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Donnerstag, 01.05.2025 - Jahrgang 17 - www.daz-augsburg.de

Dreiste Lügen im Mantel „frischer Provokation“

Wie Neonazis Jugendliche anwerben und Familien um ihre Kinder kämpfen – Lesung dazu in Mering



Auch Augsburger Schulen und das Umland sind von Werbeaktionen von Neonazis und der NPD betroffen. Die Grüne Abgeordnete Christine Kamm organisiert zusammen mit dem dortigen Bündnis „Mering ist bunt“ und Meringer Grünen eine Lesung mit Claudia Hempel zu diesem Thema in der Meringer Bücherei am 19. Mai, 19:30 Uhr.

Im Hochfeld haben die Bewohner schon rechtsextreme Flugblätter in ihren Briefkästen gefunden. Aufmerksame Beobachter konnten außerdem sehen, wie Angehörige der rechtsextremen Szene auf den Schulhöfen der dortigen Berufsschulen ihr Material an die Schülerinnen und Schüler verteilten.

Seit Jahren versucht die NPD über das Verteilen von sogenannten Schulhof-CDs und Comic-Heften, in denen die Gründe des Zweiten Weltkriegs abenteuerlich verdreht werden, an ihren jugendlichen Nachwuchs zu kommen. „Frische und freche Provokation“ nennt sich das auch noch dreist. Diese „100%ig politisch unkorrekten“ Hefte gehören laut der NPD, bzw. den Jungen Nationalisten, der Jugendorganisation der NPD, „in die Hand eines jeden jungen Deutschen“.

Als aufgeklärter Bürger mag man darüber die Nase rümpfen und denken, dass die Rechten mit solch plumpem Vorgehen das eigene Kind nie einfangen würden. Doch hier ist Vorsicht geboten: die Erfahrungen, von denen die Mütter in Claudia Hempels Buch „Wenn Kinder rechtsextrem werden“ erzählen, machen deutlich, dass es so gut wie jede Familie treffen kann, wenn die Rechtsextremen nur geschickt genug vorgehen und soziale Lücken füllen.

In Mering gibt es seit spätestens 2008 eine etablierte rechte Gruppe, die sich „Autonome Nationalisten Mering (ANM)“ nennt. Die Mitglieder fallen besonders durch gezielte Drohungen gegen Andersdenkende, die Verwendung nationalsozialistischer Kennzeichen und Sachbeschädigung auf. Letzteres geht damit einher, dass die ANM ihre Drohungen, so z.B. gegen das Jugendparlament oder gegen namentlich genannte Einzelpersonen (!), rund um den Meringer Bahnhof als Graffitis sprüht.

Doch seit gut einem Jahr bietet das breite Bündnis „Mering ist bunt – nicht braun“ aus engagierten Bürgerinnen und Bürgern, aus Kirchen, Schulen, Sportvereinen und Parteien den ANM Paroli.

Ende März dieses Jahres gab es eine Razzia in Mering, bei der fünf Objekte in Mering von der Polizei durchsucht und gegen sieben Tatverdächtige ermittelt wurde. Der Vorwurf der Staatsanwaltschaft lautete: „Die Mitglieder dieser Gruppe stehen im dringenden Verdacht, sich zur Begehung von Straftaten und Anfeindungen von Ausländern und politischer Gegner formiert zu haben.“

Die Gemeinde Mering und ihr Bürgermeister zeigen großen Mut und Zivilcourage, indem sie sich gegen die Drohungen wehren. Erst im März wurde eine Ausstellung in der Bücherei mit dem Thema „Demokratie stärken – Rechtsextremismus bekämpfen“ der Friedrich-Ebert-Stiftung eröffnet.

In diesem Rahmen steht auch der Abend mit der Dresdener Journalistin und Autorin Claudia Hempel, Jahrgang 1966, die am 19. Mai um 19:30 Uhr in der Bücherei in Mering aus ihrem Buch „Wenn Kinder rechtsextrem werden – Mütter erzählen“ lesen. Zusammen mit einer Fachkraft der Landeskoordinierungsstelle Bayern gegen Rechtsextremismus (LKS) wird Frau Hempel von den Schicksälen betroffener Familien berichten, wo eines oder mehrere Kinder rechtsextrem wurden und Hilfestellung für betroffene Familien geben.

