GESELLSCHAFT & GESUNDHEIT
Corona-Krise: Warum Deutschland vom Erfolg Hongkongs lernen kann
Hongkong ist die Stadt, die die Coronapandemie am wirkungsvollsten bekämpfte. Und dabei ist Hongkong deutschen Städten mit dem Infektionsbeginn einige Wochen voraus. Obwohl in der chinesischen Sonderverwaltungszone mehr als sieben Millionen Menschen dicht an dicht leben und die Metropole nur 900 Kilometer von Wuhan entfernt ist, hat Hongkong das Virus relativ schnell und mit bisher nur vier Todesfällen fast vollständig überstanden. Wie war das möglich, und was passiert, wenn die Grenzen wieder geöffnet werden?
Von Annika Kögel
Sonia Cheng ist 31 Jahre alt und arbeitet als Marketing Managerin für eine Restaurantgruppe in Hongkong: „Ich denke hier gibt es kaum Todesfälle, weil die Menschen sich bewusst sind, was 2003 passierte und davon gelernt haben. Damals haben wir die Situation auch nicht so ernst genommen, wie wir es jetzt tun“ sagt sie. Die Stadt erinnert sich gut an das Jahr, in dem die Lungenkrankheit SARS in Hongkong viele Todesopfer forderte – und hat sie Situation schnell ernst genommen. „Sobald die Pandemie in Hongkong ausbrach, haben wir uns mit Masken und Desinfektionsmitteln ausgestattet“, so Sonia Cheng. Bereits im Januar trugen laut einer Umfrage in Hongkong 61 Prozent der Einwohner einen Mundschutz, wenn sie das Haus verließen, heute sind es 99 Prozent.
Dirk Pfeiffer, Professor für Epidemiologie an der Universität in Hongkong bestätigt, dass die Menschen aufgrund der früheren Erfahrungen mit Seuchen sensibilisiert sind und Schutzmaßnahmen schnell umsetzen. In Europa tendiere man dagegen erstmal dazu, abzuwarten. Auch Dr. Peng Wu von der Universität Hongkong ist der Meinung, dass neben verbesserten Tests und hohen Krankenhauskapazitäten das Bewusstsein der Bevölkerung von großem Vorteil waren: „Hongkong hatte nicht diese Art von Lockdown. Obwohl nicht angeordnet wurde, zuhause zu bleiben, haben sich die Bewohner Hongkongs entschieden, ihr Verhalten zu ändern.“ Ende März wurde jedoch auch ein Versammlungsverbot für mehr als vier Personen eingeführt, das mittlerweile auf acht Personen gelockert werden konnte.
Ein weiterer Grund für die sehr niedrigen Infektionszahlen ist auch, dass man äußerst schnell reagierte. Die chinesische Sonderverwaltungszone Hongkong unterliegt zwar dem Staatsoberhaupt Chinas, kann in den meisten Angelegenheiten jedoch unabhängig von China Entscheidungen treffen. Bereits als Hongkong unter Regierungschefin Carrie Lam von der Ausbreitung des Virus in Wuhan erfuhr, handelten sie. Verdachtsfälle wurden augenblicklich geprüft, und es wurde viel getestet, bereits Wochen bevor sich dann am 23. Januar tatsächlich zwei Verdachtsfälle als positiv erwiesen. Noch am selben Tag wurde ein Quarantänezentrum eingerichtet und Großveranstaltungen abgesagt. Nachdem die Regierung die Grenzen noch nicht schließen wollte, gingen etwa 4.000 Krankenhausmitarbeiter in den Ausstand, um dafür zu streiken. Mit Erfolg: Die Grenzübergänge wurden weitreichend eingeschränkt.
Zwei Tage später erklärte die Regierung die Virussituation bereits als Notfall. In den Tagen darauf folgten flexible Arbeitsregelungen und Schulschließungen. Jede Kontaktperson von Infizierten sowie jegliche Verdachtsfälle wurden je nach Risikogruppe für 14 Tage in öffentlichen Gebäuden oder einem der Quarantänezentren untergebracht, oder durch ein elektronisches Armband zuhause überwacht. Infizierte wurden isoliert.
Am 25. März wurde dann bei 410 Infizierten beschlossen, dass eine Einreise nach Hongkong komplett nur noch für Personen mit Aufenthaltstitel möglich ist. Diese müssen sich bei der Einreise einem Speicheltest unterziehen, um auf Covid-19 getestet zu werden. Ist das Testergebnis nicht mehr am selben Tag vorliegend, werden die Reisenden durch das Department of Health bis zum Vorliegen des Testergebnisses in ein Hotel gebracht. Danach müssen sie sich für 14 Tage in Quarantäne begeben. Dies wird durch ein elektronisches Armband kontrolliert.
Dennoch hat die Rückreise einiger Hongkonger Einwohner wieder Fälle in der Stadt ausgelöst, die weitere Einschränkungen zur Folge hatte. Da sich noch immer Bewohner Hongkongs im Ausland befinden und nach und nach wieder einreisen werden, bleibt offen, ob dadurch eine neue Infektionswelle bevorsteht.
Die Stadt gilt generell als internationales Drehkreuz. Nun ist ein Transit am internationalen Flughafen nicht mehr möglich. Für die Wirtschaft der Region ist die Corona-Krise ein Desaster. Sie ist im Vergleich zum Vorjahr bereits um 8,9 Prozent geschrumpft und besonders der wirtschaftlich wichtigste Sektor, der des Tourismus, hat darunter zu leiden. Hongkong gilt als bisher meist besuchte Stadt der Welt, nun fällt dies komplett weg, auch Hotels und Restaurants fehlen die Einnahmen.
„Die Bars hier waren 35 Tage lang geschlossen, nachdem sich dort eine Gruppe von Menschen mit dem Virus infizierte. Es ist hart für die Lebensmittel- und Getränkeindustrie“ so Sonia Cheng. „Viele kleine Geschäfte müssen komplett schließen. Ich denke, es wird länger dauern, als wir erwartet haben, bis alles sich normalisiert und für viele wird nie wieder eine Normalität zurückkehren“.
Aufgrund der wirtschaftlichen Schäden kann Hongkong die Grenzen nicht ewig geschlossen halten. Und dann ist offen, wie sich dies auf die Infektionskurve auswirken wird. Herdenimmunität wird es in Hongkong nicht geben und die Stadt hat bisher nicht über einen Plan nachgedacht, wie man mit dem Virus leben kann, bis es einen Impfstoff geben wird. Ob es dann zu einem erneuten Ausbruch mit Verschärfungen der Maßnahmen kommt, bleibt abzuwarten.