Wir müssen lernen uns selbst zu verstehen
Der Streit um die Personalpolitik der Stadt scheint sich beruhigt zu haben, ohne dass ersichtlich wurde, worum es im Prinzip ging. Des Pudels Kern verständlich herauszuarbeiten, lag offensichtlich nicht im Interesse der Protagonisten. Die DAZ hat sich vorgenommen dies zu tun. Ein Versuch.
Von Siegfried Zagler
Nichts ist über jeden Zweifel erhaben. Man muss nicht mit Immanuel Kant kommen, um Gribls Grundsatz, dass die Personalpolitik der Stadt Augsburg über jeden Zweifel erhaben sei, als Unsinn zu klassifizieren. Allein das Kompositum „Personalpolitik“ evoziert durch seine Bedeutung im Gebrauch der Sprache, dass Kontrolle und Kritik im Bereich der öffentlichen Stellenvergabe mehr als notwendig ist. Im aktuellen Fall hat diese Kontrolle und Kritik über die Medien und die Opposition stattgefunden. Die Süddeutsche Zeitung und die Augsburger Allgemeine haben darüber berichtet und dabei der Augsburger CSU systematische Personalpolitik nach Parteibuch attestiert. Stefan Kiefer, der Fraktionschef der Augsburger Rathaus-SPD, hat den Ball angenommen und diesen Vorgang der Stellenvergabe kommentiert und scharf kritisiert, was er in seiner Eigenschaft als Oppositionsführer tun muss und tun soll.
Neid, Missgunst und Getratsche
Es wäre allerdings fairer gewesen, nicht auf die veröffentlichte Examensnote der städtischen Mitarbeiterin zu reagieren, sondern den Vorgang allgemeiner und zugleich differenzierter zu kommentieren. Die Person mit der schlechten Examensnote wurde seinerzeit vom Regenbogen eingestellt und ist eine langjährige und verdienstvolle städtische Mitarbeiterin. In diesem „Kontext der Beförderung“ relativiert sich eine Examensnote. Zur Indiskretion und der politischen Schärfe bei dieser Stellenvergabe haben OB Gribl und die Stadtregierung allerdings in gewisser Weise ihr Scherflein beigetragen. Dass die Stelle neu zu besetzen ist, war seit langem bekannt. Die Opposition hat im Stadtrat in nichtöffentlicher Sitzung geschlossen gegen die Stellenvergabe von Frau X gestimmt, und zwar auch deshalb, weil es keine Vorbereitung im Sinne von Vorberatungen im Personalausschuss gegeben hat. Die CSU/Pro Augsburg Regierung hat einfach auf ihre knappe Mehrheit gebaut und die Entscheidung durchgezogen. Das ist Personalpolitik, die nach öffentlicher Kritik bettelt. Das Gleiche gilt für die verhuschte Ausschreibung dieser nicht unwichtigen Juristenstelle. Undurchsichtigkeit bei Personalentscheidungen gebiert nicht selten Ungeheuer, also Neid, Missgunst und Getratsche.
Es war nicht die Rathausopposition, dies nur nebenbei, von der die DAZ erfuhr und „erklärt“ bekam, wer sich für die verwaltungsintern ausgeschriebene Stelle beworben hat und warum die Bewerberin mit der schlechteren Note den Job bekommen solle. Die aktuelle Augsburger Stadtverwaltung ist personell in hohem Maß von 32 SPD-Regierungsjahren (1964 bis 1990 und 2002 bis 2008) geprägt worden. Allein in ihrer letzten „Legislaturperiode“ hat es die SPD fertiggebracht, zwei Fraktionsgeschäftführer in leitende Positionen der Verwaltung zu etablieren. Erstaunlich, dass das damals wesentlich geräuschloser über die Bühne ging als im aktuellen Fall. Wie gesagt, zwischen Himmel und Erde ist nichts über jeden Zweifel erhaben, am wenigsten die Personalentscheidungen der Stadt Augsburg, und dabei spielt es keine Rolle, welche Parteien gerade im Rathaus die Regierung bilden.
Frau X, Tochter von Stadtrat Y (CSU) ist durch die Veröffentlichung ihrer schlechten Examensnote schwer beschädigt worden. Augsburgs OB hat sich daraufhin als oberster Chef der Verwaltung vor Frau X und die Verwaltung gestellt und hat dabei Stefan Kiefer attackiert. Hätte Gribl dabei nicht von „Personalpolitik“ gesprochen, sondern von „Personalentscheidungen“, hätte man ihm erklären müssen, dass Entscheidungen falsch oder richtig sein können aber nicht „über jeden Zweifel erhaben“. Dass Entscheider mit Personalpolitik formulierte Zielsetzungen verfolgen, die selbst dann richtig oder falsch sein können, wenn man dafür einen Wählerauftrag ins Feld führen kann, ist auch ein Allgemeinplatz und muss nicht weiter kommentiert werden, womit nicht gesagt sein soll, dass die Ereignisse vergangener Woche keine Auskunft über relevante Augsburger Befindlichkeiten geben.
