vor Vorstellungsbeginn nicht verkauft ist, wird für drei Euro an Menschen verkauft, die von der Grundversorgung abhängig sind.“ Gysi läßt den Applaus langsam verstreichen und zieht ein Papier aus seiner Jackentasche: „Schauen Sie, ich habe hier eine Mitteilung des Deutschen Bundestages. Die Parteien müssen nämlich Spenden ab einem gewissen Betrag an diesen melden. Die Allianz hat dieses Jahr 60tausend und einen Euro an die SPD gespendet; 60tausend und einen Euro an die CDU gespendet; 60tausend und einen Euro an die CSU gespendet, 60tausend und einen Euro an die FDP gespendet. Fragen Sie mich nicht nach dem einen Euro, ick wees ooch nisch was dat soll. Die Allianz Versicherung hat 60tausend und einen Euro an …“ und nun hält Gysi ein wenig die Luft an, dreht die Augen zum wolkenverhangenen Himmel „… an die Grüüünen gespendet.“ Wieder eine kleine Pause, ein Schluck aus dem Wasserglas: „Und Sie, meine Damen und Herren, haben am Sonntag in zwei Wochen die Wahl, ob Sie nun die Versicherungsallianz oder uns wählen wollen.“ Die meisten Menschen lachen laut und applaudieren frenetisch, Gysi hat sie längst in seinen Bann geschlagen. „Und ich habe noch eine Trumpf im Ärmel, weshalb Sie uns in Bayern in den Landtag wählen sollten: Wenn wir die fünf Prozent knacken werden, werden unzählige Journalisten aus ganz Europa, Asien, Amerika und Australien nach Bayern kommen, weil sie herausfinden wollen, was hier los ist. Sie werden hier übernachten, essen und Ausflüge unternehmen, das bringt ein Haufen Geld in Ihre Kassen.“

Kommentar: Die Ignoranz des Gesinnungsjournalismus