DAZ - Unabhängige Internetzeitung für Politik und Kultur
Donnerstag, 02.10.2025 - Jahrgang 17 - www.daz-augsburg.de

Der 3. Oktober und seine sym­bolische Leere

Seit 1990 gilt der 3. Oktober als Tag der Deutschen Einheit. Begründet wird das damit, dass an diesem Datum der Einigungs­vertrag in Kraft trat und damit die staatliche Wieder­ver­einigung formal vollzogen wurde. Doch bei genauerem Hinsehen zeigt sich: Dieser Tag ist weit weniger „geschicht­lich aufgeladen“, als es die Insze­nierung jedes Jahr nahelegt.

Kommentar von Bruno Stubenrauch

Rein rechtlich hätte der Beitritt der DDR an jedem belie­bigen Tag erfolgen können. Der 3. Oktober war lediglich ein Kom­pro­miss: Er ergab sich einer­seits als frühest­mög­licher Termin nach der Rati­fi­zierung des Zwei-plus-Vier-Vertrags durch die Sieger­mächte, anderer­seits als gefühlt letzt­mög­licher Zeitpunkt vor dem wirt­schaft­lichen Kollaps einer DDR, der die eigene Auf­lösung nicht schnell genug gehen konnte.

Ein Abschlussdatum – nicht mehr, nicht weniger. Ihm eine sym­bolische Strahl­kraft zuzu­schreiben, überhöht letztlich einen büro­kratischen Vorgang.

Verpasste Chance: der 9. November

Stattdessen hätte sich der 9. November angeboten, jener „Schicksalstag der Deutschen“, an dem 1989 die Berliner Mauer fiel. Ein Tag, den jeder im Gedächtnis trägt und an dem sofort Erinnerungen wachwerden, wo man damals war. Ein Datum, das den Aufbruch und die Euphorie des Volkes viel deutlicher transportiert als der nüchterne Vollzug vom 3. Oktober.

Dass man die dunklen Kapitel des 9. November – Reichs­pogrom­nacht 1938, Hitler-Putsch 1923 – nicht mit der Wieder­ver­einigung verknüpfen wollte, dass man einen un­be­lasteten, von Kon­nota­tionen freien Tag wollte, ist nach­voll­ziehbar. Doch gerade die parallele Erinne­rung hätte eine Chance zur histo­ri­schen Auf­arbeitung geboten. Diese Chance wurde vertan.

Der 17. Juni – nur noch eine Fußnote

Auch der 17. Juni, einst „Tag der Deutschen Einheit“ in der alten Bundes­republik, spielte bei der Neu­fest­legung keine Rolle. Sein Bezug auf den Volks­aufstand von 1953 war nach 1989 politisch überholt. Heute ist er nur noch ein stiller Gedenk­tag – eine Fußnote in der Erinnerungs­politik.

Vereinnahmung durch den Islam

Problematisch erscheint zudem die Ent­wicklung seit 1997: Der Zentral­rat der Muslime legte den „Tag der offenen Moschee“ bewusst auf den 3. Oktober. Offiziell, um Inte­gration und Dialog zu fördern. Strate­gisch, weil da die Menschen frei haben. Kritiker sehen darin jedoch eine Verein­nah­mung des National­feier­tags, die die Auf­merk­sam­keit vom eigent­lichen histo­ri­schen Anlass abzieht.

Wer wirklich einen „unbelasteten“ National­feier­tag gewollt hätte, hätte ihn gesetz­lich vor kon­kur­rie­renden Deutungen und religi­ösen Ansprüchen schützen müssen. Statt­dessen ist der 3. Oktober heute doppelt belegt – und das nicht unum­stritten.

Ein Tag ohne klare Botschaft

So bleibt der 3. Oktober ein Datum ohne eigenes Gewicht, ein büro­kra­tisches Schluss­signal, das nach­träg­lich zum Feiertag erhoben wurde. Er steht weder für die Euphorie des Mauer­falls noch für die tragi­schen wie lehr­reichen Wende­punkte des 20. Jahr­hun­derts. Er ist ein künst­liches Symbol, das durch die parallele religiöse Nutzung zusätz­lich ver­wässert wird. Ob dieser Tag jemals das natio­nale Zusammen­ge­hörig­keits­gefühl zu stiften vermag, das er offiziell reprä­sen­tieren soll, bleibt fraglich.