Zu diesem Abend möchte Sie Frau Christine Kamm herzlich einladen.

Über das Buch:

In ihrem Buch lässt Claudia Hempel neun Mütter und einen Vater zu Wort kommen, die darüber erzählen, wie ihr Kind in den Sog der Neonazis gezogen wurde und was sie versucht haben, um es von den Rechten wieder zu lösen. Oftmals ist den Eltern das „wie“ aber garnicht so klar. Die ersten Anzeichen deutet man noch harmlos aber irgendwann wird der Familie dann doch bewusst, dass Lonsdale Jacken und Aufkleber mit ausländerfeindlichen Parolen nichts im Kinderzimmer verloren haben. Dann beginnt ein zäher Kampf mit Streit, Überzeugungsarbeit, Ausgehverbot, schlaflosen Nächten und Selbstvorwürfen. Warum gerade mein Kind? Was haben wir falsch gemacht?

Eltern, die beim Jugendamt, der Polizei oder der Schule ihres Kindes Hilfe suchen, werden dort meist nicht fündig. Jugendämter, so die Erfahrung der erzählenden Mütter, seien entweder nicht vorbereitet oder überfordert. Eher werden dort die Kinder noch darüber aufgeklärt, dass in Deutschland Meinungsfreiheit herrsche und eine rechte Gesinnung nun einmal nicht verboten sei. An die Mütter gewandt heißt das: es gibt Schlimmeres, das verwächst sich wieder oder, wenn man geschieden sei, bräuchte man sich ja nicht wundern, wenn das Kind abdrifte.

Besonders erschreckend zeigt das Buch auf, dass es jede Familie treffen kann. Auch ehemalige Waldorfschülerinnen und sich zum Christentum bekennende Kinder sind nicht davor gefeit, sich von den Parolen der Rechten überzeugen und einfangen zu lassen.

Am Ende des Buches können betroffene Eltern und Interessierte eine Liste von Beratungsstellen finden, an die man sich wenden kann. Außerdem zählt Frau Hempel die gängigsten Symbole, sowie typische Bekleidung und Zahlencodes der Neonazi-Szene auf.

Fazit:

Rechtsextreme Strukturen haben v.a. überall dort gute Chancen zu wachsen, wo Freizeitangebote für Kinder und Jugendliche fehlen. Die Szene besetzt geschickt die Leerstellen der Gesellschaft. Demokratie darf nicht erodieren, Zivilgesellschaft sich nicht wegducken. Projekte gegen Rechtsradikalismus müssen endlich langfristig finanzielle Sicherheit haben und nicht wegrationalisiert werden.

Für die Eltern gilt: nicht lockerlassen! Weiter kämpfen, streiten diskutieren, sich informieren und mit anderen betroffenen Eltern vernetzen. Viel zu oft schweigen die Familien aus Scham. Und so schwer es fallen mag – das Kind sollte immer wissen, dass es im Elternhaus Geborgenheit erfährt in die es jederzeit zurückkehren kann, sobald es sich für den Austritt aus der rechten Szene entscheidet.

SchulleiterInnen und LehrerInnen müssen für ihre Schulen eindeutige Regeln erstellen und durchsetzen. Rechtsextreme Kleidung und Symbole dürfen nicht toleriert werden. Sogenannte Schulhof-CDs oder Comics mit rechtem Gedankengut sollten im Unterricht thematisiert und diskutiert werden.

Letztendlich müssen Kinder und Jugendliche merken, dass die Gesellschaft, die Stadt oder das Dorf, in dem sie leben, kein rechtsextremes Gedankengut duldet, sondern ihnen Alternativen bietet. Mit dem Widerstand den die Einwohner Augsburgs und Merings bereits regelmäßig leisten, sind diese beiden Kommunen bereits auf einem guten Weg. Darauf dürfen sie sich aber nicht ausruhen, sondern müssen weiter aktiv handeln gegen NPD Demonstrationen und die Verbreitung rechtsextremen Gedankenguts.