Interessenskonflikt mit erheblicher Sprengkraft
Zunächst hat sich die Sichtweise, dass Kurt Gribl mit seiner Kiefer-Attacke indirekt auch die Augsburger Allgemeine abgebürstet haben könnte, und diese daraufhin eine Retourkutsche geritten habe, indem sie die Kamelle der OB-Verquickung zwischen Persönlichem und Privatem aus der Schublade geholt habe, nicht erhärten lassen. Die Augsburger Allgemeine hat offensichtlich nicht auf Gribls Pressemitteilung reagiert, sondern sie vertritt tatsächlich seit geraumer Zeit die Auffassung, dass sich Augsburgs Oberbürgermeister einem Interessenskonflikt mit erheblicher Sprengkraft ausgesetzt sieht, da seine Lebensgefährtin als freie Mitarbeiterin bei einer Werbeagentur arbeitet, die für die CSU und den damaligen OB-Kandidaten Gribl den Kommunalwahlkampf 2008 gestaltete. Außerdem arbeitet Frau Einfalt bei einer Informationskampagne der Stadt mit, die über die Stadtwerke abgewickelt wurde und wird („Projekt Augsburg City“). Doch nicht letzteres ist nach Lesart der AZ-Lokalredaktion bemerkenswert, sondern der daraus resultierende „Verdacht der Interessensverquickung“, wie der Chef der Lokalredaktion in einem Kommentar am vergangenen Donnerstag kryptisch anmerkte. Das sei nicht „okay“, sondern ein Fehler, der Gribl angreifbar mache.
„Gribl täte gut daran, das Unbehagen ernst zu nehmen, das diese berufliche Verbindung zwischen ihm und seiner Lebensgefährtin auslöst“, so der väterliche Ratschlag Alfred Schmidts, Chef des Lokalteils der Augsburger Allgemeinen. Weder in Schmidts Kommentar, noch in einem der Beiträge der Oppositionschefs Stefan Kiefer (SPD) und Reiner Erben (Grüne) wird erläutert, was denn nun die „Verquickungen von Privatem und Beruflichem“ konkret bedeuten könnten. Politikern sieht man Oberflächlichkeiten nach, Journalisten nicht. Kurt Gribl hat immerhin aus der Augsburger Allgemeinen herausgelesen, dass man ihm unterschwellig unterstellt, er würde dafür sorgen, dass städtische Aufträge aufgrund seiner Beziehung mit Frau Einfalt an Team m&m verschoben werden. „Meine Partnerin hat weder durch die Stadt, noch durch die Stadtwerke Augsburg einen Auftrag erhalten. Die unterschwelligen Andeutungen, es würden Aufträge verschoben, weise ich zurück“, so Kurt Gribl in seiner Replik auf die Berichterstattung der Augsburger Allgemeinen.
Gift in homöopathischen Dosen
Den letzten Gedanken, dass sich Gribl wegen seiner eheähnlichen Beziehung (als Patchworker mit Sigrid Einfalt in einem Haushalt lebend und wirtschaftend) an den „verschobenen Aufträgen“ selbst bereichern könnte, wagte Gribl nicht zu denken. Die Opposition – so die DAZ-Recherche – schon eher. Des Pudels Kern hat also tatsächlich eine dramatische Dimension. Es handelt sich um den Teufel schlechthin, also um die tödlichste Waffe, mit der man einen Politiker zur Strecke bringen kann. Auch wenn es sich nur um einen geringen Prozentsatz des Gesamteinkommens handeln sollte, das tödliche Gift ergibt sich bereits aus homöopathischen Dosen. Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth wurde vor 20 Jahren in der sogenannten Dienstwagen-Affaire ums Haar aus dem Amt gekegelt. Auslöser waren Benzinabrechnungen ihres Ehemannes von monatlich 200 Mark (bei einem geschätzten Familieneinkommen von 40.000 DM). Ein juristisch nicht anfechtbare „Petitesse“ aus dem politischen Alltag wurde zum Skandalheuler des Jahres gepuscht. So gesehen sollte sich Kurt Gribl tatsächlich zusammen mit Sigrid Einfalt überlegen, ob er nicht auf den gutgemeinten Rat des väterlichen Journalisten hören sollte.
Andererseits ist es so, dass man in Augsburg keine nachhaltige Empörung hervorruft, wenn man sich zu sehr auf niederträchtige Petitessen dieser Art kapriziert, was in erster Linie damit zu hat, dass es zum Allgemeinwissen der Stadtgesellschaft zählt, welcher Redakteur der Augsburger Allgemeine wo verankert und verwurzelt ist, wer in welchem Rotarier-Club mit wem verbandelt ist und in welchen Berufen die Frauen der leitenden Redakteure tätig sind und welche Interessenskonflikte daraus resultieren, die sich in der Berichterstattung der Augsburger Allgemeinen widerspiegeln. Beispiele könnte man dutzendweise aufführen. Dass man sich beim Meinungsmonopolisten bisher über das eigene darniederliegende Image wenig Gedanken machte, zeigt unter anderen der Umstand, dass es innerhalb der Augsburger Allgemeinen niemand besonders problematisch fand und findet, wenn die Ehefrau des stellvertretenden Chefredakteurs die Eröffnungsveranstaltungen der Brechtfestivals moderiert. Dass man es dem Kollegen aus dem Feuilleton damit sehr schwer machen könnte, die Veranstaltungen angemessen in der Luft zu verreißen, wurde nicht als problematisch eingestuft. In Augsburg hat sich im vergangenen Jahrzehnt ein ungeheurer Wertewandel vollzogen, der uns alle fordert und unser Selbstverständnis mehr in Frage stellt als je zuvor. Der rasende gesellschaftliche Wandel – verursacht durch Globalisierung und Migration – hat auch in unserem verschlafenen Städtchen neue Kontexte entwickelt, die wir verstehen lernen müssen, weil wir unsere Identität nur über kulturelle Kontexte herstellen und reflektieren können. Wir müssen also lernen uns selbst zu verstehen. Diese Einsicht sollte auch vor den mächtigen Toren unserer „Heimatzeitung“ nicht haltmachen.