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Donnerstag, 21.03.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Buenos Aires: Die Stadt mit der längsten und strengsten Quarantäne der Welt

Deutschland kehrt langsam in die Normalität zurück. In anderen Ländern fängt die Infektionskurve unter ganz anderen Bedingungen gerade erst richtig an zu wachsen. Annika Kögel berichtet erneut aus Buenos Aires und gibt einen Einblick in den Alltag eines Krankenpflegers, der in einem Isolationszentrums speziell für COVID-19-Patienten aus Armenvierteln und Obdachlose arbeitet. 

Von Annika Kögel

Buenes Aires ist eine von der Corona-Pandemie gezeichnete Stadt © DAZ

114 Tage in Kontaktverbot und weitgehender Ausgangssperre werde ich, so wie alle anderen Einwohner der Hauptstadt Argentiniens bis zum vorläufigen Ende des nächsten Quarantäneabschnitts am 12. Juli bereits abgesessen haben. Die Zahlen sprechen für sich – mit einer strengen Ausgangssperre wurde in Argentinien das Virus mit knapp 33.000 Infizierten relativ erfolgreich in Schach gehalten und somit bisher das Gesundheitssystem vor dem Kollaps gerettet. Seit letzter Woche darf man erstmals das Haus zumindest zwischen 20 Uhr abends und 8 Uhr morgens zum joggen verlassen, was mir persönlich in der Dunkelheit aufgrund der möglichen Kriminalität aber zu unsicher ist.

In den letzten Tagen ist die Infektionskurve deutlich angestiegen, was mitunter an den sinkenden Temperaturen liegen könnte. Regierungschef Alberto Fernández überlegt nun, die Quarantänemaßnahmen in Buenos Aires wieder zu verstärken, oder gar zur „Phase 1“ zurückzukehren, die man im März hatte. Fakt ist, dass sich landesweit die Mehrzahl der Infizierten in der Hauptstadt befindet und die am stärksten Betroffenen Personen aus den „Villas“ – den Armenvierteln der Stadt stammen.

Social Distancing und die Einhaltung von Hygienemaßnahmen ist in den äußerst prekären Lebensverhältnissen in den Villas quasi unmöglich – teilweise gibt es nicht einmal fließendes Wasser, mehrere Generationen leben zusammen in einem Raum. Ein besonders stark betroffenes Viertel musste durch die Regierung mit Lebensmitteln und Hygieneartikeln versorgt und für 15 Tage vom Rest der Stadt isoliert werden, weil hier fast jeder mit Infizierten in Kontakt gekommen ist.

Krankenpfleger Jean Pierre Yucharico – Foto: privat

Jean Pierre Yucharico kenne ich bereits aus früheren Aufenthalten in Buenos Aires. Der 30-jährige Krankenpfleger wurde nun Anfang des Monats auf eine neue „Station“ versetzt – das für die Krise umgestaltete Veranstaltungsgebäude „Centro Costa Salguero“, speziell für COVID-19-Patienten, die auf der Straße oder in den „Villas“ leben, und nur milde Symptome der Infektion aufweisen. Bis zu 798 Personen sollen sich hier erholen können, beobachtet werden und durch ihre Isolierung eine weitere Ausbreitung des Virus verhindert werden. Auch sollen die Krankenhäuser entlastet werden, die sich um Infizierte mit stärker präsenten Symptomen kümmern, erzählt Jean Pierre.

„Momentan haben wir erst 21 Patienten. Den meisten gefällt es im Zentrum, viele haben keinen anderen Ort, wo sie hingehen könnten. Und es kostet nichts. Trotzdem gibt es manchmal Streit oder Handgreiflichkeiten. Sehr schwierige Fälle, wie Drogensüchtige, gibt es aber bisher keine“. Das 16.100 Quadratmeter große Zentrum teilt sich in Sektoren auf, nach Geschlechtern, aber auch nach Bedürfnissen. Es gibt eine Küche, Essbereich und täglich vier Mahlzeiten, Duschen und Toiletten, Tischtennisplatten, Bücher und Musik. Auch Workshops auf Bildschirmen und ein Kino für bis zu 100 Personen wird angeboten. Angst sich anzustecken hat Jean Pierre keine, da spezielle Schutzausrüstung bereit gestellt wird und man gelernt habe, wie sie einzusetzen sei, erzählt er.

Centro Costa Salguero: Für Infizierte aus den Armenvierteln Foto: privat

Seinen 30. Geburtstag hat er dennoch gerade erst ohne seine Familie und Freunde verbracht – einerseits aufgrund der allgemeinen Quarantäne und Kontaktsperre, andererseits auch weil er niemanden einem Risiko aussetzen wollte. Wohl niemand hier hat mit dem Ausmaß der Pandemie und den daraus resultierenden Einschränkungen gerechnet. Der Semesterbeginn meiner Universität hier wurde erst auf April verschoben, dann online durchgeführt, mit dem Ziel im Juni zu Präsenzkursen zu wechseln – was unmöglich war. Mittlerweile wurde uns gesagt, dass wir wohl nicht einmal im nächsten Semester Präsenzkurse an der Uni besuchen können. Auch wann es wieder Flüge geben wird, weiß keiner. Internationale aber die nächsten Monate sicherlich nicht.

„Wir haben die längste und strengste Quarantäne der Welt“ liest man in Buenos Aires oft und tatsächlich hat die Eingrenzung des Virus und die Gesundheit nach wie vor absolute Priorität – koste es was es wolle: Argentinien befindet sich seit langem in einer starken wirtschaftlichen Krise. Durch die Quarantänemaßnahmen soll Schätzungen zufolge die Wirtschaft im jetzigen zweiten Jahresquartal um 20 Prozent gegenüber dem Vorjahr zurückgehen. Das Land ist mit einer noch höheren Inflationsrate, einem Schuldenberg und weiter wachsender Armut geschlagen.

„Argenzuela“ nennen einige besorgte Einwohner ihr Land mittlerweile – eine Anspielung auf die extrem schlechte Wirtschafts- und Sicherheitslage im ebenfalls lateinamerikanischen Land Venezuela, und die Angst davor, dass sich die Situation hier ähnlich entwickeln könnte.